Gewalt gegen Frauen im südsudanesischen Bürgerkrieg

Horror und Häppchen

Ein neuer UN-Bericht beschreibt detailliert das brutale Vorgehen der Bürgerkriegsparteien im Südsudan und die sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder.

Es ist ein Dokument des Grauens und der absoluten Enthemmung einer brutalen Soldateska: Am Freitag vergangener Woche legte das Büro des UN-Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) seinen Bericht über die Verbrechen der Kriegsparteien im südsudanesischen Bürgerkrieg vor. Massenvergewaltigungen, willkürliche Morde, Verbrennungen bei lebendigem Leib und eine Politik der Zerstörung waren im Berichtszeitraum – speziell im vergangenen Jahr – an der Tagesordnung. Detailliert beschreibt der Bericht das grausame Vorgehen vor allem der Regierungstruppen, der aus der gleichnamigen Rebellengruppe hervorgegangenen Sudan People’s Liberation Army (SPLA), und der mit ihnen verbündeten Milizen. In ihm wird festgehalten, dass Vergewaltigungen »eine akzeptable Praxis unter den SPLA-Soldaten und den Milizen« seien.
»Die Vielzahl der Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen, die in dem Bericht beschrieben werden, sind nur eine Momentaufnahme der Realität«, sagte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Seid Ra’ad Al-Hussein, anlässlich der Vorstellung des Berichts. »Das ist eine der entsetzlichsten Menschenrechtssituationen der Welt, mit dem massiven Gebrauch von Vergewaltigung als Instrument des Terrors und als Kriegswaffe – aber sie findet keine internationale Aufmerksamkeit.« Für den Bericht wurde zwischen Oktober 2015 und Januar 2016 vor Ort recherchiert, er liefert ein Bild der Zustände in den Bundesstaaten Unity und Upper Nile sowie Western und Central Equatoria, die besonders von Gewalt betroffen waren.
Seit der Absetzung des stellvertretenden Präsidenten Riek Machar im Dezember 2013 durch den amtierenden Präsidenten Salva Kiir Mayardit befindet sich der Südsudan im Krieg. Er hatte nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges erst im Jahre 2011 seine Unabhängigkeit vom Norden erlangt. Es geht bei den Auseinandersetzungen, die Millionen Menschen vertrieben und bisher mindestens 50 000 Menschen das Leben gekostet haben, um die Privatisierung und Verteilung der Einnahmen aus dem Ölgeschäft und der Entwicklungshilfe. In den Aufbau von Institutionen, Infrastruktur und einer öffentlichen Verwaltung wurde nichts investiert. So ist der Südsudan heute ein Land ohne Staat, in dem militärische Unternehmer den Ton angeben, die ihre Gefolgsleute oft in der eigenen Großfamilie oder dem Clan rekrutieren.
Die nun einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gewordenen Verbrechen im Südsudan lassen selbst langjährige Beobachter des Landes ratlos zurück. Alex de Waal, derzeit Direktor der World Peace Foundation und Professor an der Fletcher School der Tufts University in Massachusetts und seit 30 Jahren in der Region als Beobachter und Vermittler tätig, kommentiert im Gespräch mit der Jungle World: »Es gibt keine einleuchtende Erklärung für das Niveau der Grausamkeit, das die Kriegsteilnehmer an den Tag legen. Das liegt jenseits dessen, was jede Sozialwissenschaft erklären kann.« Dennoch macht er eine Strategie hinter der extremen Gewalt aus: Da die politischen Fraktionen und bewaffneten Gruppen nicht in der Lage seien, ihre Anhänger zu bezahlen, regulierten sie den Wettbewerb durch Gewalt. »Das beinhaltet die Reduzierung des Wertes ihrer Konkurrenten durch die Zerstörung ihrer sozialen Basis. Und sie belohnen ihre eigenen Leute durch die Lizenz zum Plündern und Vergewaltigen.«
Ein auf internationalen Druck vor allem westlicher Staaten und der Regionalorganisation Intergovernmental Authority on Development (IGAD) zustandegekommenes Friedensabkommen wurde im August vergangenen Jahres unterzeichnet. Doch die darin enthaltenen Vereinbarungen – speziell die Wiedereinsetzung Machars sowie die Demilitarisierung der Hauptstadt Juba – wurden bisher nicht umgesetzt. »Der Friedensschluss im Südsudan ist im Kern eine Verteilung von Renten. Diese Art von Abkommen ist nur funktionsfähig, wenn es eine Erhöhung der Ressourcen gibt, die zur Verteilung stehen. Das ist nicht der Fall. Deshalb ist der Vertrag dem Untergang geweiht und die internationale Gemeinschaft hat keine Strategie«, so de Waal.
Während im Südsudan brutale Gewalt besonders gegen Frauen und Kinder weiterhin an der Tagesordnung ist, werden in New York auf Einladung der Vereinten Nationen Häppchen gereicht. Wie die New York Times berichtete, sollen am Donnerstag dieser Woche die Ehefrauen der beiden Rivalen Salva Kiir und Riek Machar bei einer von UN Women, einer Unterorganisation des Staatenbundes, organisierten Diskussion sprechen. Am International Peace Institute, das des Öfteren Veranstaltungen der UN organisiert, werden Mary Ayen Mayardit und Angelina Teny ihre Gedanken »zu den Schlüssellektionen aus dem Friedensprozess im Südsudan« teilen, so die UN. »Die Diskussionsteilnehmerinnen werden ihre Ziele für die Fortsetzung des Wiederaufbaus im Südsudan ausführen und erklären, wie sie sich vorstellen, dass Frauen eine größere Rolle in der südsudanesischen Regierung und Gesellschaft in der Zukunft spielen können.« Beide Damen sind bestens in das klientelistische Herrschaftssystem des Landes integriert.
Seit mehreren Generationen kennen die Bewohnerinnen und Bewohner des Südsudan nur Krieg und Vertreibung, Morde und Vergewaltigungen. Die großen Hoffnungen auf eine bessere Zukunft nach der Abspaltung vom islamistisch regierten Nordsudan haben sich in kürzester Zeit in Luft aufgelöst. Auch die sogenannte internationale Gemeinschaft trägt dafür Verantwortung. Zwar wünschte sich die überwältigende Mehrheit der Südsudanesinnen und Südsudanesen die Unabhängigkeit, doch die State Builder in den globalen Organisationen ließen zu, dass sich eine durch und durch korrupte und mörderische Clique an der Spitze des Staates etablierte. Die Ansprüche, die sie zu befriedigen hat, sind gewaltig: Hunderttausende ehemalige Befreiungskämpfer stehen auf der Gehaltsliste der Regierung, doch aufgrund des Verfalls des Ölpreises sind die Kassen leer. Zu erwarten ist – nicht zuletzt angesichts des internationalen Desinteresses – eine Verstetigung des Terrors gegen die Zivilbevölkerung ohne Aussicht auf einen dauerhaften Frieden.