Der NSU-Untersuchungsausschuss im Brandenburger Landtag

CDU als Antifa

Im Brandenburger Landtag soll im April ein NSU-Untersuchungs­ausschuss eingesetzt werden. Neben der SPD hat sich auch die Linkspartei lange gegen ein solches Gremium gesperrt. Maßgeblich durchgesetzt haben ihn die oppositionellen Christdemokraten.

Aller Voraussicht nach wird der Brandenburger Landtag im April die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) beschließen. Es wäre das siebte derartige Gremium auf Länderebene. Zentraler Untersuchungsgegenstand soll die Zusammenarbeit des Brandenburger Verfassungsschutzes mit dem V-Mann »Piatto« sein.
Hinter diesem Decknamen verbarg sich der Neonazi Carsten Szczepanski. Der in Westberlin geborene Szczepanski war in den neunziger Jahren eine maßgebliche Größe im Nazimilieu des Berliner Umlandes. Er versuchte dort eine Dependance des Ku-Klux-Klans zu errichten. 1992 wurde gegen ihn ohne Ergebnis wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung ermittelt, nachdem in einer von ihm angemieteten Wohnung Rohrbomben und Material zum Bombenbau gefunden worden waren. Ebenfalls 1992 versuchte er zusammen mit anderen Nazis einen nigerianischen Asylbewerber zu ermorden, wofür er 1995 zu acht Jahren Gefängnis verurteilt wurde.
Während der Untersuchungshaft bot er sich dem Brandenburger Verfassungsschutz (VS) als V-Mann an. Der Inlandsgeheimdienst heuerte Szczepanski als Top-Quelle an und belohnte ihn mit einer Vielzahl ungewöhnlicher Vergünstigungen. So verschaffte ihm der VS frühzeitig Freigang aus der Haft. Regelmäßig holte ihn sein V-Mann-Führer Gordian Meyer-Plath von der Justizvollzugsanstalt ab und fuhr ihn zu Treffen und Konzerten, über die er dann später berichtete. Nach seiner Enttarnung 2000 wurde Szczepanski in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Meyer-Plaths Karriere ging weiter bergauf, 2012 wurde er Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Nach dem Bekanntwerden des NSU wurde öffentlich, dass Szcze­panski dem Brandenburger VS schon 1998 berichtet hatte, dass das abgetauchte Trio aus Jena sich Waffen für Banküberfalle verschaffen wolle – unterstützt von der sächsischen Sektion des Netzwerkes »Blood-and-Honour«.
Der in diesem Zusammenhang laut werdenden Kritik an der Zusammenarbeit des VS mit Szczepanski begegnete der ehemalige Brandenburger Innenminister Alwin Ziel (SPD) mit der Behauptung, er habe dazu, geplagt von moralischen Skrupeln, den damaligen Präsidenten des Zentralrates der Juden, Ignatz Bubis, um Rat gefragt. Der 1999 verstorbene Bubis habe ihm angeblich zugeraten, da die so erlangten Informationen wichtig für den Schutz vor rechten Gewaltakten sein könnten. Eine weitergehende Untersuchung der Frage, inwieweit der Brandenburger VS in die Waffenbeschaffung des Trios und dessen Schutz vor Strafverfolgung involviert war, wurde von der rot-roten Brandenburger Landesregierung systematisch verhindert. Im Juli 2015 beispielsweise sah sich das Oberlandesgericht München gezwungen, einen Aktenordner, den ein Brandenburger VS-Beamter zu seiner Vernehmung mitgebracht hatte, zu beschlagnahmen. Erst auf starken öffentlichen Druck hin genehmigte die Landesregierung die Verwendung eigener Akten im NSU-Prozess.
Der nun vor der Einsetzung stehende Untersuchungsausschuss in Potsdam wurde erst von der oppositionellen CDU, unterstützt von den Grünen, gegen die rot-rote Landesregierung durchgesetzt. Während Politiker von »Die Linke« andernorts eine tragende Rolle bei den Versuchen der parlamentarischen Aufklärung der Verbindungen zwischen Staat und NSU spielen, haben Funktionäre der Brandenburger Linkspartei vor allem im vergangenen Jahr sehr engagiert versucht, die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses in Potsdam zu verhindern. Als im November 2015 der Landesparteitag der Linkspartei die Aufarbeitung der Verbindungen zwischen VS und NSU sowie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses forderte, erfolgte dies gegen heftigen Widerstand aus der Landtagsfraktion.
Das änderte sich erst, als die Welt am 13. März über ihr vorliegende Belege berichtete. Demnach habe das Brandenburger Innenministerium 1998 die von der Thüringer Polizei erbetene Unterstützung für eine Observation von Kontaktpersonen der untergetauchten Nazis verweigert und damit eine Festnahme der drei verhindert.
Die CDU und die Grünen, die sich bis dahin an einer Aufarbeitung des Brandenburger NSU-Komplexes nur mäßig interessiert gezeigt hatten, kündigten daraufhin an, im April die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu beantragen. Nachdem der linke Flügel der Linkspartei diese Forderung unterstützte, gab die Fraktionsspitze ihren Widerstand auf.
Allgemein gehen Beobachter davon aus, dass der bisherige Widerstand gegen die Einrichtung eines NSU-Untersuchungsausschusses in Brandenburg maßgeblich auf das Konto der SPD ging und die Führung der Linkspartei sich dem unterordnete, um keinen Koalitionskrach zu riskieren. Insider des parlamentarischen Betriebes in Potsdam deuten jedoch an, dass die Linkspartei neben dem Koalitionsfrieden noch andere, eigene Gründe habe, einen NSU-Untersuchungsausschuss abzulehnen. In der Brandenburger Konsensdemokratie war die Linkspartei-Vorgängerin PDS von Anfang an in die Kontrolle der Geheimdienste eingebunden. Abgeordnete der Partei dürften dabei Maßnahmen mitgetragen haben, die heute öffentlich schwer zu rechtfertigen sind.
Doch nicht nur seitens der parlamentarischen Linken, auch von Antifaschisten, außerparlamentarischen Linken und der sogenannten Zivilgesellschaft wurde in den vergangenen Jahren kein ausreichender Druck ausgeübt, damit die Landesregierung der Frage nachgeht, welche Rolle der Brandenburger VS im Kontext rechtsterroristischer Aktivitäten gespielt hat. Anfang 2016 immerhin das von Heike Kleffner und Anna Spangenberg herausgegebene Buch »Generation Hoyerswerda. Das Netzwerk militanter Neonazis in Brandenburg«. Auf Anregung des Brandenburger »Aktionsbündnisses gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit« versuchen langjährige Beobachter der Brandenburger Naziszene mit Hilfe der Publikation »einen Impuls für die öffentliche Aufarbeitung« zu geben.
Wahrnehmbare öffentliche Kritik an der Landesregierung wurde in dieser Frage aus Brandenburg bisher nicht artikuliert. Die Ursache für diese Zurückhaltung ist nicht die Rücksichtnahme auf eine »linke« Landesregierung. Die Brandenburger PDS/Linkspartei hat sich nie wirklich um die außerparlamentarische Linke bemüht und genießt in deren Kreisen ohnehin einen denkbar schlechten Ruf. Vielmehr hat man es hier mit den Auswirkungen des »Brandenburger Weges« zu tun. Dieser Ende der neunziger Jahre entwickelte Ansatz im Kampf gegen den Neonazismus beruht auf einer engen Kooperation von Staat und Zivilgesellschaft. Während damit im Kampf gegen Nazis auf der Straße durchaus beeindruckende Erfolge erzielt werden konnten, hat diese Kooperation der Entwicklung radikaler Staatskritik nicht gut getan.