Entweihung einer Popikone

Das »Barcamp Frauen« gibt es seit 2010. Laut Wikipedia ist ein Barcamp »eine offene Tagung mit offenen Workshops, deren Inhalte und Ablauf von den Teilnehmern zu Beginn der Tagung selbst entwickelt und im weiteren Verlauf gestaltet werden«. Beim »Barcamp Frauen« geht es um Themen wie zum Beispiel Frauen im Kapitalismus oder Feminismus in Beziehungen. Doch daneben kam in diesem Jahr auch etwas zur Sprache, wovon einige wohl lieber geschwiegen hätten: der Antisemitismus der eigenen Szene.
»In jedem beliebigen Demoaufruf findet sich eine Aufzählung von Diskriminierungsformen, in der meist – zwar an letzter Stelle, aber immerhin – dann auch Antisemitismus genannt wird«, erläuterte die feministische Bloggerin Merle Stöver ihre Motivation, eine Session zum Thema »Feminismus und Antisemitismus« an­zubieten. Dabei wisse niemand, was das eigentlich genau sei, »aber man hat ja schließlich nichts gegen Juden«.
Besonders sollte es um die Frage gehen, wie man mit antisemitischen Gruppen in Bündnissen umgehen solle. Dass der Blick dabei auch auf das »#ausnahmslos-Bündnis« fiel, zu dessen Erstunterzeichnerinnen mehrere prominente Unterstützerinnen der israelfeindlichen Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) zählen (Jungle World 3 und 4/2016), gefiel einer von diesen ganz und gar nicht: Laurie Penny, Ikone des Popfeminismus. Auf Twitter empörte sie sich darüber, dass Stöver sie angeblich eine »antisemitische Feministin« genannt habe, und ließ ihre 130 000 Follower auf die Bloggerin los.
Vom Netz übertrug sich die Empörung direkt in die Session, unter anderem durch Katharina Florian von »Edition Nautilus«, dem deutschen Verlag Pennys. Nach einer heuchlerisch wirkenden Entschuldigung für den Shitstorm im Namen Pennys beschwerte sich Florian darüber, dass Stöver sich nicht privat an Penny gewandt habe – ganz so, als wäre die Session eine beleidigte Reaktion auf einen privaten Konflikt und nicht etwa eine politische Auseinandersetzung.
Aufgrund der online erfolgten Reaktionen sprach das Organisationsteam Stöver seine Solidarität aus und stellte ihr eine Modera­torin zur Seite. Das war auch bitter nötig, denn statt über den Umgang mit Antisemitismus in der feministischen Bewegung zu diskutieren, boten einige Teilnehmerinnen eher einen Beweis für die Notwendigkeit der Debatte. Den Tiefpunkt bildete ein Statement, das mit »Wir waren ja alle schon einmal in Yad Vashem« begann und sich als Forderung nach dem Recht auf »Israel-Kritik« entpuppte.
Der Hinweis auf die betriebene Täter-Opfer-Umkehr und den darin steckenden Antisemitismus löste bei mehreren Teilnehmerinnen klassische Abwehrmechanismen aus. Schließlich sei es ja schon »heftig«, wenn man jemanden als Antisemit bezeichne. Stattdessen, wünschte sich ein Teilnehmer, solle man lieber von »anti­semitischen Stereotypen« sprechen und überhaupt endlich mal erklären, was das eigentlich sein solle. Am Ende diskutierte man noch ein bisschen, ob die Referentin nicht eigentlich einen zu starken »Bias« habe, eine einseitige Sichtweise also, weil sie doch gerade erst aus Israel zurückgekommen ist. Dass ein solcher »Bias« auch bei einem anderen Thema als Antisemitismus bemängelt worden wäre, ist zu bezweifeln.