Kubanische Spitzensportler auf der Flucht

Schwarzmarktware Baseballspieler

Menschenschmuggler und Drogenkartelle verdienen viel Geld damit, die Flucht kubanischer Spitzenspieler zu organisieren.

Der kubanische Botschafter in der Dominikanischen Republik, Carlos De la Nuez López, war außer sich, als bekannt wurde, dass die beiden Brüder Yulieski und Lourdes Gourriel Jr. ein Turnier in dem Land genutzt hatten, um sich von der kubanischen Mannschaft in Santo Domingo abzusetzen. Im Morgengrauen des 8. Februar waren sie in einem Fahrzeug mit Militärkennzeichen davongefahren, wie Augenzeugen später berichteten.
Die filmreife Flucht löste in Kubas Sportwelt mittlere Schockwellen aus. Kein Spieler, der in den vergangenen Jahren die Insel Richtung USA verlassen hat, hatte annähernd den Status und das Prestige des 31jährigen Yulieski Gourriel sowie eine derartige Bedeutung für den kubanischen Baseball-Sport – symbolisch, sportlich und wirtschaftlich. Er und sein neun Jahre jüngerer Bruder Lourdes Jr. gelten als die Gegenwart und die Zukunft des kubanischen Baseballs und gehören zu den wenigen noch auf der Insel verbliebenen Stars. Gehörten, muss man sagen.
Botschafter De la Nuez López beschuldigte gegenüber der in Santo Domingo erscheinenden Tageszeitung Listín Diario den Major der dominikanischen Luftstreitkräfte, William Solís, in die Flucht involviert zu sein. Solís soll wiederholt im Spielerhotel aufgetaucht sein; Videoaufnahmen belegten dies, so De la Nuez López. Überhaupt seien die kubanischen Spieler von verschiedenen »Persönlichkeiten«, die mit dem »Raub von Athleten« in Verbindung stehen, »belagert« worden, beklagten Mitglieder der kubanischen Delegation.
Wohl nicht zuletzt auf kubanischen Druck hat sich die dominikanische Regierung des Falls angenommen und eine Untersuchungskommission eingesetzt. Mitte Februar verkündete Verteidigungsminister Máximo Williams Muñoz Delgado die Festnahme von Solís sowie einer weiteren mutmaßlich in die Flucht verwickelten Person. »Es laufen Ermittlungen, sowohl gegen ihn (Solís, Anm. der Red.) wie auch andere involvierte Soldaten. Sie werden verhört und später wird die Presse das Ergebnis der Untersuchungen erfahren«, erklärte Muñoz Delgado.
Solís’ Anwalt José Ariza hält seinen Mandanten dagegen für unschuldig und deutet auf Amín Latoufe, einen Geschäftsmann mit haitianischen Vorfahren, als Hauptverantwortlichen. Auch die in Miami erscheinende Tageszeitung Nuevo Herald hält Latoufe für eine Schlüsselfigur im Geschäft mit kubanischen Baseballspielern, vor allem mit jenen, die Unterschlupf und Aufenthalt in Haiti suchen. Die Brüder Gourriel sollen sich dem Vernehmen nach in Haiti aufhalten. Es wird spekuliert, dass sie haitianische Papiere erhalten könnten. Anderen Quellen zufolge soll Yulieski Gourriel bereits einen panamaischen Aufenthaltstitel besitzen.
Um in der US-Profiliga MLB spielen zu können, müssen kubanische Spieler nachweisen, resident (Einwohner) eines anderen Landes als Kuba zu sein. Erst dann dürfen sie von einem US-amerikanischen Club angestellt werden. Denn die US-Blockadebestimmungen untersagen jedem US-amerikanischen Unternehmen, also auch der Baseballliga MLB, jedwede kommerzielle Verbindung mit Kuba. Zwar gäbe es für kubanische Flüchtlinge auch die Möglichkeit, direkt in die USA zu kommen und am draft, einem Auswahlverfahren von Nachwuchsspielern, teilzunehmen. Doch in der Regel erhalten sie dann deutlich niedriger dotierte Verträge. Wer aber den Umweg über Haiti, die Dominikanische Republik oder Mexiko wählt und sich als Einwohner dieser Länder ausweisen kann, gilt als free agent und kann auf Millionensummen hoffen.
Die Flucht der Gourriels wäre ohne die US-Blockade gegenüber Kuba, jenem Relikt aus Zeiten des Kalten Kriegs, nicht nötig. Die kubanische Regierung erlaubte im Jahr 2013 Sportlern, Profiverträge in ausländischen Ligen zu unterschreiben. Yulieski Gourriel spielte unter anderem bei den Yokohama Bay Stars in der japanischen Profiliga. Die US-Gesetzgebung jedoch zwingt kubanischstämmige Profis, jede Verbindung nach Kuba abzubrechen – eine Regelung, die einzig für kubanische Sportler gilt.
Das hat dazu geführt, dass ein ­regelrechter Schwarzmarkt für kubanische Baseball-Spieler entstanden ist. Oft sind es Exilkubaner mit Verbindungen auf die Insel, die die »Desertionen« talentierter Spieler organisieren. Über ein Netzwerk sprechen sie kubanische Spieler an und überreden sie mit Versprechungen von Geld und Ruhm in der wichtigsten Baseball-Liga der Welt, ihr Land zu verlassen. Sie heuern Schnellboote und Schleuserbanden an, beschaffen Aufenthaltspapiere, oft durch Bestechung, und stehen in Kontakt mit Spieleragenten, die die Millionenverträge mit den Clubs aushandeln. Ein lukratives Geschäft: Seit 2009 haben mindestens 25 aus Kuba geflüchtete Spieler Verträge im Wert von mehreren Hundert Millionen US-Dollar unterschrieben.
»Es gibt keinen Zweifel, dass der rote Faden Menschenhandel ist, begangen durch skrupellose Personen, die vorgeben, das Wohlergehen der Spieler im Sinn zu haben, aber im Grunde nur ans Geld denken. Hier wird nichts umsonst oder aus Idealismus gemacht, aber die ganze Situation hinterlässt ein wachsendes Klima der Kriminalität, das der Rest der Gesellschaft bezahlt«, sagte der Jurist Avelino González dem Nuevo Herald. Als Anwalt war er in die Fälle der kubanischen Baseball-Stars Yasiel Puig und Aroldis Chapman eingebunden, die nach ähnlich spektakulären Fluchtgeschichten heutzutage zu den Stars der MLB gehören. »Ich will nicht verhehlen, dass die Jungs nur ihre persönliche Freiheit suchen, um ihre Träume zu erfüllen, aber wir werden sehen, wie viel Geld aus zukünftigen Verträgen sie das kostet.«
Da der Großteil der Kosten im Vorfeld anfällt, müssen die Schmuggler ihre Operationen manchmal über »Investoren« finanzieren. Diese erhalten dafür einen Anteil an den künftigen Einnahmen der Spieler – gewöhnlich zwischen 20 und 30 Prozent des Werts des ersten Profivertrags. In die Flucht von Puig war damals mutmaßlich das als besonders brutal geltende mexikanische Drogenkartell Los Zetas verwickelt.
Im Rahmen der politischen Annäherung zwischen Washington und Havanna suchen der kubanische Base­ballverband und die US-Profiliga nun nach Möglichkeiten geordneter Transfers kubanischer Spieler in die USA. Erst im Dezember war eine MLB-Delegation in Kuba, um Felder künftiger Zusammenarbeit abzustecken. Die MLB hat zudem bei der US-Regierung eine spezielle ­Genehmigung beantragt, nach der US-Proficlubs künftig kubanische Spieler unter Vertrag nehmen könnten. Eine Antwort steht noch aus.
Es wurde erwartet, dass Yulieski Gourriel zum Symbol dieser kubanisch-US-amerikanischen Baseball-Wiedervereinigung werden würde. Der erste Millionenvertrag nach offiziellen Verhandlungen – mit Gewinnern auf allen Seiten: die US-Liga, der Spieler und der kubanische Verband wegen seines Anteils an den Zahlungen. Doch zuletzt erklärte Heriberto Suárez, Commissioner des kubanischen Verbands, die Dinge bräuchten noch Zeit, es sei noch einiges zu klären. Viel Zeit aber bleibt dem bald 32jährigen Yulieski Gourriel nicht mehr. Also haben sein jüngerer Bruder und er in einer Nacht-und-Nebel-Aktion das kubanische Mannschaftshotel in Santo Domingo unter noch aufzuklärenden Umständen verlassen und ihr Schicksal wie so viele vor ihnen in die Hand du­bioser Spieleragenten gelegt. Es wird gemutmaßt, Yulieski könnte schon bald einen 100-Millionen-Dollar-Vertrag unterschreiben. Die New York Yankees und weitere Clubs sollen interessiert sein.