Proteste gegen das neue Arbeitsgesetz in Frankreich

Valls’ riskantes Spiel

Ein regressives Arbeitsgesetz sorgt in Frankreich für Protest. Die Regierung kündigt eine Entschärfung des Gesetzentwurfs an.

Zum zehnten Geburtstag gab es ein Ständchen. An der Party nahmen mehrere Hunderttausend Menschen teil, und es werden noch weitere erwartet. So könnte man den Jahrestag jener Sozialproteste beschreiben, die zum letzten Mal in Frankreich eine Regierung zum Nachgeben zwingen konnten.
Im März und April 2006 fanden landesweit Demonstrationen mit bis zu drei Millionen Teilnehmern gegen den Contrat première embauche (CPE, Erst­einstellungsvertrag) statt. Mit ihm sollte in Arbeitsverhältnissen für unter 30jährige Lohnabhängige der Kündigungsschutz faktisch ausgehebelt werden. Die massenhaften und teilweise auch militanten Proteste brachten Staatspräsident Jacques Chirac damals dazu, den Gesetzentwurf zurückzuziehen.
Die Studierendengewerkschaft Unef forderte vor kurzem die junge Generation in Frankreich dazu auf, den zehnten Jahrestag zu feiern. Und zwar mit neuen Demonstrationen, Kundgebungen und lautstarken Unmutsbekundungen. Gegenstand der keineswegs musealen Zwecken dienenden Proteste ist dieses Mal ein Gesetzentwurf, der von vielen kurz als loi travail (Arbeitsgesetz) bezeichnet wird. Er trägt den Titel loi El Khomri, benannt nach der formal zuständigen, doch in diesem Fachbereich komplett unerfahrenen Arbeits- und Sozialministerin Myriam El Khomri.
Dieser Gesetzentwurf, der in Wirklichkeit von Premierminister Manuel Valls direkt diktiert wurde, war erstmals Mitte Februar vorgestellt worden. Vermutlich glaubte Valls, durch die monatelangen Debatten über Notstand und Ausbürgerungspläne für mutmaßliche Terroristen seien die Franzosen hinreichend abgelenkt, um sich nicht um solche Kleinigkeiten wie Arbeitsrecht zu kümmern. Auch schienen Gewerkschaften und Linke nach mittlerweile vierjähriger politisch-sozialer Depression unter Präsident François Hollande weitgehend gelähmt und handlungsunfähig.
Das änderte sich nach dem Bekanntwerden des Entwurfs. Eine von der Feministin Caroline De Haas – als alleiniger Erstunterzeichnerin – am 18. Februar lancierte Petition hatte bereits Anfang März eine Million Unterschriften. Einzelgewerkschaften mobilisierten an ihren zunächst noch träge wirkenden Vorständen vorbei, über Internet und soziale Medien. Aber auch die Obeschüler- und Studierendenverbände setzten sich in Bewegung.
Nach kurzer Zeit kritisierte selbst die rechtssozialdemokratisch geführte CFDT den Entwurf – der zweitstärkste Gewerkschaftsdachverband in Frankreich, der seit 1995 mehrmals regressive Reformen von sozialdemokratischen wie konservativen Regierungen unterstützt hat. Denn ihre Leitung war zwar vorab konsultiert worden, doch wurden nachträglich in den Gesetzentwurf noch vom Arbeitgeberverband inspirierte Änderungen aufgenommen, die der CFDT nicht bekannt waren. Davon zeigte sie sich negativ überrascht.
Zu den Veränderungen gehört die geplante Erleichterung von betriebsbedingten Kündigungen. Davon war die CFDT vorab ebenso wenig unterrichtet worden wie von dem Plan, gerichtlich zu erstreitende Abfindungen bei sozial ungerechtfertigten Kündigungen zu deckeln. Die Regierung möchte statt einer Untergrenze, wie sie bisher gilt, künftig eine Obergrenze einführen, die die Arbeitsrichter nicht überschreiten dürfen. Und zwar im Namen der »Rechtssicherheit« für Unternehmen, die ungerechtfertigt entlassen.
Diese beiden Bestimmungen wuren am Montag relativiert – sie werden zwar beibehalten, aber die Rolle der Arbeitsrichter wird gestärkt. Denn nach den Demonstrationen vom Mittwoch voriger Woche, an denen der Polizei zufolge landesweit 224 000, nach Angaben der Gewerkschaften eine halbe Million Menschen teilnahmen, hat die Regierung eine Entschärfung des Gesetzentwurfs angekündigt. Die CFDT verhandelte unterdessen um den Preis für ihre Zustimmung, während andere Gewerkschaftsverbände – die stärkere CGT, aber auch etwas kleinere Dachverbände wie FO und Solidaires – sowie Studierendenorganisationen den Abbruch der Reform fordern.
Was die anderen Gewerkschaften, nicht aber die CFDT, ebenfalls verhindern möchten, ist etwa die Aufhebung des Vetorechts für die Mehrheitsgewerkschaften im Unternehmen gegen ein schlechtes Kollektiv­abkommen. Bislang können in Frankreich – wo Gewerkschaftspluralismus besteht – Minderheitengewerkschaften eine Vereinbarung unterzeichnen, wenn sie im Betrieb mindestens 30 Prozent der Stimmen unter den Beschäftigten repräsentieren. Doch Mehrheitsgewerkschaften, die mindestens 50 Prozent repräsentieren, können das Inkrafttreten der Bestimmungen verhindern, wenn sie ihr Veto binnen einer Woche einlegen. Die Regierung will diese Bestimmung aufheben. In der Praxis ist die CFDT häufig in der Position der Minderheitsgewerkschaft, die Abkommen unterzeichnet, in denen auch von den Beschäftigten zu bringende »Opfer« vorgesehen sind.
Zudem eröffnet der Entwurf Möglichkeiten zur Verlängerung der Arbeitszeit. Um die Zustimmung der CFDT zu erhalten – die am Montag tatsächlich ihre Unterstützung für den Entwurf erklärte –, wurde die Deckelung der Abfindungen bei ungerechtfertigten Kündigungen relativiert. Den Richtern wird eine Tabelle mit eingegrenzten Abfindungssummen vorgeschlagen, sie können jedoch auch davon abweichen, wenn sie es ausdrücklich wünschen. Auch milderte die Regierung die Bestimmung ab, derzufolge der Arbeitgeber in kleinen und mittleren Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten allein entscheiden soll, welche Lohnabhängigen nach »Arbeitszeitpauschalen« arbeiten. Bei ihnen werden Überstunden nicht abgerechnet, sondern alle Arbeitsstunden bis zu einem gesetzlichen Maximum von 13 Stunden pro Tag gelten als mit dem Lohn abgegolten. Diese Möglichkeit bleibt offen, doch soll sie ausgehandelt werden.
Überdauert hat die in dem Entwurf enthaltene Bestimmung, wonach eine flexibilisierte Arbeitszeit auf bis zu drei Jahre bemessen werden kann. Das bedeutet, dass die Regelarbeitszeit von 35 Stunden pro Woche nur im dreijährigen Mittel erreicht werden müsste, was innerhalb dieses Zeitraums sehr viel längere Arbeitswochen zulässt. Bislang gilt, dass die Regelarbeitszeit im einjährigen Mittel erreicht werden muss, wenn dies mit den Gewerkschaften ausgehandelt wurde – oder im Monatsmittel bei einseitiger Entscheidung des Arbeitgebers. Die Regierung möchte die letztgenannte Frist auf vier Monate ausdehnen. Das bedeutet vor allem, dass viele Überstunden nicht als solche bezahlt werden und dass die abhängig Beschäftigten je nach Auftragslage des Unternehmens mal länger, mal kürzer arbeiten müssen. Allerdings muss nach Valls‘ Zugeständnissen vom Montag mit den Branchengewerkschaften statt im Betrieb darüber verhandelt werden.
Auch akzeptiert die CFDT die vorgesehene Bestimmung, wonach mit »Arbeitsplatzsicherung« begründete Abkommen im Unternehmen die Löhne senken oder Arbeitszeiten verlängern können. Arbeitnehmern, die sich dem widersetzen, droht demzufolge künftig die Kündigung. Die Jugendorganisationen, insbesondere die Unef, sowie die CGT und die FO rufen zu neuen Protesten auf, da sie den Entwurf auch weiterhin ablehnen. Am Donnerstag findet der Protesttag statt.