Die Anschläge in Brüssel

Jihad 3.0

Vom Pariser Bataclan bis nach Brüssel zieht sich die Spur französischer und belgischer Jihadisten, die vom »Islamischen Staat« nach Europa beordert wurden, um Massaker zu begehen.

»Wenn Terroristen und Waffen zusammengekommen sind, ist man einem Angriff sehr nahe«, so zitierten am Dienstagvormittag belgische Medien Innenminister Jan Jambon. Da war der Angriff in Brüssel bereits im Gange. Am Flughafen Zaventem hatten zwei Explosionen (zumindest eine davon ein Suizidattentat) für mindestens 10 Tote und 90 Verletzte gesorgt, in der Metrostation Maelbeek explodierte ein Sprengsatz in einem U-Bahnwagen, was mindestens 20 Menschen das Leben kostete und über 100 verletzte. Am späten Nachmittag bekannte sich der sogenannte Islamische Staat nach Angaben einer ihm nahestehenden Agentur zu den Anschlägen. In Brüssel und Umgebung fanden Hausdurchsuchungen statt, über die eine Nachrichtensperre verhängt wurde, und hektisch wurde nach weiteren potentiellen Attentätern gefahndet.
Vier Tage zuvor war Salah Abdeslam, einer der Hauptverdächtigen der Pariser Gemetzel vom 13. November, die am Stadion von Saint Denis, im Bataclan und in Cafés 130 Todesopfer gefordert hatten, im Brüsseler Stadtteil Molenbeek verhaftet worden. Eine Polizei­operation am Dienstag voriger Woche in Forest, gelegen in der Brüsseler Region, hatte letztlich zu seiner Festnahme geführt. Bei dieser Hausdurchsuchung inklusive Schießerei wurde Mohammed Belkaid erschossen, der Polizei zufolge höchstwahrscheinlich eine zentrale Figur in den Pariser Attentaten, zwei Personen flüchteten. Stunden nach der missglückten Operation setzte der Anruf einer Bekannten von Abd­eslam die belgische Polizei auf dessen Spur.
Abdeslam wird verdächtigt, die Logistik für die Attacken von Paris und Saint-Denis organisiert zu haben, insbesondere durch das Anmieten von Autos und Wohnungen. Er kam als einziger der Pariser Attentäter mit dem Leben davon, weil er nach französischen Medienberichten seinen Sprengstoffgürtel in Paris in einem Mülleimer entsorgte, statt die Reise in die ewigen Jagdgründe anzutreten, und blieb seither, vier Monate lang, unentdeckt in Belgien.
Mittlerweile gibt es haufenweise Indizien dafür, dass die Massaker in Paris vom November in Belgien vorbereitet wurden. Telefonate der Angreifer am Stadion und vor den Pariser Restaurants nach Belgien in den Stunden und Minuten vor den Attacken legen zudem nahe, dass ein Brüsseler Netzwerk bislang unbekannter Komplizen die Pariser Attentäter unterstützte. Viele von diesen waren nach Angaben von CNN auf einem Monate zuvor in Syrien aufgenommenen Snuff-Video eines IS-Medienteams dabei zu sehen, wie sie Gefangenen die Kehle durchschnitten.
Was ist der Zweck des ganzen Gemeuchels? Gilles Kepel schreibt darüber in seinem Buch »Terreur dans l’Hexagone«: »Jenseits des Schreckens, den er auslöst, ist der Terror tatsächlich dazu bestimmt, die in Ghettos fragmentierte ›ungläubige‹ Gesellschaft ›wild zu machen‹ (tawahhoush), bis sie in einem Bürgerkrieg der Enklaven untergeht. Diese apokalyptische und verrückte Idee der Jihadisten wird geschürt von dem Phantasma einer möglichen Rekrutierung ihrer Glaubensgenossen, die sich von der ›Islamophobie‹ – angefacht im Gegenzug zu den von den Islamisten begangenen Gemetzeln – viktimisiert fühlen würden und umso mehr bereit seien, sich unter ihrem blutigen Banner zu sammeln.«
Von einem solchen provozierten Bürgerkrieg ist Europa weit entfernt. Aber die Netzwerke, die Terrorattacken wie in Paris und zuletzt in Brüssel organisieren, sind weit größer, als die Behörden bislang vermuteten. Und sie agieren unterhalb von deren Radar.