Diskriminierung und Gewalt gegen Roma in Bulgarien

Fluchtgrund Antiziganismus

Die Europäische Union bemüht sich mit verschiedenen Programmen um die Inklusion von Roma. Doch in vielen Ländern bleiben Diskriminierung und Gewalt gegen Roma an der Tagesordnung, wie das Beispiel Bulgarien zeigt.

»Hier kann man doch nicht leben! Die Menschen werden krank, die Stadtverwaltung kümmert sich um nichts«, beschwert sich ein Anwohner, der sich als Arkadij Vladimirowitsch vorstellt. Tatsächlich ist der Zustand der Bauten rund um die Kalinastraße miserabel: hinter den Häusern stapelt sich auf Flächen groß wie Fußballplätzen Abfall, der Kindern als Ersatz für Spielzeug dient; es gibt faktisch kein Abwassersystem, so dass neben den Bordsteinen ein silbrig-graues Rinnsal fließt. In dem kleinen Stadtteil Stolipinowo am Rande der bulgarischen Großstadt Plov­div leben rund 40 000 Roma. Dass Geld aus diversen EU-Programmen in das Viertel geflossen sein soll, glaubt der empörte Anwohner nicht. »Zappzarapp!«, ruft er und macht eine Geste mit der Hand, die Diebstahl andeuten soll, er misstraut der bulgarischen Regierung. Etwas weiter stehen zwei Polizeiwagen, die von den Stadtteilbewohnern argwöhnisch beäugt werden. Ein junger Mann, der Deutsch spricht, erklärt: »Hier werden fast täglich Razzien durchgeführt, die Polizei sucht nach Drogen.« Er erzählt, dass er acht Jahre in der Dortmunder Nordstadt gelebt hat. Ausweichend reagiert er auf Nachfragen, weshalb er zurückgekehrt sei. »Viele Leute von hier fahren nach Dortmund, doch viele kehren auch wieder zurück.«
Die Flucht der Roma aus dem Elend beschäftigt auch die Europäische Union. Anfang März hat der Europarat einen neuen »Thematischen Aktionsplan« für die Inklusion von Roma und Travellern beschlossen, es geht vor allem das Empowerment von Frauen und Mädchen. Zwischen 2016 und 2019 sollen 20 Millionen Euro für verschiedene Maßnahmen ausgegeben werden, etwa Sensibilisierungsprogramme gegen Zwangs­ehen und häusliche Gewalt und die Förderung von Schulbesuchen. Beginnen sollen die Programme dieses Jahr in Griechenland, Italien und Litauen. »Das Empowerment von Romagemeinden, um ihre eigene Zukunft zu gestalten, ist der Schlüssel, um die Diskriminierung zu beenden«, so Thorbjørn Jagland, der Generalsekretär des Europarats.
Bereits 2005 wurde die »Dekade der Romainklusion« ausgerufen. Der Zusammenschluss der größtenteils osteuropäischen Länder setzte sich hohe Ziele. Durch die Einbeziehung von nichtstaatlichen Organisationen, Akteuren aus der Zivilgesellschaft und Roma-Aktivisten sollte die Diskriminierung von Roma ein Ende finden. »Nichts für Roma ohne Roma« lautete das Motto des Mammutprojekts. Im Dezember 2015 endete es und die Bilanz der Dekade ist ernüchternd. Eines der Ziele, Roma in staatliche Prozesse einzubinden – zum Beispiel bei der Formulierung des EU-Rahmens für nationale Strategien zur Integration der Roma – konnte nicht erreicht werden. Entweder wurden keine Roma zu solchen Verhandlungen eingeladen oder die wenigen Geladenen wurden von Seiten der Politiker nicht ernstgenommen. Die Taktik der Initiatoren der Inklusionsdekade, ausgewählte junge Roma zu Führungspersönlichkeiten auszubilden, wie es im Abschlussbericht heißt, ging nicht auf. Eine solche Praxis kann die Auserwählten zwar empowern, aber sie beruhte auf der Erwartung, durch die Ausbildung »kompetenter Roma« könnte rassistischen Ressentiments entgegengewirkt werden. Verheerend ist dabei die zynische Verschiebung des Fokus bei der Bekämpfung von Rassismus von den Rassisten auf die Betroffenen. In diesem Sinne sollten die Rassisten überzeugt werden, dass Roma mit internationaler Hilfe auch intelligent sein können.
Die Errungenschaft der Dekade liegt darin, Aufmerksamkeit für die katastrophalen Lebensbedingungen vieler Roma geschaffen zu haben – zumindest auf politischer Ebene. In Bulgarien hat sich für die meisten Roma während der Dekade jedoch nicht viel geändert. Insbesondere die Bildungssituation ist immer noch miserabel: während Kinder aus einkommensschwachen Familien generell schlechtere Bildung erhalten als andere Kinder, kommt bei Romakindern der Aspekt der ethnischen Segregation hinzu. Das European Roma Rights Centre (ERRC) berichtet, dass Roma in Bulgarien die höchste Rate an Analphabeten aufweisen und nur 14,8 Prozent der Roma eine weiterführende Schule besuchen.
Die Bildungssituation wird durch die Wohnungsnot verschlimmert. Nachdem die damalige stalinistische Regierung Ende der Fünfziger ein Gesetz erlassen hatte, das Roma zu einem permanenten Aufenthalt an einem Ort zwang, wurden in den sechziger Jahren Siedlungen für Roma erbaut, die ihnen diesen Wohnraum bieten sollten, meistens in wenig attraktiven Wohngegenden. Nun sollen viele dieser Häuser abgerissen werden. Die Regierung toleriert zwar oft deren Bewohner, doch ihr Wohnstatus bleibt unklar, die Häuser können offiziell jederzeit abgerissen werden. Diese Praxis führte dazu, dass im September vergangenen Jahres Roma aus ihrem Wohngebiet in der bulgarischen Gemeinde Gurmen ohne jegliche Vorwarnung vertrieben wurden. Der Räumung waren monatelange Proteste von Rechtsextremen und Fußball-Hooligans aufgrund einer Auseinandersetzung zwischen Roma und Nicht-Roma im Bezirk vorausgegangen. Die Polizei schaffte es nicht, die Einwohner vor Angriffen zu schützen.
Angestachelt wurde der rassistische Mob von diversen Politikern; sowohl von Anhängern der rechtsextremen Partei Patriotische Front als auch von rechtsliberalen Vertretern wurden schlimmste rassistische Beleidigungen und Vorurteile gegen Roma geäußert, die von den Medien verbreitet wurden. So wundert es nicht, dass diese Pogromstimmung auch zu körperlichen Angriffen führte. Das ERRC berichtete etwa von einem Angriff auf einen Rom und seine erwachsenen Söhne in einem Bus in der Hauptstadt Sofia im Juni vergangenen Jahres. Rechte Skinheads hatten die drei Roma mit Baseballschlägern angegriffen und verletzt. Im nordwestlichen Vidin ließ die Regierung, statt der sozialen Segregation und Polarisierung in der Gesellschaft vorzubeugen, vergangenes Jahr eine Mauer um ein Romaviertel bauen – angeblich aus Sicherheitsgründen, um Unfälle auf den daneben verlaufenden Bahngleisen zu verhindern.
Trotz des strukturellen und alltäglichen Rassismus, der körperlichen Gewalt und der Armut, denen Roma in Bulgarien ausgesetzt sind, gilt es als sicheres Herkunftsland. Die Europäische Kommission stellt für den Zeitraum zwischen 2014 und 2020 rund 90 Milliarden Euro für ihre Mitgliedsstaaten zur Verfügung, um Minderheiten wie Roma besser zu integrieren. Jedoch werfen Projekte wie die »Dekade der Romainklusion« die Frage auf, ob bisherige Strategien an der Armut und den schlechten Lebensbedingungen vieler Roma etwas ändern können. Tano Bechev, einer der Autoren des Abschlussberichts der Dekade für Romainklusion und langjähriger Aktivist für Romarechte, fasst seine Erfahrungen im Kampf gegen die Diskriminierung von Roma im Bericht über die Dekade zusammen: »Alles, was Roma wollen, ist die Möglichkeit zu arbeiten und normal zu leben.« Es sei traurig, das zu sagen, »aber der einzige Weg, ein normales Leben zu führen, ist, Bulgarien zu verlassen.«