Die »europäisch-türkische Lösung« nach dem EU-Gipfel mit der Türkei

Gemeinsam für die Angst

Beim EU-Gipfel mit der Türkei ging es vor allem darum, die Verantwortung für die Flüchtlinge wieder Griechenland zuzuschieben, während die Türkei zum sicheren Drittstaat erklärt werden soll.

Die Europäische Union definiert sich selbst gerne als einen »Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts«. Spätestens nach dem EU-Türkei-Gipfel am Montag in Brüssel bleibt von den ambitionierten Ansprüchen nicht mehr viel übrig. Getrieben von einer hyste­rischen Angst vor Migranten sind die Staats- und Regierungschefs der EU offensichtlich bereit, jeden Handel einzugehen.
Die »europäisch-türkische Lösung« sieht unter anderem vor, dass die Türkei künftig Asylsuchende aus Griechenland zurücknimmt. Im Gegenzug sollen die EU-Mitgliedstaaten Flüchtlinge direkt aus der Türkei aufnehmen. Mit dieser Entscheidung wird faktisch das europäische Asylrecht aufgehoben. Dieses Recht funktioniert schließlich nur, wenn die Anträge auf Asyl individuell überprüft werden können, denn nach dem internationalen Flüchtlingsrecht dürfen Menschen nicht in Länder zurückgeschickt werden, in denen ihnen Verfolgung droht. Indem die Bundesregierung die ­Türkei zum »sicheren Drittstaat« erheben will, ist diese Überprüfung kaum mehr möglich. Ausgerechnet die Türkei soll nun für die Europäer die Flüchtlinge aufhalten. Ein Land also, dessen Regierung gerade selbst einen Bürgerkrieg in seinen südöstlichen Provinzen provoziert und damit Zehntausende neue Flüchtlinge geschaffen hat; dessen Präsident sich zu einem autokratischen Herrscher aufgeschwungen hat, der grundlegende Bürgerrechte permanent missachtet. Viele Flüchtlinge werden vermutlich gar nicht bis nach Europa kommen, weil sie bereits auf See abgefangen werden. Doch in Griechenland ist eine individuelle Prüfung derzeit faktisch nicht möglich und erst recht nicht auf Schiffen im Mittelmeer.
Die schlichte Logik der Maßnahmen hatte der französische Präsident François Hollande bereits kurz vor dem Gipfel zusammengefasst. Die Mehrheit der EU-Staaten wolle die Flüchtlingsroute über den Balkan schließen. »Damit wird Griechenland den wesentlichen Teil der Flüchtlinge nehmen«, erklärte er. »Wir müssen Griechenland helfen und verhindern, dass weiter Flüchtlinge in Griechenland ankommen, deswegen müssen wir mit der Türkei zusammenarbeiten.«
Die europäischen Staaten stehen unter hohem Druck, den sie sich selbst geschaffen haben. Nachdem Österreich die Balkanroute versperrt hat, kann Griechenland die dramatische Lage im Land kaum mehr alleine bewältigen. Im Zweifelsfall sind zumindest einige EU-Regierungen bereit, Griechenland zu opfern. Lieber ein failed state an der europäischen Peripherie als weitere Flüchtlinge in Wien oder Budapest, lautet deren Credo.
Die türkische Regierung hat bei den Verhandlungen den Preis hochgetrieben. Sie will zusätzlich drei Milliarden Euro, die Visumspflicht soll liberalisiert und die EU-Beitrittsverhandlungen sollen ­beschleunigt werden. Die Türkei kann sich diese Forderungen leisten, schließlich hat sie bislang mehr Flüchtlinge aufgenommen als die gesamte EU mit rund einer halben Milliarde Einwohnern. Eine abschließende Einigung soll es nun zwar erst beim nächsten Treffen kommende Woche geben. Das Ergebnis ist allerdings jetzt schon klar: »Irreguläre Ströme von Migranten entlang der Route des westlichen Balkans müssen nun enden«, heißt es im Abschlusstext des Gipfels in Brüssel. Europa definiert sich neu – als Raum der Angst, der Gewalt und der Heuchelei.