Die Debatte über das neue Verfassungsschutzgesetz in Bayern

»Grotesker Gesetzentwurf«

Der Freistaat Bayern will mit einem neuen Verfassungsschutzgesetz den Empfehlungen der NSU-Ausschüsse Rechnung tragen und Terrorismus besser bekämpfen. Es beinhaltet vor allem mehr Befugnisse für den Inlandsgeheimdienst — inklusive einer Ausweitung der umstrittenen V-Mann-Praxis.

Die Aufgaben und Befugnisse des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) sollen mit einem neuen Gesetz reformiert werden. Nach dem Willen der bayerischen Staatsregierung soll der Entwurf, der derzeit im Landtag beraten wird, den Empfehlungen der NSU-Ausschüsse auf Landes- und Bundesebene sowie der wachsenden Gefahr durch Terrorismus gerecht werden.
Die Autoren loben die Neufassung in der Einleitung als eine, die die »Befugnisse und deren Grenzen klar definiert«. Dabei orientiere sich der Entwurf eng an den Empfehlungen, die der NSU-Ausschuss des Bayerischen Landtags erarbeitet hat, und setze die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts um. »Durch logische Umstrukturierung, redaktionelle Überarbeitung und Straffung des Gesetzes«, schreibt die Staatsregierung in der Vorlage, »soll der Verfassungsschutz in Bayern auf eine moderne und tragfähige gesetzliche Grundlage gestellt werden«.
Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der Dienstherr der Behörde, sieht sein Amt gut gerüstet. »Der Verfassungsschutz gehört angesichts stürmischer, von Terrorbedrohung und steigendem Rechtsextremismus geprägter Zeiten weiter gestärkt und nicht abgebaut«, begründet der CSU-Politiker den neuen Entwurf. »Auf die Erkenntnisse und Methoden des Verfassungsschutzes zu verzichten, würde unsere Demokratie blind machen gegenüber jenen, die sie zerstören wollen.«
Auch die drei Oppositionsparteien im bayerischen Landtag — SPD, Grüne und Freie Wähler – sehen zwar grundsätzlich die Notwendigkeit eines neuen Verfassungsschutzgesetzes. Doch im Gegensatz zur CSU geht ihnen der vorgelegte Entwurf entschieden zu weit. Denn obwohl die Novellierung zunächst nach einer sinnvollen Reform der bisherigen Rechtslage klingt und großspurig als solche angepriesen wird, beinhaltet sie vor allem eine starke Ausweitung der nachrichtendienstlichen Befugnisse. So soll dem Landesamt in Zukunft nicht nur die Möglichkeit eingeräumt werden, auf die Vorratsdatenspeicherung (VDS) zuzugreifen. Auch die Kriterien für die »Vertrauenspersonen« sind in der Vorlage gelockert worden. Angeworbene V-Leute dürfen demnach »in gewissen Grenzen« auch eingesetzt werden, wenn sie vorbestraft sind, sofern es »das Ausmaß der Bedrohung« oder die Aufklärung von »besonders schweren Straftaten« erfordern. Lediglich eine Verurteilung wegen »Totschlag, Mord« oder einer anderen »mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat« bildet eine »absolute Grenze«. Hinzu kommt, dass die bezahlten Spitzel durch die neuen Regelungen erheblich leichter eingesetzt werden können. Anders als bislang kann ein V-Mann fortan zum Beispiel auch gegen legalistische Bestrebungen zum Einsatz kommen — statt nur gegen Gruppierungen mit »erheblicher Bedeutung« oder mit »gewaltorientierten Bestrebungen«, wie es der Bund vorsieht.
Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Katharina Schulze, bezeichnete die geplante Novellierung nach der Vorstellung im Parlament deshalb als »grotesken Gesetzentwurf«. Die vorgelegte Version liefere »keinen Mehrgewinn für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in Bayern« und verzichte auf die guten Empfehlungen der NSU-Ausschüsse. Zudem sei die Vorlage an den Stellen, die die Kooperation mit der Polizei und die Nutzung der VDS betreffen, »mit dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an vielen Punkten nicht vereinbar«, so Schulze. Sie sieht durch den Gesetzesentwurf die »Freiheitsrechte der Bürger erheblich« eingeschränkt und kündigte Widerstand an.
Ähnlich kritisch sieht es Peter Paul Gantzer, sicherheitspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion. Der Sozialdemokrat, in seiner Partei bekannt für seine konservativen Ansichten zur Sicherheitspolitik, bemängelt unter anderem die Möglichkeit zur Begehung von Straftaten durch V-Leute und die Nutzung der VDS. Das Gesetz sollte daher »akribisch« geprüft und diskutiert werden, möglichst gemeinsam mit Sachverständigen. Nun geht das Gesetz nach der ersten Aussprache in die parlamentarischen Beratungen. Die Debatte dürfte kontrovers verlaufen — zumal die CSU trotz Kritik nach wie vor keine Änderung für nötig hält.