Sieg der Hardliner. Die Asylpolitik der Grünen in Baden-Württemberg

Grüne Grenzer

Diese Woche soll die Liste sogenannter sicherer Drittstaaten ein weiteres Mal ergänzt werden. In den vergangenen Jahren geschah dies stets mit Hilfe der Grünen. Deren Wahlsieg in Baden-Württemberg war auch eine Zustimmung zur harten Linie in der Asylpolitik.

Am Freitag steht erneut eine Entscheidung im Bundesrat über die erweiterte Anwendung der Drittstaatenregelung an. In den respektablen Kreis der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten sollen Marokko, Tunesien und Algerien aufgenommen werden. Die Drittstaatenregelung wurde 1993 als politische Antwort auf die rassistischen Pogrome und Ausschreitungen im Zuge der Wiedervereinigung eingeführt. Als Ursache der Gewalt wurde nicht Rassismus, sondern die angeblich enorme Zuwanderung nach Deutschland gesehen. Kritiker sprachen damals von einem Kniefall vor dem Mob von Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda sowie einer faktischen Abschaffung des Asylrechts, da sich Deutschland aufgrund seiner geographischen Lage mit dem neuen Artikel 16a des Grundgesetzes der humanitären Verantwortung entzog, Verfolgten Schutz zu bieten. 1997 wurde diese Regelung im Dublin-Abkommen auf die ganze EU ausgedehnt.
Die Grünen, 1993 in der Opposition, kritisierten den Beschluss heftig. Vom Ende des Asylrechts und von der Schändung des Grundgesetzes war im Bundestag die Rede. »Wir dürfen es nicht zulassen, dass dem dumpfen Wahn der Nationalisten, ihrem Gebrüll und ihrer Gewalt Grundwerte unserer Demokratie geopfert werden«, sagte der grüne Abgeordnete Konrad Weiß damals vergeblich. In den Folgejahren forderten die Grünen regelmäßig die Streichung des Zusatzes. Noch 2012 traten sie für die Rückkehr zum alten Asylrecht ein.
Indessen wurde die Liste der angeblich sicheren Herkunftsstaaten immer länger. Mittlerweile gehören alle Staaten des ehemaligen Jugoslawien, Albanien, der Senegal und Ghana dazu. Dabei hatten die Grünen mit ihrem Einzug in verschiedene Landesregierungen die Möglichkeit bekommen, ihre Ablehnung der Drittstaatenregelung in die Tat umzusetzen. Schließlich muss jede Erweiterung der Liste den Bundesrat passieren, bevor sie wirksam wird. Aber es kam anders: Die Aufnahme weiterer sicherer Herkunftsstaaten wurde nicht gegen den Willen der neun Landesregierungen durchgesetzt, in denen die Grünen mitregieren, sondern mit Unterstützung der Partei.
Eine besondere Rolle spielt Winfried Kretschmann. Er ist nicht nur der erste grüne Ministerpräsident in Deutschland, sondern seit den Wahlen in Baden-Württemberg am Sonntag zugleich der erste Spitzenkandidat, unter dem die Grünen in einem Bundesland zur stärksten Kraft wurden. Was zugleich zeigt, dass seine harte Linie in der Flüchtlingsfrage offenbar auf wachsende Zustimmung stößt. Im September 2014 stimmte er der Einstufung von Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als sichere Herkunftsstaaten zu – trotz großer Kritik aus seiner eigenen Partei und von Menschenrechtsgruppen. Ein Jahr später wurde die Liste dann mit seiner Hilfe als Verhandlungsführer der Grünen im Bundesrat um Albanien, Montenegro und den Kosovo erweitert. Diese Woche dürfte Kretschmann voraussichtlich ein weiteres Mal dabei helfen, dass Menschen leichter in Länder abgeschoben werden können, »in denen gefoltert wird, demokratische Grundrechte missachtet und die Menschenrechte von Minderheiten verletzt werden«, wie Pro Asyl schreibt.
Auch wenn er mit seiner Politik regelmäßig den linken Flügel der Grünen verärgert, ist Kretschmann ein Glücksfall für die Partei. Ihren Wählern aus der »Mitte« beweist sie die häufig beschworene Regierungsfähigkeit, während sich der progressive Flügel auf den bad boy einschießen kann. Kretschmann ist aber weniger eine Ausnahme als vielmehr Ausdruck eines innerparteilichen Wandels. Als er 2014 der ersten Asylrechtsverschärfung zustimmte, war das Entsetzen bis in die Parteiführung noch groß. Der grüne Ministerpräsident habe das Menschenrecht auf Asyl für »einen Appel und ein Ei verdealt«, sagte Volker Beck, der damalige innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Claudia Roth sprach von einem »rabenschwarzen Tag für unser Grundrecht auf Asyl«. Bei der erneuten Zustimmung Kretschmanns im Oktober 2015 fiel die Kritik schon deutlich leiser aus.
Wie die internen Mehrheitsverhältnisse tatsächlich aussehen, konnte man dann kurz darauf beim Bundesparteitag in Halle beobachten. Keine Störung durch die Grüne Jugend während Kretschmanns Rede, stattdessen viel Applaus und ein Beschluss, in dem steht: »Dabei ist klar, dass nicht alle, die in Deutschland Asyl beantragen, auch bleiben können.« 2014 hingegen hatte Kretschmann selbst noch betont: »Das Boot ist nie voll.« Mittlerweile kann man hören, »dass das Boot keineswegs voll ist, aber zu kentern droht, wenn wir nicht aufpassen«, wie Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister Tübingens, sagte.
Palmer ist der andere bad boy der Grünen. Er sprach sich im Spiegel gegen »Pippi-Langstrumpf- oder Ponyhof-Politik« aus und forderte stattdessen den militärischen Grenzschutz der EU ein – durchaus im Wissen, dass dies Zustände wie derzeit in Idomeni produziert. »Wir müssen das aushalten, weil sonst Europa, das Vertrauen in den Staat, unser sozialer Zusammenhalt« auf dem Spiel stehe, so der Bürgermeister. Außerdem gäbe es solche Bilder nur für wenige Tage und »wer noch schreien kann, hat genug Kraft zu überleben«.
Pro Asyl sprach von einem »flüchtlingsfeindlichen Überbietungswettbewerb« führender Grüner. Kretschmann und Palmer sind dabei aber keine Sonderfälle, sondern vielmehr ein Bild der Zukunft der Grünen auf ihrem Weg in die Mitte, die wiederum immer weiter nach rechts driftet. Diejenigen, die diese Politik nicht unterstützen wollen, fühlen sich offenbar allein gelassen. Die hessische Landtagsabgeordnete Mür­vet Öztürk trat im vergangenen Herbst aus ihrer Fraktion aus, da sie die »Verschärfung des Asylrechts auf Kosten Schutzsuchender« nicht mittragen wollte. Ihre Parteikollegen hingegen reden von »pragmatischem Humanismus«, wie Kretschmann es nannte, und politischer Verantwortung. Den zweifelhaften Erfolg dieser grünen Realpolitik zeigt das Beispiel des ersten »Asylkompromisses«. Kretschmanns Zustimmung zur Ausweitung der Zahl sicherer Herkunftsstaaten wurde unter anderem mit der von ihm durchgesetzten Abschaffung der Residenzpflicht gerechtfertigt. Nun will die Bundesregierung diese wieder einführen.
In der Diskussion über Kretschmann geht es aber um mehr als nur asylrechtliche Fragen. Die Grünen müssten das »Kollektivtrauma« Kosovo-Krieg überwinden, sagte die Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz neulich dem Tagesspiegel. Die damalige Zustimmung der Grünen zum ersten deutschen Kriegseinsatz seit Ende des Zweiten Weltkriegs habe zwar viele Mitglieder verprellt, aber die Partei zugleich für neue geöffnet. Dieser Mut zu Positionen, die der eigenen Klientel unbequem sind, sei auch ein Grund für den Erfolg Kretschmanns, so Deligöz. Die Strategie, die Leute dort abzuholen, wo sie stehen, ist angesichts der zunehmenden rassistischen Stimmung überaus gefährlich. Selbst die Taz musste im vergangenen Jahr nach einem Interview mit der Bundesvorsitzenden der Grünen erschrocken feststellen: »Simone Peter fällt kein einziges Tabu ein. Alles ist Verhandlungsmasse.«
Der Wahlsieg der Grünen in Baden-Württemberg wird Kretschmann und Palmer innerparteilich auch auf Bundesebene größeren Einfluss verleihen. Die Partei dürfte deshalb weiterhin bemüht sein, ihre Flüchtlingspolitik ständig der Stimmung im Land anzupassen. Vergangene Woche probte Kretschmann kurz vor der Wahl die nächste grüne Grenzüberschreitung und nahm den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer in Schutz. »Wer von einer Obergrenze von 200 000 redet, der schottet sich doch ganz offensichtlich nicht ab«, sagte der grüne Ministerpräsident in der Taz. Daher sei es »völlig überspannt«, Seehofer »in die rechtsextreme Ecke zu schieben«. Aus der Perspektive Kretschmanns mag dies durchaus Sinn ergeben. Die politische Einordnung anderer ist bekanntlich relativ zu den eigenen Einstellungen.