Rechtsextremismus im thüringischen Altenburg

Sie spielen das deutsche Blatt

Auch im thüringischen Altenburg demonstrieren Bürger gegen Flüchtlinge. Der sozialdemokratische Oberbürgermeister schweigt. Eine Ausstellung beklagt zudem den »Bombenholocaust« an den Deutschen.

Im Februar überfielen zwei vermummte Männer einen Supermarkt in der Kleinstadt Altenburg in Thüringen. Sie erbeuteten eine »beträchtliche Menge Geld«, wie die Lokalpresse berichtete. Diese sah offenbar die Notwendigkeit, darauf hinzuweisen, dass die beiden Täter »deutsch ohne ausländischen Akzent« gesprochen hätten.
Dieser Hinweis wäre nicht nötig gewesen. Der Pressekodex empfiehlt Journalisten, nur dann die Religionszugehörigkeit oder die Herkunft eines Verdächtigen oder Täters zu erwähnen, wenn ein »begründeter Sachbezug« zur Straftat besteht. Der Wink an die Leser, dass gewöhnliche Deutsche am Werk waren, schien den Lokalblättern aber offenbar wichtig. Angesichts der Stimmung in Altenburg ist der ungewöhnliche Hinweis durchaus verständlich.
Altenburg gehört zu dem hochtrabend als »Metropolregion Mitteldeutschland« bezeichneten Gebiet zwischen Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen. Die ehemalige Residenzstadt mit ihren knapp 33 000 Einwohnern ist überregional nur deshalb bekannt, weil Anfang des 19. Jahrhunderts dort aus dem Kartenspiel Schafkopf der Skat entwickelt wurde. Vor allem in Ost- und Süddeutschland benutzt man das in Altenburg erfundene »deutsche Blatt«, während zum Beispiel in Norddeutschland hauptsächlich mit dem »französischen Blatt« gespielt wird.
Seit dem Ende der DDR sind über ein Drittel der Einwohner aus Altenburg weggezogen oder verstorben. Es wäre also genügend Platz für Flüchtlinge vorhanden. Doch viele Bürger lehnen deren Unterbringung ab. Selbstverständlich gebe es »Ängste, Sorgen, einen gewissen Unmut, dass von 1 250 Flüchtlingen im Landkreis 1 000 in Altenburg sind«, sagte der Oberbürgermeister Michael Wolf (SPD) kürzlich dem Deutschlandfunk. Das seien schließlich »80 Prozent der Flüchtlinge des gesamten Landkreises«.
Seit Ende November protestiert ein »konstruktiver Kreis von Bürgern aus Altenburg und dem Altenburger Land«, das sogenannte Bürgerforum, gegen die »verfehlte Asylpolitik«. In einem offenen Brief forderte der Zusammenschluss den Oberbürgermeister und die Landrätin Michaele Sojka (»Die Linke«) dazu auf, 23 Fragen zur Flüchtlingspolitik zu beantworten. Mit großer Sorge beobachte man »eine völlig aus der staatlichen Kontrolle geratene Politik der offenen Grenzen, die eine Masseneinwanderung unkalkulierbaren Ausmaßes hervorgerufen hat«, stand in dem Schreiben. Kritiker würden »völlig undifferenziert als ausländerfeindlich oder gar rechtsradikal diffamiert«, um sie »zum Schweigen zu bringen«.
»Wie begründet man, dass Flüchtlinge in der Regel nach einer gewissen Zeit den ALG-II-Satz erhalten, ohne jemals in die Sozialsysteme eingezahlt zu haben und ohne dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen«, lautete eine Frage des Altenburger »Bürgerforums«. Landrätin Sojka antwortete: »Hier haben wir aufgrund des demographischen Wandels das Problem, dass immer weniger sozialversicherungspflichtig Tätige immer mehr Rentner finanzieren müssen.« Sie gehe davon aus, dass sich infolge der derzeitigen Ausgaben in der Flüchtlingspolitik in nächster Zukunft ein wirtschaftlicher Konjunktureffekt einstelle. In Thüringen herrsche ein Fachkräftemangel, der nur durch Zuwanderung behoben werden könne. In der Debatte über Zuwanderung sei es dringend notwendig, genau zu »differenzieren zwischen legitimen Befürchtungen und tatsächlich bestehenden Gefahrenlagen«, so die Landrätin in ihrer Stellungnahme.
Ihre Antworten besänftigten die vermeintlich besorgten Bürger aus Altenburg nicht. In den folgenden Wochen und Monaten organisierte das »Bürgerforum« sieben Demonstrationen und mehrere Saalveranstaltungen. Höhepunkt der Kampagne war Anfang Februar der Auftritt Jürgen Elsässers vor etwa 500 Zuhörern. Der Chefredakteur des Magazins Compact behauptete in seiner Rede, dass Angela Merkel »sich über die Verfassung und über das Recht und über das Gesetz« hinwegsetze, »als wäre sie einsam auf dem Obersalzberg oder in der Wolfsschanze«. Die Medien in der Bundesrepublik bezeichnete er als »Einheitspresse«, es handle sich um eine »Gleichschaltung ohne Goebbels«.
Unter den Zuhörern war auch der sozialdemokratische Oberbürgermeister, er saß beinahe die gesamte Zeit über regungslos in der ersten Reihe. Das zog nicht nur innerparteiliche Kritik nach sich. »Das ist vielleicht ein Fehler gewesen«, räumte er im Deutschlandfunk ein. Sein prominenter Sitzplatz habe nichts mit seinen politischen Ansichten zu tun. »Das war ganz einfach ein Akt von Höflichkeit«, so Wolf. Schließlich hätten ihm die Veranstalter den Platz in der ersten Reihe angeboten. Er habe keine Reaktion gezeigt, weil aufzustehen ein Signal gewesen wäre, »dass ich diesen ganzen Menschen, die dort sitzen, ja logischerweise auch frontal zu erkennen gebe, dass ich mit dem allen nichts zu tun haben will«. Und überhaupt: »An dem Tag war es nicht meine Aufgabe, Märtyrer zu sein.«
Sein Parteigenosse, der Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung, Peter Reif-Spirek, erwartet dagegen von demokratischen Politikern, dass sie widersprechen, wenn sie eine solche Veranstaltung besuchen. »Eine politische Kultur, die rechte Entwicklungen nicht sanktioniert, sondern sie immer wieder zudeckt mit dem Mantel des Schweigens, hat ganz entscheidend zu der Radikalisierung in den neunziger Jahren geführt«, sagt er. Gerade in Altenburg entwickelt sich nach seiner Ansicht »ein der Weimarer Republik ähnliches völkisches Milieu, in dem unterschiedliche politische Kräfte zusammenarbeiten: Rechtspopulisten, rechte Hooligans, Leute, die eine sogenannte freie Holocaustdebatte fordern«.
Die neueste Attraktion in der Stadt ist die von dem Gastronomen Jürgen Lange eröffnete Dauerausstellung »2 000 Jahre – Des deutschen Volkes Leidensweg«. Dieses Panoptikum soll einer Pressemitteilung des Ausstellers zufolge den »2 000 Jahre währenden Leidensweg des deutschen Volkes« dokumentieren, »angefangen von der römischen Fremdherrschaft und der Zwangschristianisierung über die Herrschaft der Templerorden, die religiösen Glaubenskriege, die Hexenverfolgung, den Befreiungskrieg, das Leiden der Menschen im Ersten und Zweiten Weltkrieg, den alliierten Bombenholocaust über Deutschland (insbesondere in Dresden) bis hin zur sowjetischen Besatzung und bis heute andauernden amerikanischen Vorherrschaft in Deutschland«. Immer sonntags um 10.30 Uhr beginnt die Führung durch die Ausstellung. Danach ist für »Schmaus, Trank und Kurzweil« in einer von Langes Gaststätten gesorgt.