Die britische Labour Party hat ein gewaltiges Antisemitismus-Problem

Haufenweise schwarze Schafe

Die britische Labour Party und ihr neuer Vorsitzender Jeremy Corbyn haben ein Problem mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen. Das wird zwar öffentlich kritisiert, aber ihre politischen Prioritäten liegen anderswo.
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Plötzlich sprechen alle über Antisemitismus und die britische Labour-Partei. Nun, vielleicht nicht alle. Zwar wurden größere Artikel im Guardian (am bemerkenswertesten die von den Kolumnisten Jonathan Freedland und Owen Jones) und Berichte im Jewish Chronicle, in Fathom und Ha’aretz veröffentlicht, doch waren die meisten – Jones bildet die ehrenwerte Ausnahme – von Juden geschrieben, für Publikationen, die von Juden gelesen werden. Für die überwiegende Mehrheit der Mitglieder der Labour Party, von anderen Briten ganz abgesehen, ist das Thema komplett abseits der Aufmerksamkeit. Und was auch immer geschehen ist, es stellt keine Bedrohung für Jeremy Corbyns Parteivorsitz oder die Aussichten der Partei bei kommenden Wahlen dar.
Als Jeremy Corbyn vor sechs Monaten verblüffend zum Parteivorsitzenden der Labour-Partei gewählt wurde, war sein Verhältnis zu Israel bereits Thema. Bedenken wurden geäußert, hauptsächlich in der jüdischen Gemeinde, über seine Nähe zum Antisemitismus. Als Hinterbänkler hatte Corbyn bereits Repräsentanten von Hamas und Hizbollah im Parlament empfangen und sie als seine »Freunde« bezeichnet. Er hatte eng mit Holocaust-Leugnern und Verfechtern der Ritualmordlegende zusammengearbeitet. Er ist langjähriger Schirmherr der antijüdischen Stop the War Coalition und der Palästina-Solidaritätskampagne. Dennoch, und das ist das Seltsame: »Niemand beschuldigt ihn, ein Antisemit zu sein«, schreibt Jonathan Freedland.
Wie kommt es, dass sich Corbyn mit wahnhaften Antisemiten umgibt und sein Ansehen davon nicht beeinträchtigt wird? Aus der Sicht von Freedland und anderen liegt es daran, dass Corbyn als »nett« angesehen wird. Das ist keine Übertreibung. Er mag eine Fernsehshow auf Press TV haben, dem Satellitenkanal des iranischen Regimes, aber das schadet ihm nicht. Er mag auch ein gutes Verhältnis zu Wladimir Putins RT-Kanal haben, aber im Grunde ist er ein netter Kerl.
Seine Wahl zum Vorsitzenden der Labour Party im vergangenen Jahr brachte ein starkes Wachstum der Mitgliederzahlen mit sich. Tausende, viele ziemlich jung, schlossen sich der Partei an. Da es Befürchtungen gab, dass nicht alle tatsächlich in der Labour-Partei am richtigen Platz seien, gründete die Partei eine »Compliance Unit«, die all diese neuen Bewerber begutachten und jene aussortieren sollte, die als Mitglied nicht in Frage kämen. Unter jenen, die ausgeschlossen wurden, befanden sich einige Mitglieder der Alliance for Workers Liberty, der einzigen linksradikalen Organisation in Großbritannien, die nicht israelfeindlich ist. Sie wurden ausgeschlossen, und in manchen Fällen doch wiederaufgenommen, weil man befürchtete, sie könnten sich gegenüber der Partei illoyal verhalten.
Aber es gab mit Gerry Downing und Vicky Kirby auch zwei andere Fälle von Leuten, die ausgeschlossen, wieder aufgenommen und erneut ausgeschlossen wurden. Downing ist ein traditioneller linksradikaler Israel-Hasser, der den späten Gerry Healy nachzumachen scheint, den brachial antisemitischen Anführer des Workers-Revolutionary-Party-Kults, der in den achtziger Jahren seinen Höhepunkt erreichte. Downing schreibt ausführlich über die Rolle von »Zionisten« im Kapitalismus und versucht seine Argumente mit Verweisen auf längst vergessene trotzkistische Bände über das Thema zu rechtfertigen. Kirby ist von einer neueren Sorte, eine ehemalige Labour-Kandidatin für das Parlament, die einen Tweet verfasste über Juden, die »große Nasen« hätten (»lol«), und einen über Hitler, der ein »zionistischer Gott« sei.
Corbyns Verteidiger taten Downing und Kirby als »schwarze Schafe« ab, aber der Fall des Oxford University Labour Club ist weit schlimmer. Der ehemalige Ko-Vorsitzende des Clubs, Alex Chalmers, hat einen scharf formulierten Bericht über den dort verbreiteten Judenhass in seinem Rücktrittsschreiben verfasst, das zirkuliert.
Die Fälle von Downing, Kirby und dem Oxford University Labour Club folgen früheren Beispielen von Angriffen auf Juden durch Parteiführer, wie des Abgeordneten Gerald Kaufman, einem 86jährigen Israel-Hasser, der quasi hauptberuflich die jüdische Gemeinde mit seinen Ausbrüchen gegen sich aufbrachte. Obwohl er gelegentlich von der Partei diszipliniert wurde, verblieb er trotz starken Drucks der Gemeinde bislang auf seinen Posten.
Die jüdische Gemeinde forderte Jeremy Corbyn auf, tätig zu werden und seine Partei zu disziplinieren, aber vergeblich. Für Corbyn sind die Hauptthemen die kommenden Kommunalwahlen und das Referendum über die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Union im Juni. Dass Antisemitismus in der Partei vorhanden ist, hat derzeit keine Bedeutung für ihn oder irgendein anderes hochrangiges Labour-Mitglied. Deshalb werden die Artikel von Freedland, Jones und anderen kaum Auswirkungen haben.
Doch selbst wenn Corbyn dem Antisemitismus Beachtung schenken würde, wäre es naiv, von ihm zu erwarten, gegen die Antisemiten und die entsprechende Unkultur, die diese stützt, in der Partei vorzugehen. Corbyn selbst ist durch den Umgang mit Antisemiten belastet, auch wenn er, wie viele denken, ein netter Mann ist.
Was den Kampf gegen den wachsenden Antisemitismus in der Labour-Partei unterminiert, ist wohl auch der vorsichtige Ton, den die Kritik anschlägt. Sogar Freedland schreibt lediglich, dass »die meisten Anti-Israel-Aktivisten in gutem Glauben handeln«. Welche Beweise gibt es dafür?
Man würde das nicht über Leute sagen, die gegen Migranten zu Felde ziehen, oder über rechte Aktivisten, die sich hinter Nigel Farage und die Ukip stellen. Warum sollte man so höflich zu »Anti-Israel-Aktivisten« wie Downing, Kirby und Kaufman und der Parteiführung sein, die sie schützt? Und warum die Vorsicht im Hinblick auf Corbyn?
Vielleicht ist es an der Zeit, deutlich zu sprechen und »Anti-Israel-Aktivisten« einschließlich des Parteivorsitzenden als das zu bezeichnen, was sie in Wirklichkeit sind.
Jeremy Corbyn, der Vorsitzende der Labour Party, hat dementiert, er sei ein »Euroskeptiker« und befürworte den Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union. Die »Islington Tribune« berichtete am 26. Februar, Corbyn habe seine »historisch lauen persönlichen Gefühle gegenüber der Europäischen Union« zugegeben, aber gesagt, die Politik der Labour Party sei es, den besten Deal für Großbritannien in Hinblick auf Europa und ein »soziales Europa für alle« zu erreichen.