Der Mossul-Staudamm droht zu brechen

Nach Saddam die Sintflut

Der Mossul-Staudamm im Irak war eine Fehlplanung und seit der Eroberung durch den »Islamischen Staat« wurde er nicht gewartet. Nun droht er zu brechen.

Vor chronischem Wassermangel im Nahen Osten als einer Folge von rasantem Bevölkerungswachstum und systematischer Verschwendung wird seit Jahren gewarnt. Im Iran etwa müssten einer Studie eines ehemaligen iranischen Agrarministers zufolge in wenigen Jahren 70 Prozent der Bevölkerung ihre Wohngebiete verlassen, wenn der Wasserverbrauch nicht radikal gedrosselt wird.
Dieser Tage allerdings müssen Millionen von Menschen im Irak sich nicht etwa vor einer Dürre fürchten. Ihnen droht im Gegenteil eine Flutkatastrophe biblischen Ausmaßes: der Mossul-Staudamm im Nordirak ist nämlich inzwischen so marode, dass er jederzeit brechen kann. Dann würde sich das an­gestaute Wasser als gigantische Flut über die Millionenstadt Mossul ergießen und auch weiter südlich liegende Orte überschwemmen. Selbst in Bagdad müsste noch mit einem Wasserstand von viereinhalb Metern gerechnet werden. Vergangene Woche forderte die US-Botschaft in Bagdad Amerikaner auf, die Stadt wenn möglich zu verlassen.
Bis zu 1,5 Millionen Menschen, die im Tigris-Tal leben, wären akut bedroht, sollte die Staumauer wirklich brechen. Der Damm, den der damalige Präsident Saddam Hussein 1984 errichten und nach sich benennen ließ, wurde im wahrsten Sinne des Wortes auf Sand. Schon damals warnten Ingenieure, der Untergrund tauge nicht für ein solches Bauwerk, werde vom Wasser ausgehöhlt und unterspült. Saddam Hussein zeigte sich unbeeindruckt und ließ weiterbauen, schließlich befand sich der Irak im Wettlauf mit seinen Nachbarländern, die alle gigantische Staudammprojekte an Euphrat und Tigris realisierten, um den Strom- und Wasserbedarf einer wachsenden Bevölkerung zu decken.
Kaum war der Damm fertiggestellt, zeigte sich, dass die Warnungen allzu berechtigt waren. Jeden Tag musste das Fundament der Dammmauer mit einem Spezialzement ausgegossen werden, um vom Wasserdruck verursachte Aushöhlungen zu füllen. 2006, drei Jahre nach dem Sturz des Saddam-Regimes, schlug ein Ingenieurteam der US-Armee Alarm. Die Staumauer sei in einem so maroden Zustand, dass sie jederzeit brechen könnte, schrieben die Ingenieure schon damals in einer Studie und sprachen vom »gefährlichsten Damm der Welt«.
Seitdem hat sich die Lage noch verschlimmert: 2014 erstürmten Milizionäre des »Islamischen Staats« (IS) den Mossul-Damm, zerstörten für Reparaturarbeiten notwendige Geräte und brachten die für die Herstellung der speziellen Zementmischung zuständige Firma unter ihre Kontrolle. Über eineinhalb Jahre lang fanden deshalb keine Wartungsarbeiten an der Anlage statt, außerdem habe sich, erklärte jüngst Nasrat Adamo, einer der irakischen Ingenieure, die 1984 den Bau des Damms leiteten, eines der Abflusstore verklemmt, so dass Wasser nicht mehr abgeleitet werden könne, ohne einen gefährlichen Unterdruck zu erzeugen. In wenigen Wochen wird die Schneeschmelze in den türkischen Bergen einsetzen und der Wasserstand in den Staubecken der Region wird beträchtlich steigen. In einem Gespräch mit der britischen Zeitung The Guardian warnte Adamo, dass es inzwischen nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die Dammmauer breche. Es könne »morgen oder in einem Jahr« so weit sein, aber passieren werde es ganz sicher, da der Untergrund auf Dauer dem Druck nicht standhalten werde.
Anders als die US-Botschaft in Bagdad spielte die irakische Regierung die Gefahr zunächst herunter. Man habe einen Vertrag mit einer italienischen Spezialfirma abgeschlossen, die die Wartungsarbeiten in Kürze wieder aufnehmen werde, ließ Ministerpräsident Haider al-Abadi verlauten, nur um wenige Tage später die betroffene Bevölkerung aufzufordern, Gebiete, die näher als sechs Kilometer am Tigris liegen, möglichst zu evakuieren. Ein Ratschlag, der nur schwer zu befolgen sein dürfte, schließlich leben Millionen von Menschen in Mossul, Ramadi und Samara direkt am Fluss und die meisten dieser Orte stehen noch unter Kontrolle des IS.
Deshalb vermuten einige Beobachter inzwischen, die eindringlichen Warnungen könnten unmittelbar mit dem bevorstehenden Kampf um Mossul zu tun haben. Seit langem bereiten sich US-Truppen, irakische Armee, schiitische Milizen und kurdische Peshmerga auf eine Erstürmung der Stadt vor, die im Irak als wichtigste Bastion des IS gilt. Die Bewohner von Mossul sollten verunsichert und zur Flucht motiviert werden; bei den Äußerungen handele es sich also eigentlich um psychologische Kriegsführung.
Nur sind die Warnungen über den Zustand des Damms keineswegs neu. Und sollte er wirklich kollabieren, wäre dies eine präzedenzlose humanitäre Katastrophe mit Ansage. Da vor allem von sunnitischen Arabern bewohnte Gebiete bedroht sind, äußern politische Vertreter der Sunniten auch den Verdacht, die schiitisch dominierte Regierung habe die Gefahr bewusst lange heruntergespielt.
Und während ausgerechnet ein von Saddam Hussein errichtetes Megabauwerk, das als Symbol auch der technischen Überlegenheit des Panarabismus errichtet wurde, das Leben jener bedroht, auf deren Unterstützung das ba’athistische Regime einst fußte, droht in anderen Teilen des Irak die Austrocknung. Denn auch der Iran baut einen Staudamm nach dem anderen. Seit Ende 2015 leitet die Regierung in Teheran den Fluss Diyala um, der früher über den kurdischen Nordirak in den Tigris floss. Inzwischen besteht noch aus einem dünnen Rinnsal.