Die Lage der Flüchtlinge in den griechischen »Hotspots«

Wie im Notstand

Der EU-Türkei-Deal hat handstreichartig grundlegende Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden außer Kraft gesetzt. Das UNHCR spricht bereits von »De facto«-Haftanstalten auf Lesbos und Chios und stellt in diesen die Arbeit ein.

Am Flughafen von Gaziantep in der Südosttürkei weist ein Hinweisschild »unsere syrischen Gäste« darauf hin, dass sie ohne Genehmigung der Dis­triktbehörden die Provinz nicht verlassen dürften. Wer in den Westen der Türkei reisen will, braucht eine Genehmigung. Wichtiger noch: Auch offiziell werden die nach Schätzungen 2,2 Millionen geflüchteten Syrer in der Türkei nur als »Gäste« behandelt. Sie haben einen temporären Aufenthaltsstatus, geschützte Flüchtlinge gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention sind sie nicht. Denn die Türkei hat diese Konvention zwar ratifiziert, allerdings mit dem Zusatz, sie gelte nur für Flüchtlinge aus Europa.
Dass die Regierung in Ankara Menschen in den Irak, nach Syrien und Afghanistan abschiebt, wie Human Rights Watch und andere Menschenrechtsorganisationen ihr immer wieder vorwerfen, mag moralisch verwerflich sein, einen Bruch türkischen Rechts stellt diese Praxis jedoch nicht dar. Denn es gibt für diese Flüchtlinge in der Türkei keinen legalen Schutz vor Rückführungen in die Herkunftsländer. Aber selbst geltendes Recht spielt offenbar keine große Rolle mehr, wenn Regierungen so handeln, als sei der Ausnahmezustand schon verhängt. Und nichts anderes ist der EU-Türkei-Deal, der am 20. März unterschrieben wurde und handstreichartig grundlegende Rechte außer Kraft setzte, die bislang nach geltenden Konventionen Asylsuchenden und Flüchtlingen zustanden.
Nachdem das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR zuvor bereits die geplante Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei scharf kritisiert hatte, da sie nicht mit internationalem Flüchtlingsrecht vereinbar sei, entschied sie sich wenige Tage nach Inkrafttreten der Vereinbarungen, ihre Arbeit in den nunmehr zu »Hotspots« umfunktionierten Lagern auf den griechischen Inseln Lesbos und Chios einzustellen. Diese seien inzwischen de facto zu Haftanstalten geworden, hieß es in einer Erklärung, und deshalb verweigere man die Kooperation mit griechischen Behörden und auf die Inseln entsendeten EU-Beamten.
Derweil verschlechtert sich die Situation der in den Lagern eingesperrten Menschen täglich. Wie zu erwarten war, ist die griechische Regierung mit den logistischen Herausforderungen des Deals völlig überfordert. Während die EU von Athen erwartet, Neuankömmlinge durch ein fragwürdiges Schnellverfahren zu schleusen, gilt in Deutschland noch immer ein Abschiebeverbot nach Griechenland, da, so das Bundesinnenministerium, die dortigen Behörden nicht in der Lage seien, Flüchtlinge adäquat unterzubringen.
Wenn es, wie der österreichische Außenminister Sebastian Kurz jüngst erklärte, darum geht, abschreckende Bilder zu produzieren, um weitere Menschen von der Flucht abzuhalten, ist den Regierungschefs der EU in wenigen Tagen Beeindruckendes gelungen. Vielleicht erfüllen die Aufnahmen aus dem Zeltlager in Idomeni, wo inzwischen Zehntausende im Schlamm campieren, oder aus den Hotspots auf den griechischen Inseln, wo freiwillige Helfer mit Flüchtlingen nur noch durch Zäune hindurch kommunizieren können, ganz so als handele es sich um Schwerkriminelle, sogar ihren Zweck, und es werden sich weniger Menschen nach Europa aufmachen.
Solange sich aber, trotz allem Gerede über Fluchtursachen, die zu bekämpfen seien, in den Herkunftsländern nichts ändert, werden Flüchtlinge auch weiter kommen, dafür nur wesentlich gefährlichere und teurere Überfahrten in Kauf nehmen. Die, die es nicht schaffen, entsorgt man derweil in der Türkei und anderen Ländern des Nahen Ostens, in denen eine neue Flüchtlingsdiaspora entsteht, denn wohl keiner der an diesem Deal Beteiligten geht davon aus, dass die Türkei, Jordanien oder der Libanon Millionen von Menschen einzubürgern planen. Statt eines Rechts auf Asyl, wie es die Flüchtlingskonventionen vorsehen, bleibt ihnen die Recht- und Perspektivlosigkeit eines dauerhaft ungesicherten Flüchtlingsstatus irgendwo außerhalb der Grenzen Europas – und die vage Hoffnung, vielleicht eines Tages als Teil eines Kontingents aus der Türkei ausgeflogen zu werden.