Homöopathie wirkt nicht und dient als Einstieg in die Esoterik

Esoterik in Zucker

Homöopathie gilt als sanfte und günstige Alternative zur verpönten »Schulmedizin«. Wissenschaftliche Belege für ihre Wirksamkeit gibt es nicht, dennoch wird sie gesetzlich privilegiert.

Homöopathie habe ihren Kindern besser und schneller geholfen als Antibiotika. Der Dreijährige bekomme bei Erkältungsanzeichen sofort Globuli. Homöopathie sei »einfach spitze« und der Beweis dafür, dass sie funktioniere, seien »Tiere und Kinder, die nicht über die Wirkung nachdenken oder darüber debattieren« – so lauten einige Zitate aus der Kommentarspalte eines Facebook-Posts über Homöopathie des Bayerischen Rundfunks vom 16. Februar. Woher rührt dieser fast schon missionarische Eifer, voller Überzeugung für die Homöopathie zu werben und dies mit zwar kaum überprüfbaren Argumenten, dafür aber reichlich Anekdoten zu begründen?
Die homöopathische Behandlung nach Samuel Hahnemann (1755–1843) basiert im Kern auf drei Säulen: dem Anamnesegespräch (dem Erfragen medizinisch relevanter Informationen), der Simile-Regel (»Ähnliches möge mit Ähnlichem geheilt werden«) und der »Potenzierung« durch starke Verdünnung des Wirkstoffs, oft bis zu einem Grad, bei dem kein Molekül des Wirkstoffs mehr in der Lösung nachgewiesen werden kann. Die Anamnese ist auch heute noch wichtiger Teil medizinischer Behandlungen, wohingegen das Ähnlichkeitsprinzip und die »Potenzierung durch Verdünnung« Vorstellungen sind, die aus heutiger Sicht unvereinbar mit grundlegenden Erkenntnissen der Naturwissenschaft sind. Historisch betrachtet ist die Homöopathie im Kontext der Zeit ihrer Entstehung absolut nachvollziehbar. Zur Lebzeit Hahnemanns war die »Medicin der alten Schule« ein Hort düsterer Praktiken. Krankheitsentstehung wurde mit der Vier-Säfte-Lehre erklärt, ein Konzept, das damals schon über 2 000 Jahre alt war. Die Homöopathie erlangte ihre Popularität im 19. Jahrhundert auch deshalb, weil sie im Gegensatz zu Praktiken wie Trinkverbot bei Durchfallerkrankungen oder Aderlass den Patienten nicht zusätzlich schadete.
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahr­hunderts trugen die Schriften von Esoterikern wie Helena Blavatzky und Rudolf Steiner dazu bei, vor allem die bürgerlichen Milieus in Deutschland ideologisch auf den Faschismus vorzubereiten. Die Homöopathie erhielt weiterhin Aufmerksamkeit und weckte auch das Interesse ranghoher Nazionalsozialisten wie Rudolf Heß. Die Nazis förderten zur Formierung einer »neuen deutschen Heilkunde« in Abgrenzung zur »verjudeten Schulme­dizin« eine Zeit lang verschiedene alternativmedizinische Ansätze, unter anderem die Homöopathie und anthroposophische Medizin. Die Ergebnisse waren jedoch selbst für die homöopathischen Forscher ernüchternd. Zur selben Zeit förderten die Faschisten auch die Praktiken von Laienheilern durch die Verabschiedung des Heilpraktikergesetzes im Jahr 1939. Dieses Gesetz bildet bis heute die Grundlage des Heilpraktikerwesens. Drei als »besondere Therapierichtungen« definierte Verfahren sind im 1961 erstmals erlassenen Arzneimittelgesetz der BRD von den hohen Hürden für die Arzneimittelzulassung ausgenommen: Homöopathie, anthroposophische Medizin und Pflanzenheilkunde. Diese Mittel müssen ihre Wirksamkeit nicht durch wissenschaftliche Studien belegen, es ­genügt der sogenannte Binnenkonsens. Vereinfacht gesagt: Weil die Homöopathen und Anthroposophen behaupten, dass ihre Mittel wirken, sind sie auch verkehrsfähig.
Dabei haben methodisch hochwertige Studien bis heute die Wirksamkeit homöopathischer Mittel jenseits des Placebo-Effekts nicht nachweisen können. Das verwundert auch nicht. Fände das Ähnlichkeitsprinzip Eingang in die Medizin, müssten erhöhte Cholesterinwerte mit Butterflocken und Diabetes mit Würfelzucker behandelt werden. Die »Potenzierung« der homöopathischen Mittel ist chemisch nichts anderes als eine schrittweise Verdünnung im Verhältnis 1:10 (»D-Potenzen«), beziehungsweise 1:100 (»C-Potenzen«). Der pharmakologische Effekt kommt gemäß der homöopathischen Erklärung durch das Gedächtnis der Trägerlösung Wasser zustande, das sich energetische Informationen des Wirkstoffs »merkt«. Wäre die postulierte Potenzierung durch Verdünnung wirksam, müssten beispielsweise Herzrhythmusstörungen wegen Kaliumüberdosierungen nach dem Genuss von Leitungswasser ein häufig anzutreffendes Problem im medizinischen Alltag sein. Sind sie aber nicht.
Ein unklarer Wirkmechanismus ist jedoch zunächst nichts Ungewöhnliches. In der Pharmakologie sind viele Wirkmechanismen ungeklärt; etablierte Erklärungen werden verworfen und neu formuliert. Hier liegt aber der Unterschied zum in sich geschlossenen Glaubensgebäude der Homöopathie: Wissenschaft im Sinne der Aufklärung unterliegt ständiger Veränderung. Die Glaubenslehre der Homöopathie hat sich in ihren Grundannahmen jedoch in 200 Jahren kaum weiterentwickelt. War die Homöopathie im beginnenden 19. Jahrhundert als eine Heilmethode neben anderen eine mehr oder weniger ebenbürtige Alternative zu den etablierten medizinischen Praktiken, so ist sie heute, im beginnenden 21. Jahrhundert, romantische Schwärmerei wider besseres Wissen.
Der Übergang in die kapitalistische (Post-)Moderne ist kein rationaler, eindimensionaler Prozess, sondern bringt weitereichende ideologiebildende Konsequenzen mit sich. Die von Marx im Kommunistischen Manifest beschriebenen »heiligen Schauer der frommen Schwärmerei« und das Bedauern um die Zerstörung der »idyllischen Verhältnisse« klingen auch heute noch im Gespräch mit Homöopathiegläubigen durch. In der Verteidigung der Homöopathie schwingt häufig die pauschale Wertung »Schulmedizin = Chemie = böse« und »Komplementärmedizin = natürlich = gut« mit. Eine solche regressive Kritik an der wissenschaftlichen Medizin kann zum irrationalen Selbstläufer werden. Sie nährt den Eifer, natürliche oder spontane Heilungsverläufe als Ergebnis der homöopathischen Behandlung zu interpretieren.
Das ist problematisch, denn erstens kann eine homöopathische Behandlung die Einleitung einer wirksamen Therapie im Ernstfall verzögern oder sogar verhindern. Zweitens eignet sich Homöopathie als Einstieg in die von rechten Verschwörungstheorien und reaktionären Weltbildern durchzogene Esoterikszene.
Der boomende Esoterikmarkt ist ein zeitgenössisches Produkt der sehr alten Praxis, mit dem (Aber-)Glauben der gesellschaftlichen Subjekte Profit zu machen. Unter der heutigen kapitalistischen Produktionsweise findet eine Transformation der Befriedigung des spirituell-religiösen Bedürfnisses im Sinne des Gebrauchswertes für das Individuum zu einem in Euro und Cent zu beziffernden Tauschwert statt. Das Bedürfnis wird warenförmig bedient durch die heilversprechende Dienstleistung, den Konsum von Globuli, Schüssler-Salzen oder Aura-Duschen. Dieser Umstand ist für die Subjekte höchst widersprüchlich, da die Ästhetik der Esoterikszene »alternativ«, also vermeintlich kapitalismuskritisch daherkommt. Esoterik als Wissenschaftsersatz produziert irrationale Welterklärungen und Verschwörungstheorien und verhindert damit sozialkritische Teilhabe und Veränderung. Der Sinn, den die Esoterik den Gläubigen vermittelt, ist absolut individualisiert. Wo die egozentrische Nabelschau die Norm bildet, werden alle Ereignisse von ihrem gesellschaftlichen Kontext gelöst. Esoterik ist das religiöse Hintergrundrauschen bürgerlicher Schichten in kapitalistischen Krisenepochen.
Im Jahr 2014 betrug der Homöopathieumsatz der Apotheken eine halbe Milliarde Euro; mehr als die Hälfte der gesetzlichen Krankenkassen erstatten Kosten für Homöopathika. Auch wenn das ökonomische Volumen der Homöopathika vergleichsweise gering scheint, sind sie den Krankenkassen wahrscheinlich gerade deshalb ein willkommenes Marketinginstrument bei der Werbung für sie günstiger Mitglieder, denn Homöopathie nutzen in Deutschland vorwiegend Frauen mit hohem Bildungsgrad und höherem sozioökonomischen Status. Nicht zuletzt sind auch die Gewinnspannen für die Hersteller beträchtlich. Homöopathieanhänger sind bereit, für ein Kilo Zucker mit Heilsversprechen anstatt 60 Cent beim Discounter mehr als 600 Euro in der Apotheke zu bezahlen.
Eine vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller in Auftrag gegebene homöopathie-affirmative Umfrage des Allensbach-Instituts im Jahr 2009 zeigte, dass nur 17 Prozent der Bevölkerung wissen, was Homöopathie eigentlich ist. Der weitaus größte Teil denkt offenbar, es handle sich dabei um Naturheilkunde, also Anwendung von Pflanzenextrakten ohne Verschüttelungs-Hokuspokus. Es ist darüber hinaus fraglich, ob das Wissen darum, welche »Urtinkturen« von den Homöopathen angerührt werden, die Popularität der Homöopathie fördern würde. Von Quecksilber über humane Plazentareste und Hundekot bis hin zu Teilen der Berliner Mauer gibt es ein buntes Sammelsurium an »Wirkstoffen«. Da wirkt es fast schon wieder beruhigend, dass die Zuckerkügelchen nur wenige oder gar keine Moleküle davon mehr enthalten.