Homestory

Voreingenommene Zeitgenossen könnten uns unterstellen, wir seien Feinde des Glaubens und hätten für religiöses Brauchtum nur Hohn und Spott übrig. Doch mit voller Überzeugung können wir antworten: Keinesfalls! Auch wir heiligen Kirchenfeste und hohe Feiertage. In diesem Jahr haben wir beispielsweise den Karfreitag zum arbeitsfreien Tag für die gesamte Redaktion erklärt. Wenn der Herr Jesus Christus den Tag am Kreuz verbringt, ohne einen Handschlag zu tun, müssen wir auch nicht fleißig sein, halleluja. Und auch einige islamische Feiertage könnten wir in unserem Kalender noch unterkriegen. Fastenbrechen, Opferfest, Jihad-Wochen – solange der Feiertag ein freier Tag ist, ist uns alles recht. Haben die Zeugen Jehovas nicht irgendeine Festivität im Angebot? Und was ist mit den Scientologen? Immer her mit den arbeitsfreien Tagen.
Eines müssen wir an dieser Stelle jedoch zugeben: Nicht jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter der Jungle World kann etwas Erquickendes mit der freien Zeit anfangen. Nehmen wir das Thema-Ressort: Eine Redakteurin hat am freien Karfreitag ihr krankes Kind gehütet, die andere einen Artikel geschrieben. Das Lektorat war »krank« beziehungsweise hat »nix« gemacht – was der Kollege aber auf die wilde Party der vorangegangenen Nacht zurückführt, immerhin. Der Redakteur aus dem Inlandsressort kann sich lediglich an hässliches Wetter und einen Tag in den eigenen vier Wänden erinnern. Ein Layouter kann nicht mal das. Er weiß am Montag gar nicht mehr, was er an seinem freien Freitag gemacht hat. Der amtierende CvD versucht es mit Selbstironie: »Mein Karfreitag? Erst Frühmesse, dann Selbstgeißelung, im Anschluss strenges Fasten inklusive Flüssigkeitsentzug. Am Nachmittag habe ich dann ein schweres Holzkreuz durch die Stadt getragen.«
Sie sehen also: Der Karfreitag war für die Mitarbeiter der Jungle World monoton, langweilig, schreckensöde – ein erschütterndes Bild, das wir nicht so stehen lassen können. Was sollen Sie denn sonst von uns denken? Deshalb kommt hier die wahre Geschichte vom freien Karfreitag eines ideellen Mitarbeiters der Jungle World Ihrer Wahl: 11.30 Uhr aufstehen, trotz leichten Katers (zuviel Chiapas-Kaffee am Vortag) eine halbe Stunde Krav Maga vor dem Spiegel. 12.15 Uhr Frühstücksplenum im Hausprojekt, leichte Verstimmung in den unteren Stockwerken wegen morgendlichen Getrampels (»Hör doch mal auf mit deinem beschissenen Krav Maga!«). 14 Uhr Plenum vorbei, Adorno-Lesekreis. 16 Uhr Adorno-Lesekreis vorbei, Horkheimer-Lesekreis. 18 Uhr Horkheimer-Lesekreis vorbei, los zu den Flüchtlingen am Lageso. 18.30 Uhr mit den Flüchtlingen am Lageso Adorno-Horkheimer-Lesekreis auf Arabisch (wegen Empowerment!). 19.30 Uhr herzlicher Abschied von den Flüchtlingen (»Wallah, Rashid, du bist so was von nichtidentisch!«). 20 Uhr leckere vegane Küfa, alles frisch containert und nach bewährtem Rezept zubereitet (Reis mit Scheiß). 21 Uhr superkonspiratives Treffen mit antifaschistischer Bezugsgruppe, kurze Militanzdiskussion, im Anschluss »Hausbesuch« bei »Nazistrukturen«. 23 Uhr schnell antifaschistisches Bekennerschreiben bei »Indy« hochladen. 23.45 Uhr nach erfülltem Karfreitag im Bett, Lektüre: »Adornos beste Krav-Maga-Tricks«. Morgen früh gleich ausprobieren! Gute Nacht!