Neonazis protestieren gegen einen anarchistischen Buchladen in Dortmund

Gegen Bücher, ohne Odin

Die Dortmunder Neonaziszene mobilisierte gegen einen neu gegründeten anarchistischen Buchladen, um vor dem »Tag der deutschen Zukunft« Stärke zu demonstrieren. Was sie erreichte, war eine Solidarisierung aller demokratischen Parteien mit dem angefeindeten Alternativprojekt.

Als Mitte Februar klar wurde, dass der anarchistische Buchladen »Black Pigeon« und eine Fotogalerie in die Scharnhorststraße 50 in Dortmund einziehen würden, war die Freude bei den meisten Nachbarn groß. Das Ladenlokal in dem Haus, an dessen Kiosk einst der Nazischläger Siegfried »SS-Siggi« Borchardt mit Billigbier seine verbliebenen Gehirnzellen bekämpfte, stand lange leer. Und dass eine Buchhandlung und kein Wettbüro oder Handyladen in die großen Räume kommen würde, sahen die meisten Anwohner als ein gutes Zeichen für den Teil der Nordstadt an, der Hafenquartier genannt wird und in dessen oft schön renovierten Altbauten viele Studierende und Szenegänger leben.
Wohl im Rahmen ihrer PR-Strategie vor dem für Anfang Juni in Dortmund geplanten Umzug »Tag der deutschen Zukunft« begannen die Nazis eine Kampagne gegen den Buchladen: Ein eher klägliches Häuflein von sechs Rechtsextremen demonstrierte vor dem Büro des Vermieters gegen dessen Vertrag mit den Anarchisten, es gab offene Briefe und zwei Mal wurden die Fensterscheiben des Ladens noch vor der Eröffnung nachts eingeworfen.
Doch alle Aktionen der Nazitruppe von »Die Rechte«-Ratsherr Michael Brück blieben erfolglos: Dass sie ein Unternehmen unter Druck setzten, um eine Vermietung zu verhindern, sahen alle Parteien als Angriff nicht nur auf ein paar Anarchos, sondern auf den Standort Dortmund. Nachdem die Stadt über Jahre hinweg das wachsende Naziproblem ignoriert hatte, wollte man diesmal offenbar alles tun, um sich später nicht dem Vorwurf auszusetzen, eine Entwicklung verschlafen. Hätten die Nazis mit ihren Protesten gegen die Ansiedlung des Buchladens Erfolg gehabt, könnten sie ja auf den Geschmack kommen, künftig auch gegen eine Dependance einer israelischen Softwarefirma oder einer US-Handelskette zu protestieren. In einer Zeit, in der angesichts von Pegida und AfD immer mehr ausländische Unternehmen und Wissenschaftler dem Standort Deutschland skeptisch gegenüberstehen, wollte man offenbar einen Erfolg der Nazitruppe verhindern.
Kommunalpolitiker intervenierten erfolgreich bei dem Immobilienunternehmen, um es von wohl vorhandenen, aber juristisch wenig erfolgversprechenden Plänen abzubringen, den Anarchisten zu kündigen. Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD), dem niemand die geringsten Sympathien für die Gedankenwelt des Anarchismus unterstellen würde, äußerte, er wünsche keine Kündigung des Anarcho-Buchladens, und Bezirksvertreter von CDU, SPD, Linken und Grünen nahmen die Einladung zur Eröffnung des Ladens am 18. März an. Sogar die AfD äußerte sich empört über die Anschläge auf den Buchladen. Auch die Anwohner zeigten sich solidarisch mit den Anarchisten, besuchten sie beim Umbau und brachten auch mal Kuchen vorbei. In der Nordstadt sind Nazis ungefähr so beliebt wie eine schwer zu behandelnde Geschlechtskrankheit, außer ein paar Suffkameraden von SS-Siggi meiden sie das Viertel.
Am Eröffnungstag spielten vom frühen Nachmittag an Bands und Liedermacher in den neuen anarchistischen Räumlichkeiten. Die Gelegenheit, sich als Party-Crasher zu betätigen, wollten die Dortmunder Neonazis sich nicht entgehen lassen und riefen zu einer Kundgebung gegen den Buchladen auf. Die Nazis wollten zeigen, dass sie keine, wie sie es nannten, »rechtsfreien Räume« in der Stadt dulden. Dieser Schuss ging nach hinten los. Über 200 Menschen besuchten die Eröffnung des »Black Pigeon« und protestierten gegen die Nazis. So viele Besucher hätte der anarchistische Laden wohl kaum ohne diese Werbung bekommen.
Bei den Nazis hingegen sah es eher schlecht aus. Gerade einmal 30 Rechtsextreme hatten sich zur Kundgebung eingefunden. Der Großteil von ihnen, etwa 25, kam erst mit einer 40minütigen Verspätung am Kundgebungsort an. Autonome Antifaschisten hatten sie beim Ausstieg aus der U-Bahn empfangen und ihnen den Weg zur Kundgebung versperrt. Die Polizei brauchte eine ganze Weile, um sich eine Alternativroute für die Nazis auszudenken und diese gegen die Antifaschisten durchzusetzen. Nach knapp einer Stunde Kundgebungszeit beendeten die Nazis ihre Veranstaltung gegen das »Black Pigeon« relativ unspektakulär und mussten sich im Gänsemarsch auf dem Bürgersteig zum Hauptbahnhof begeben. Von dem sonst bei Aufmärschen zur Schau gestellten Selbstbewusstsein war an diesem Abend nicht viel zu merken.
Die Nazis aus Dortmund kämpfen derzeit mit mehreren Problemen. Ihre Kampagnen, egal ob gegen Flüchtlingsunterkünfte oder gegen das »Black Pigeon«, sind nicht nur erfolglos, sondern stärken eher die Gegenseite. In den Stadtteilen, in denen sie am stärksten gegen Asylsuchende gehetzt haben, gibt es Pro-Refugee-Bündnisse, und das »Black Pigeon« hat breite ­Solidarität erfahren. Zudem sind die Nazis derzeit stark mit sich selbst beschäftigt. Nachdem sie sich in der Silvesternacht eine Straßenschlacht mit der Polizei geliefert hatten, wurden im Februar mehrere Wohnungen der Rechten durchsucht. Bei einem SEK-Einsatz in diesem Zusammenhang wurde Odin, der Hund eines Neonazis, erschossen. Das sorgte für große Aufregung in der Naziszene. Außerdem wurden in den vergangenen Wochen mehrere Kader der Partei »Die Rechte« zu Haftstrafen verurteilt, so dass deren personelle Basis immer schmaler wird – fähiger Nachwuchs ist derzeit nicht in Sicht.
Es läuft also schlecht für die Dortmunder Nazis. Im Juni planen sie den »Tag der deutschen Zukunft« als bundesweites Großevent. Der Aufmarsch soll in der Nordstadt stattfinden. Die ist ein durch Einwanderer geprägter Stadtteil und gilt unter Dortmunder Linken als Szenekiez. Damit wollen die Nazis zurück zu altem Ruhm finden, denn seit es in Sachsen rassistische Großmobilisierungen gibt, schaut kaum noch jemand in der Szene nach Dortmund. Die Kundgebung gegen das »Black Pigeon« war ein erster Test der Rechtsextremen, um zu schauen, was sie in der Nordstadt erreichen können. Sie sind erfolglos geblieben. Die 30 Teilnehmenden waren für die Szene eine Enttäuschung, kamen doch zu kurzfristig angesetzten Kundgebungen vor einigen Jahren noch über 100 Neonazis. Eine Fanal, um Nazis aus anderen Bundesländern im Juni nach Dortmund zu locken, sieht anders aus.