Paul van Dyk klagt gegen die AfD

Pathosbad vor Gericht

Paul van Dyk hat einen Anwalt eingeschaltet, um dem AfD-Politiker Björn Höcke das Abspielen des Lieds »Wir sind wir« bei seinen öffentlichen Auftritten zu verbieten.

Früher lief es meist umgekehrt. Politiker ließen bestimmte Kunstwerke verbieten. Wurde eine Bundesprüfstelle oder eine andere Institution auf kritische Künstler und ihre Arbeiten aufmerksam, erhöhte das oft die Bekanntheit der Werke. Gustave Flauberts Roman »Madame Bovary«, »God Save the Queen« von den Sex Pistols oder der Film »Das Gespenst« von Herbert Achternbusch erschienen durch die Zensurdebatte nur noch interessanter.
Es hat sich gesellschaftlich etwas verändert, wenn heute Musiker den Politikern etwas untersagen möchten. Junge Talente ebenso wie etablierte Stars passen gut zur Politik und suchen oft sogar die persönliche Nähe zu Volksvertretern. Klaus Meine, der Sänger der Scorpions, liefert, wenn er lächelnd neben Gerhard Schröder steht, dafür ein Beispiel. Es ist nicht verwunderlich, wenn Politiker die Balzrufe, die von Musikern zu hören sind, als Zustimmung verstehen. Popmusik bekommt mittels der offiziellen Politik aber etwas, das ihr gar nicht gut bekommt, nämlich einen Auftrag. Sie wird vor einen parteipolitischen Karren gespannt. Musiker merken in letzter Zeit, dass sie sich damit in eine Verhältnis begeben haben, das ihre künstlerische Freiheit einschränkt. Sie reagieren darauf leicht panisch und ziehen vor Gericht. Cool, calm and collected geht anders.
Wenn Musiker Politikern die Benutzung ihrer Stücke verbieten – wie etwa die Toten Hosen, die ihr Lied »Tage wie diese« nicht von der CDU spielen lassen wollten –, dann ist das aus mehreren Gründen peinlich. Denn zu den frohen Botschaften, die Popmusik überbringt, zählt, dass sie von allen gehört werden will. Stimmungen kann sie verstärken, Gedanken bereichern oder sogar erst in Gang setzen. Die Musik will für alle da sein.
Wenn ein Musiker nach Veröffentlichung eines Stückes bekundet, dass das so nun auch wieder nicht gemeint war, macht er eine schlechte Figur. Er verwandelt sich dann in einen kleinlichen Kulturhausmeister, der verstockt auf der Einhaltung gesellschaftlicher Tischmanieren beharrt und sich sogar bereit zeigt, sie vor Gericht durchzusetzen. Aus Angst ergreift er scharfe Maßnahmen. Es gibt für ihn offenbar nichts Besseres zu tun, als den Schaden zu begrenzen.
So wandeln sich die Rollen: Paul van Dyk sieht plötzlich unglamourös aus.
Dass das umstrittene Lied Höcke in den AfD-Kram passt, liegt nicht zuletzt an Sänger Peter Heppner. Der auch für die Deutschrock-Band Wolfsheim tätige Gothic-Pop-Interpret Heppner mag wohlig-gruselnde Atmosphäre. Für »Wir sind wir. (Ein Deutschlandlied)« steuerte er den Text und den Gesang bei, seine Stimme weht mit novemberdunkler, zarter Inbrunst heran und hinweg. Sie klingt nach unterdrückter Wut. Heppners Gesang badet im Pathos wie Siegfried im Drachenblut.
In »Wir sind wir« erzählt er, dass nach dem Zweiten Weltkrieg Häuser für Leute gebaut wurden, die nicht mehr darin wohnen konnten, weil sie vorher zu Hause gestorben oder in der »Schacht gefallen« waren. Ob das die Gründe dafür sind, dass die Häuser »leer« blieben, lässt der Song aber offen, so wie die Tafeln an vielen Häusern in deutschen Städten, auf denen zum Beispiel steht: »Zerstört 1943; Wiederaufgebaut 1959«. Die Inschrift wie auch der Song legen nahe, dass die Deutschen nie etwas anderes geplant und getan hätten, als Häuser zu bauen. Und wurde eines zerstört, ließ man ein bisschen Zeit ins Land gehen, und dann konnte es, wie Heppner tatsächlich singt, »auferstehen«.
Mittlerweile aber, stellt Heppner mit Bedauern fest, wird über die Hausbauer »lieber gar nicht mehr« gesprochen. Für ihre Verdienste hat der Sänger ein furchteinflößendes Bild gefunden: »Aus Asche haben wir Gold gemacht.« Doch die undankbare Kinder- und Enkelbrut hat nicht nur das, sondern auch sich selbst vergessen, weshalb Heppner für uns alle fragt, wer wir sind. Er antwortet mit einem Text voller sprechender Begriffe: Ruinen, viele Fenster leer, keine Wiederkehr. Aufgeteilt, besiegt. Traum vollbracht, aus Asche Gold gemacht. Nichts mehr wert, superreich und abgebrannt. Wir sind wir.
Der Erfolg des Stücks von 2001 beruht auf seiner Anschlussfähigkeit an Haltungen und Stimmungen wie in den fünfziger Jahren der BRD. Zu denken wäre an den Zorn des kleinen Mannes, den der Schauspieler Heinz Rühmann so gern spielte. Der nette Kerl, der immer wieder auf die Mütze kriegt und keine Möglichkeit findet, das an ihm begangene Unrecht zu artikulieren. Vielen Deutsche bedeuteten Rühmanns Auftritte Balsam für ihre Seele.
Ein heutiger Rechter kann eine Mischung aus einem Böhse-Onkelz-Fan und Heinz Rühmann sein. Für diesen Typ hat Peter Heppner Worte zur Musik von Paul van Dyk gefunden. Sein Gesang ist der wirkungsvolle Versuch, ein Ressentiment schick klingen zu lassen. Eine Fähigkeit, die den meisten Nazi-Bands zum Glück immer noch fehlt. Bei denen kann einen der Vorwurf, dass sie nicht sehr gut spielen oder singen können, nur glücklich stimmen.
Allzu große Sorgen, dass Höcke und Konsorten nun auch nach anderen Stücken greifen, muss sich aber niemand machen. Denn Rechte halten von Mainstream-Musikern und Bands meistens so viel wie Donald Trump von mexikanischen Einwanderern, die er bekanntlich als drogensüchtige Vergewaltiger beschrieben hat.
Paul van Dyk und Peter Heppner haben haben selber Schuld. Van Dyk stellt sich trotzdem nicht hin und sagt, dass der Grund für die Verwendung des Stücks durch die AfD in dem Stück selbst zu suchen ist, dass also »Wir sind wir« in diesem Sinn schiefgegangen ist. Van Dyk und Heppner wenden sich nicht an ihr Publikum, um eine Erklärung zu versuchen. Sie treten stattdessen lieber nicht als Künstler, sondern als Autoritäten auf. Das passt kaum. Genauso gut könnte der Gott Dionysos auf die Idee kommen, sich beruflich neu zu orientieren, indem er Falschparkern Strafzettel hinter Scheibenwischer klemmt.