Der »Hitler von Köln« ist zurück

Schritt in die Reasozialisierung

Axel Reitz trug als Neonazi den Beinamen »Hitler von Köln«. 2012 stieg er aus dem rechtsextremen Milieu aus. Mittlerweile versucht er, sich wieder politisch zu betätigen.

»Darf ein ehemaliger ›Rechtsextremist‹ sich noch politisch betätigen?« Das scheint auf den ersten Blick eine neutrale und diskussionswürdige Frage zu sein. Die nachgeschobene Fangfrage lässt dagegen erahnen, worauf der Fragende hinaus will: »Und wo wäre er besser beheimatet, als in einer gemäßigt rechten Partei?« Die Antwort vorwegnehmend, trägt der Urheber der Fragen im Anschluss ein Plädoyer vor, das vor allem dadurch auffällt, eben nicht einfach nur die Freiheit der individuellen Meinungsäußerung sowie der parteipolitischen Organisierung zu vertreten. In erster Linie stellt der Autor die eigene Opferrolle heraus. Urheber des Textes mit dem Titel »Grenzen der Freiheit« ist Axel Reitz, bundesweit bekannt geworden als der »Hitler von Köln«. Veröffentlicht wurde das Plädoyer in der neurechten Publikation Blaue Narzisse. Wegen seines akkuraten Seitenscheitels, des Versuchs, auch stimmlich dem ideologischen Vorbild Adolf Hitler nachzueifern, und seiner zu jeder Gelegenheit öffentlich bekundeten nationalsozialistischen Gesinnung hatte die Kölner Boulevardpresse Reitz Anfang des Jahrtausends schnell den Beinamen »Hitler von Köln« gegeben. In der Stadt galt er als politische Witzfigur und wurde neben dem »Kalifen von Köln«, wie der Islamist Metin Kaplan in der Presse häufig genannt wurde, zu einem negativen Aushängeschild. Unter anderem befeuert durch das mediale Interesse absolvierte der 1983 geborene Reitz in der rechtsextremen Szene eine erstaunliche Karriere. Ab Ende der neunziger Jahre trat er regelmäßig als Redner auf Demonstrationen »freier Nationalisten« und militanter Kameradschafter auf. Im Rahmen eines »Kampftags gegen die Reaktion« drohte er 1999 denjenigen, »die uns über Jahre hinweg bekämpft haben, uns aus der Arbeit gedrängt und ins Gefängnis gebracht haben«, sie würden »eines Tages auf den Marktplatz gestellt und erschossen«. Über ein Jahrzehnt lang war er ein leitender Funktionär im nordrhein-westfälischen Neonazimilieu. Vor vier Jahren wollte Reitz aus der Szene aussteigen, der Verfassungsschutz half. Mit seinen Aussagen habe er schließlich seine ehemaligen Kameraden vom »Aktionsbüro Mittelrhein« schwer belastet, lautete die Begründung der Behörde. Der Vorsitzende der Partei "Die Rechte", Christian Worch, hingegen betonte im Juli 2012 im Gespräch mit dem Kölner Stadtanzeiger, dass sein ehemaliger ideologischer Ziehsohn nur »niederschwellig belastende Angaben« gemacht habe. Eine Verurteilung der Beklagten auf alleiniger Basis der von Reitz gelieferten Informationen schloss Worch aus. Nicht alle Nazis zeigten sich so nachsichtig. Reitz trat in der Folge nicht mehr öffentlich in Erscheinung; die Drohungen ehemaliger Kameraden dürften ein Grund für diese Entscheidung gewesen sein. Seit einem halben Jahr beschäftigt sich Reitz aber wieder mit seinem Lieblingsthema: »Nationalismus ist bei uns in Deutschland fast immer der Versuch, vor der Zukunft in die Vergangenheit zu entfliehen. Und damit ist er auch ein Hilferuf, dem aufgrund unserer Geschichte lange Jahre nicht abgeholfen wurde. Das führte bei allzu vielen zu Radikalisierungsprozessen, Versteinerungen der Ansichten und Übersteigerungen der Emotionen. Nach dem Motto ›Jetzt erst recht!‹ wurde so jedes Augenmaß für nationale Positionen verloren«, schreibt der mittlerweile 33jährige auf seinem neu angemeldeten Facebook-Profil. Wichtig sei »aus diesem Grunde ein historisch geläuterter Patriotismus« in Deutschland. In Kommentaren, die der ehemalige Neonazi im September in sozialen Netzwerken hinterließ, beklagte er, dass in Deutschland »Patriotismus und Stolz auf das eigene Land mindestens als unangebracht, wenn nicht sogar als ›rechtsextrem‹« gelten würden, zumindest aber als »blödsinnig«. Er dagegen plädiere für einen »weltoffenen Patriotismus«, weil die »Bekämpfung patriotischer Gefühle in der Gesellschaft mehr rechte Extremisten hervorbringt als die gesamte Propaganda der Szene zusammengenommen«. Extremistische Auswüchse würden nur dann effektiv bekämpft, »wenn dem Gefühl der Identifikation mit der Heimat auch auf nationaler Ebene Raum gelassen wird«. Sein Vorschlag, das »historisch begründete pathologische Verhältnis zum Patriotismus« hinter sich zu lassen, mündet in die simple Parole: »Liebe deine Stadt und liebe dein Land!« Das Echo auf dieses Plädoyer blieb eher verhalten. Im Februar legte Reitz in der Blauen Narzisse nach. Der Auslöser für seinen Artikel war die Ablehnung seines Antrags auf Mitgliedschaft in der Alternative für Deutschland (AfD). Reitz stellt sich dem Leser als fehlgeleiteter Patriot vor. Im zarten Alter von 13 Jahren sei er, nachdem er die Junge Union verlassen hatte, verführt worden. So weit sei es gekommen, weil lange Zeit »in Deutschland keine parteipolitische Alternative wie die AfD« existiert habe. »Patriotische Gefühle waren verpönt und konnten zeitlich begrenzt höchstens bei der Fußballweltmeisterschaft gezeigt werden.« Derart eingeschränkt in seiner politischen Betätigung habe er sich dem »extremistischen rechten Spektrum« zugewendet. So beklagt Reitz, dass »schnell in Acht und Bann geschlagen« worden sei, wer sich in seiner Jugendzeit »öffentlich zu ›rechten‹ Ansichten« bekannt habe. Seine Stilisierung zum Opfer endet in der Behauptung: »Insbesondere Jugendliche wurden so in die Fänge tatsächlicher Rechtsextremisten getrieben.« Die Selbstdarstellung verknüpft Reitz mit dem Versuch, die AfD als gewöhnliche konservative Partei darzustellen. Sie leide unter der »gefährlichen Sippenhaft«, die all jene treffe, »die unter den Bannstrahl der Titulierung ›rechts‹ geraten«. Er rät der Partei trotzdem zur »offensiven Behauptung der eigenen Positionen«, da eine »pragmatische, auf Regierungsteilhabe abzielende Politik nicht durch Katzbuckeln und Leisetreten erreicht« werden könne. »Die AfD ist und bleibt für die etablierten Parteien eine Gefahr, da sie die politischen Grundsätze der Etablierten in Frage stellt oder sogar offen ablehnt«, schreibt Reitz weiter. Ihm sei klar, dass es der Partei nicht leicht falle, »ehemalige ›Neonazis‹ aufzunehmen«. Denn eine solche Aufnahme wäre für ihre Gegner ein weiterer Beleg dafür, dass »die These ›rechts ist gleich rechtsextrem‹ richtig« sei. Für Reitz ist solche Kritik an der AfD heuchlerisch. Aus der Geschichte hat der Mann nämlich seine ganz eigene Lehre gezogen. Schließlich wirkten »nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches viele ehemalige Nationalsozialisten am Aufbau aller großen Volksparteien mit« und seien »in der Bundesrepublik zu geachteten Vertretern in Politik, Gesellschaft und Medien« aufgestiegen. Ehemalige »RAF-Sympathisanten und linksautonome Gewalttäter« sitzen Reitz zufolge heutzutage in den Reihen der Grünen, »Kommunisten mutierten zu vernünftigen Sozialdemokraten«. Für seine eigene politische Resozialisierung vom ehemaligen »Hitler von Köln« zum »geläuterten Patrioten und Freigeist mit konservativen Bezügen«, wie der 33jährige sich selbst beschreibt, muss er sich aber dennoch eine andere Partei als die AfD suchen.