Neoautoritäre Subjekte in der Krise

Du hast ein Problem? Ich hab AfD

In der Krise der liberalen Demokratie wird die Krise des autoritären Charakters sichtbar.

Kommen jetzt die Nazis? Oder gar die Sachsen? Soll man emigrieren, selbst auf das Risiko hin, dann im selben Flüchtlingslager zu landen wie die verbissensten der Antideutschen, sozusagen im zwölften Lesekreis der Hölle? Ein riesiges umzäuntes Areal, matschiger Boden. Kleine Grüppchen von Menschen sitzen im Dreck und reden nicht miteinander, vor allem aber nicht mit den anderen im Dreck sitzenden kleinen Grüppchen. Eine junge Frau, gehüllt in eine zerlumpte Israelfahne, wankt benommen umher und murmelt: »Wertkritik … Räterepublik … George W. Bush«. An einer Baracke lehnt ein Schild mit der Aufschrift »Stop the (Iranian) bomb!« Mehrere Leute mit traurigen Gesichtern kommen gerade vom Armeebüro zurück, wollten gegen Deutschland kämpfen. Man hat sie nicht genommen, Psychotest vermasselt.
Soweit lassen wir es besser nicht kommen. Aber was ist los in Deutschland? Manche sagen: »Da ist gar nix besonderes los, da hält nur die neue europäische Normalität Einzug im vorgeblichen antifaschistischen Musterschülerland, und zu dieser Normalität gehören halt auch sich institutionell festkrallende Rechtsaußenparteien.« Aber mit Deutschland ist das so eine Sache. Was anderswo nur halb ernst gemeint ist, ist hierzulande serious shit, und deswegen schauen wir, wo die Probleme liegen.
Deutschland hat ein Männerproblem. Das Meinungsforschungsinstitut Emnid hat Anfang Januar für Bild am Sonntag erhoben, wer die AfD wählen würde. 17 Prozent der befragten Männer wollten der Rechtspartei ihre Stimme geben, aber nur zwei Prozent der Frauen. Das liegt wohl am Angebot der AfD, die gute alte Zeit zurückzubringen, in der der pater familias noch was galt, Frauen durch fehlende Sexualaufklärung und erschwerten Zugang zu Verhütung und Abtreibung viele Kinderlein kriegten und bei Verweigerung der ihnen zugedachten Rolle mit Prügeln, legaler Vergewaltigung, sozialer Ausgrenzung und Zwangspsychiatrie gefügig gemacht werden konnten.
Deutschland hat ein Mittelschichtsproblem. Einer Auswertung des Berliner Forsa-Instituts für den Stern zufolge verfügt fast die Hälfte der AfD-Anhänger über ein monatliches Einkommen von mindestens 3 000 Euro. Das sind Beamte, Lehrerehepaare, Kleinternehmerinnen, Landwirte – der »rückständigste Teil der Nation«, wie schon Trotzki feststellte.
Deutschland hat ein Arbeiterproblem. In keiner anderen Bevölkerungsgruppe ist der Anteil an Nichtwählerinnen, aber auch an AfD- und NPD-Wählern höher. Die Arbeiterklasse war seit der Regierungszeit Gerhard Schröders politisch heimatlos und fühlte sich aus guten Gründen von der SPD nicht mehr vertreten. Rechtswähler aus der Arbeiterklasse sind den Nachwahlbefragungen zufolge jene, die AfD oder Schlimmeres vor allem aus Protest und nicht so sehr aus Überzeugung wählen.
Gräbt man tiefer, wird in der Krise der liberalen Demokratie eine Krise des autoritären Charakters sichtbar. Durch die Überproduktion und die damit stärkere soziale Undurchlässigkeit sehen immer mehr Menschen ihre Hoffnungen enttäuscht, für Anpassung und ständige Selbstoptimierung mit einem warmen Plätzchen belohnt zu werden, und wer auf einem dieser warmen Plätzchen hockt, hat Angst, dieses wieder zu verlieren. Die Autoritären ziehen daraus aber nicht den Schluss, es mal mit Rebellion oder gar Revolution zu versuchen, denn eine kritische Auseinandersetzung mit dem zurichtenden Charakter des Krisenkapitalismus würde das Risiko beinhalten, die Selbstwahrnehmung als »anständiger«, also die Sekundärtugenden verinnerlicht habender Mensch zu beschädigen und zu erkennen, dass man nur auf der Krücke der »Prothesen-Sicherheit« (Erich Fromm) durchs Leben gehumpelt war. Sie reagieren stattdessen mit Aggression.
Noch vor 20 Jahren konnte, wer in Deutschland sein Einkommen verlor, damit rechnen, einerseits ein den gewohnten Lebensstandard halbwegs aufrechterhaltendes Arbeitslosengeld zu bekommen und andererseits realistische Chancen zu haben, dieser damals ohnehin noch relativ milden sozialen Deprivation in absehbarer Zeit wieder entrinnen zu können. Seit Umsetzung und steter Verschärfung der rot-grünen Agenda 2010 ist es damit vorbei. Hartz IV gewährt Arbeitslosen gerade noch die nackte Existenz und auch die nur unter der ständigen Drohung, selbst dieser mittels »Sanktionen« verlustig zu gehen. Und eine Rückkehr in den Kreis jener, die nicht andauernd gedemütigt werden und prekär leben müssen, gelingt immer seltener. Die Schröder-Fischer-Bande hat damit zwar das sadistische Bedürfnis weiter Bevölkerungsteile nach Bestrafung der Arbeitslosen befriedigt, aber auch eine glimmende Zündschnur an den bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaftsvertrag gelegt. Der Deal, wonach für Wohlverhalten ökonomische Sicherheit geboten wird, wurde einseitig aufgekündigt.
AfD und andere Rechtsaußenparteien setzen auf diese Wut der gekränkten und verängstigten Autoritären und bieten ihnen einfachste Scheinlösungen an.