Boko Haram wurde in den vergangenen Monaten erheblich geschwächt

Das große Aufräumen

Die nigerianische Armee erzielte in den vergangenen Monaten erhebliche Geländegewinne gegen die jihadistische Boko Haram. Derweil wird wegen Korruption bei Rüstungsgeschäften ermittelt.

Ist das der Anfang vom Ende? Seit Donnerstag vergangener Woche kursiert im Internet ein Video, das den Führer der nigerianischen Terrormiliz Boko Haram, Abubakar Shekau, zeigen soll. Der Mann, der sich als Anführer der Islamisten ausgibt, wirkt niedergeschlagen und mutlos. Er erklärt auf Hausa, so berichtet es die Nachrichtenagentur AFP, dass »das Ende gekommen« sei. Es ist das erste Mal seit März 2015, dass Boko Haram ein Propagandavideo veröffentlicht hat. Damals erklärte die Gruppe dem »Islamischen Staat« (IS) ihre Loyalität.
Die Glaubwürdigkeit des neuen Videos ist allerdings umstritten. Es wurde nicht, wie sonst üblich, auf einem dem IS nahestehenden Twitter-Konto veröffentlicht, sondern über Youtube. Die Qualität ist ungewöhnlich schlecht, und Experten stellen infrage, ob es sich bei dem Mann im Video tatsächlich um Shekau handelt. Dessen sonst übliche Tiraden gegen den nigerianischen Staat und den Westen fehlen gänzlich. Nicht ausgeschlossen ist, dass es sich um eine Fälschung handelt, um die Truppe zu entmutigen. Es deutet alles darauf hin, dass Boko Haram in den vergangenen Monaten entscheidend geschwächt werden konnte. Das nigerianische Militär fügte mit US-amerikanischer Drohnenunterstützung den Jihadisten empfindliche Verluste zu. Der Armeeführung zufolge konnten bedeutende Teile Nordnigerias, die bisher von Boko Haram gehalten wurden, zurückerobert werden. Als letztes verbliebenes Rückzugsgebiet der Jihadisten gilt der Sambisa-Wald im Bundesstaat Borno. Boko Haram meidet angesichts der Offensive der nigerianischen Armee und ihrer Verbündeten die offene Schlacht und verlegt sich auf Selbstmordattentate und Entführungen.
Der Antiterrorkampf genießt unter Präsident Muhammadu Buhari, der seit Mai 2015 im Amt ist, höchste Priorität. Nicht zuletzt seine Ankündigung, mit aller Härte gegen die Terroristen vorzugehen, verhalf ihm zum Sieg über seinen Vorgänger Goodluck Jonathan. Die Nigerianerinnen und Nigerianer trauten dem ehemaligen General aus dem Norden offenbar einen entschlosseneren Umgang mit Boko Haram zu als Jonathan. Während dessen Amtszeit konnte sich die Miliz erheblich stärken, und nicht zuletzt die verbreitete Korruption innerhalb des Polizei- und Militärapparats behinderte eine effektive Bekämpfung des Terrors.
Das soll nun anders werden. Gegen 300 lokale und internationale Firmen sowie Einzelpersonen werde, so teilte es die nigerianische Regierung im Laufe der vergangenen Woche mit, wegen Unterschlagung ermittelt. Insgesamt geht es um 241 Millionen US-Dollar, die im Zuge von Waffengeschäften unterschlagen worden seien. Die Verträge waren durch das Büro des Nationalen Sicherheitsberaters abgeschlossen worden. Dessen ehemaliger Leiter Sambo Dasuki befindet sich bereits seit 2015 in Haft.
Wie die von Buhari eingesetzte Untersuchungskommission herausfand, sollen Verträge mit überhöhten Auftragssummen abgeschlossen worden sein. Die vereinbarten Leistungen wurden zum Teil nie erbracht. Manche Firmen, so die Kommission, wurden einzig zu dem Zweck gegründet, Gelder aus dem Sicherheitsbudget in private Taschen zu leiten. Sowohl ehemalige Militärführer als auch solche, die sich noch im Amt befinden, werden in dem Bericht namentlich genannt.
Die Administration kann sich der Unterstützung der meisten Nigerianerinnen und Nigerianer in Hinblick auf die Korruptionsbekämpfung im Zusammenhang mit Waffenkäufen sicher sein. Die Budgets für Sicherheit und das Militär sind seit jeher die wichtigsten Posten, bei denen sich eine skrupellose Gruppe von politischen Unternehmern bedienen konnte. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Höhe der Ausgaben für Sicherheit nicht öffentlich gemacht werden müssen. Es ist das erste Mal, dass ein Bericht zur Korruption in diesem Bereich bekannt wurde.
Doch nicht nur die Veruntreuung öffentlicher Gelder sabotiert den Kampf gegen Boko Haram. Ein zweiter wichtiger Grund dafür, dass die Terrorgruppe in den vergangenen Jahren ihren Einflussbereich vergrößern konnte, hat mit dem brutalen Vorgehen der Armee gegen vermeintliche Sympathisanten von Boko Haram zu tun. Mindestens 17 000 Menschen verloren seit dem Beginn der Kämpfe 2009 ihr Leben. Ein erheblicher Teil der Opfer geht auf das Konto von Soldaten und Polizisten, die rücksichtslos auch gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Deshalb tat sich das US-amerikanische Pentagon bisher schwer, Waffen liefern zu lassen oder logistische Unterstützung im Antiterrorkampf zu leisten.
Ohnehin ist der Kampf gegen die Jihadisten allein mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen. Die nördlichen Regionen Nigerias zählen zu den ärmsten des Landes, es mangelt an Infrastruktur, die öffentlichen Bildungseinrichtungen und das Gesundheitswesen sind in erbärmlichem Zustand und Einkommensmöglichkeiten jenseits des informellen Handels und der Subsistenzlandwirtschaft sind Mangelware. Viele der Gründe, warum Boko Haram nach 2009 so erfolgreich sein konnte, sind nach wie vor gegeben. Erst wenn es Verbesserungen in diesen Bereichen gibt, wird dem Terror tatsächlich der Boden entzogen. Gefordert ist nicht weniger als eine Abkehr von einem politischen System, in dem Loyalität und Gefolgschaft mit dem Versprechen von Sicherheit und gegen Bares erkauft werden.
Mit dem aktuellen Untersuchungsbericht zur Korruption im Sicherheitsbereich macht die nigerianische Regierung einen entscheidenden Schritt, um das fehlende Vertrauen in der Bevölkerung wieder herzustellen. Nun wird es darauf ankommen, ob tatsächlich die Drahtzieher und Nutznießer der Veruntreuung öffentlicher Gelder zur Verantwortung gezogen werden. Auf dem Spiel stehen die Interessen mächtiger Personenkreise, die selbst dem ehemaligen General an der Spitze des Staats gefährlich werden könnten. Doch nur eine konsequente Strafverfolgung, eine Abkehr von der bisherigen Selbstbereicherung und auch die Ahndung von Verbrechen der Sicherheitsbehörden an der Zivilbevölkerung können die Grundlage für einen dauerhaften Sieg gegen die Islamisten sein.