Das Netzwerk Attac zieht gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit vor Gericht

Zu politisch fürs Gemeinwohl

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac klagt gegen die Aberkennung seiner Gemeinnützigkeit durch das Finanzamt Frankfurt. Doch auch andere Organisationen sind betroffen. Deswegen haben sich über 40 gemeinnützige Vereine zur Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« zusammengeschlossen.

Attac zieht vor Gericht. Bereits im September 2014 hatte das zuständige Finanzamt in Frankfurt am Main dem globalisierungskritischen Netzwerk mitgeteilt, dass ihm der Status der Gemeinnützigkeit aberkannnt worden sei. Über anderthalb Jahre später lehnte die Behörde Ende Januar den damals eingelegten Widerspruch ab – Voraussetzung für eine Klage.
Die Begründung des Finanzamtes für die Aberkennung lautete, Attac äußere sich allgemeinpolitisch und im Zentrum der Arbeit des Trägervereins liege die Verfolgung politischer Ziele – und nicht, wie in der Satzung festgeschrieben, Bildungsarbeit. Seitdem kann Attac keine Spendenquittungen mehr ausstellen, keine öffentlichen Gelder beantragen und von Gerichten keine Bußgelder mehr zugewiesen bekommen.
Die Feststellung, dass Attac politisch arbeitet, verwundert wenig. Neben den Forderungen nach einer Finanztransaktionssteuer, einem bedingungslosen Grundeinkommen und einer Vermögensabgabe machte das Netzwerk durch seinen Aufruf zu den Blockupy-Protesten in den vergangenen Jahren deutlich, dass es sich trotz seines reformistischen Ansatzes auch vor Bündnissen mit radikalen Linken nicht scheut. Diese politische Arbeit scheint das Interesse der hessischen Finanzverwaltung geweckt zu haben. Nachdem Attac zehn Jahre lang als gemeinnützig anerkannt war, kam das Finanzamt ohne Vorankündigung oder Gespräch zu der Einschätzung, die Arbeit des Vereins entspreche nicht den Vorgaben der Abgabenordnung.
Der Verein hat dagegen nun Klage beim Finanzgericht Kassel eingereicht und angekündigt, für den Status der Gemeinnützigkeit wenn nötig den Weg durch alle juristischen Instanzen zu gehen. Denn für Attac stellt das Vorgehen der Finanzverwaltung einen Angriff auf die kritische Zivilgesellschaft dar, die maßgeblich von gemeinnützigen Vereinen getragen werde. In welchem Maß diese sich politisch äußern dürfen, ist juristisch umstritten. Sie dürfen sich zwar politisch betätigen, doch diese Arbeit darf nicht den Mittelpunkt der Vereinstätigkeit bilden und nicht einer bestimmten Partei dienen. Attac argumentiert, seine politische Arbeit diene einem Sachanliegen, nicht einer bestimmten politischen Richtung und finde innerhalb der als gemeinnützig anerkannten Satzung statt. Zu den dort angeführten Vereinszwecken gehören die Förderung der »Bildung«, des »demokratischen Staatswesens«, der »internationalen Gesinnung« und des »Völkerverständigungsgedankens«. Dass in diesem Kontext politische Forderungen gestellt und Demonstrationen organisiert werden, sieht Attac als praktische Konsequenz seiner Bildungsarbeit.
Die bundesweite Praxis der verantwortlichen lokalen Finanzämter spricht dafür, dass eine eindeutig politische Arbeit der Gemeinnützigkeit nicht generell im Wege steht. Zwar gibt es immer wieder Fälle, in welchen die Gemeinnützigkeit genutzt wird, um politisch arbeitende Vereine unter Druck zu setzen. Doch dass das Frankfurter Finanzamt im Fall von Attac ohne Vorwarnung sofort die Gemeinnützigkeit aberkannte, bezeichnet die Organisation als ungewöhnlich. Die Befürchtung, die Entscheidung der Behörde könnte zu einem Präzedenzfall werden, der vergleichbare Vereine gefährdet, scheint daher gerechtfertigt.
Während das Finanzamt eine Reaktion auf den Einspruch Attacs über anderthalb Jahre hinauszögerte und damit die Eröffnung eines Gerichtsverfahrens verhinderte, erhielt ein weiterer Verein in Frankfurt einen Aberkennungsbescheid. Doña Carmen, ein Verein, der sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen einsetzt und im Frankfurter Rotlichtviertel Sozialarbeit leistet, liegt mit der Frankfurter Behörde schon länger im Streit. Grund hierfür ist, dass Doña Carmen die hessische Besteuerungspraxis von Sexarbeiterinnen kritisiert. Das sogenannte Düsseldorfer Verfahren sieht eine Pauschalbesteuerung von Prostituierten vor, die von Bordellbesitzern eingeholt und an das zuständige Finanzamt weitergeleitet werden soll. Doña Carmen kritisiert, dass die Bordellbesitzerinnen damit zum verlängerten Arm des Staates gemacht würden und gegenüber den Sexarbeiterinnen der Eindruck erweckt werde, sie müssten keine weitere Steuererklärung machen – was falsch ist und viele Sexarbeiterinnen davon abhält, Steuerrückzahlungen zu bekommen. Der Verein wirkt dieser Praxis entgegen, indem er sie einerseits in Pressemitteilungen öffentlich kritisiert, die Frauen andererseits aber auch in Buchhaltungsfragen berät. Genau diese Arbeit bewertet das Finanzamt in seinem Schreiben vom September 2015 als »zu politisch«, um gemeinnützig zu sein.
Zudem wurde Doña Carmen vorgeworfen, nicht im Rahmen ihrer Satzung zu arbeiten. Den Vorwurf versuchte der Verein durch eine ausführliche Dokumentation seiner Tätigkeiten zu widerlegen. Daraufhin änderte das Finanzamt seine Argumentation. Es sei irrelevant, dass die Arbeit des Vereins der Satzung entspreche, da diese nicht korrekt sei, hieß es seitens der Behörde im Januar. Dabei war die Korrektheit der Satzung erst im Juli geprüft und bestätigt worden.
Thomas von Holt, Anwalt mit Schwerpunkt Gemeinnützigkeitsrecht, hält die Argumentation des Finanzamtes juristisch für absurd, da diese Satzungsprüfung gerade den Sinn gehabt habe, spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Von Holt unterstützt die Vermutung Doña Carmens, das Finanzamt Frankfurt selbst handele politisch. Der Jungle World sagte er: »Unzureichende Kenntnisse über das Spezialgebiet sind in der Finanzverwaltung verbreitet.« So blieben »Spielräume für persönliche politische Auffassungen und Profilierungsinteressen«.
Nutzt das Finanzamt Frankfurt also seine Entscheidungsgewalt über den Status der Gemeinnützigkeit, um unliebsame Vereine zu schwächen? Den Vorwurf, politisch motiviert zu handeln, weist die zuständige Pressestelle in der Oberfinanzdirektion Hessen zurück. Man handele nur nach Recht und Gesetz. Die lange Zeit zur Bearbeitung des Einspruchs von Attac, die Kritik der politischen Arbeit der Vereine und der fragwürdige Argumentationswechsel im Fall Doña Carmen sprechen jedoch dafür, dass es bei dieser Auseinandersetzung um mehr als die Auslegung der Abgabenordnung geht.
Während Attac mit seiner Kampagne »Jetzt erst recht!« sehr erfolgreich ist und keinen Spendenrückgang zu verzeichnen hat, kann die Aberkennung der Gemeinnützigkeit für einen kleinen Verein wie Doña Carmen zu einer existenziellen Bedrohung werden. Und der Verein sieht nicht nur sich selbst in Gefahr: Die Entscheidung der Frankfurter Behörde kündige einen bundesweiten Konsens auf, nach dem Beratungsstellen für Sexarbeiterinnen gemeinnützig sind. Sollte dieses Vorgehen Schule machen, könne das zum Zusammenbruch einer bundesweiten Hilfsstruktur führen, heißt es von Doña Carmen.
Um zu verhindern, dass politisch arbeitende Vereine nicht immer wieder aufs Neue die Aberkennung ihrer Gemeinnützigkeit fürchten müssen, haben sich Attac, Doña Carmen und über 40 weitere Vereine zur Allianz »Rechtssicherheit für politische Willensbildung« zusammengeschlossen. Sie fordern die gesetzliche Klarstellung, dass gemeinnützige Vereine sich aktiv am politischen Diskurs beteiligen dürfen.