In einer umstrittenen Wahl wurde Denis Sassou-Nguesso erneut zum Präsidenten der Republik Kongo

Das Gespenst der Ninja

Nach zweifelhaften Wahlen in der Republik Kongo meldet sich eine oppositionelle Miliz mit bewaffneten Angriffen in Brazzaville zurück. Der zivile Widerstand gegen die Oligarchen unter dem Präsidenten Denis Sassou-Nguesso bleibt schwach.

Lange hatte man nichts mehr gehört von den Ninja, einer Miliz, die Mitte und Ende der neunziger Jahre um die Macht in der Republik Kongo kämpfte. Doch nun, zwei Wochen nach den Präsidentschaftswahlen, meldete sie sich offenbar zurück. Sie griff nach Regierungsangaben in der Hauptstadt Brazzaville in der Nacht zum Montag Armeeposten, Polizeistationen und ein Verwaltungsgebäude an. Jugendliche errichteten Barrikaden, Tausende Menschen flohen aus den südlich gelegenen Stadtvierteln. Über Tote und Verletzte wurde bislang nichts bekannt.

Bei den Wahlen war nichts dem Zufall überlassen worden. Als am 20. März die Bewohnerinnen und Bewohner der Republik Kongo an die Wahlurnen gerufen wurden, waren das Mobilfunknetz und alle Internet-Verbindungen lahmgelegt. So wollten die Machthaber unter dem Präsidenten Denis Sassou-Nguesso verhindern, dass Informationen über die Wahlbeteiligung oder über Unregelmäßigkeiten bei der Stimmabgabe ausgetauscht werden konnten. Am Ende erreichte der Amtsinhaber nach offiziellen Angaben bereits im ersten Durchgang über 60 Prozent der Stimmen. Erst im Oktober vergangenen Jahres ließ die kongolesische Regierung durch ein Referendum die Verfassung ändern. Sie hob eine Altersgrenze auf und strich die Klausel, die die Amtszeit eines Staatsoberhauptes auf zwei Perioden beschränkte. Gegen die Verfassungsänderung gab es damals vor allem in der Hauptstadt Brazzaville Proteste. Gegen diese ging die Polizei gewaltsam vor, wobei einige Protestierende starben.

Sassou-Nguesso ist einer der am längsten herrschenden Autokraten in Afrika. Zwischen 1979 und 1992 hatte er die ehemalige französische Kolonie regiert, bevor er in den ersten freien Wahlen von Pascal Lissouba abgelöst wurde. In einem Bürgerkrieg zwischen den Milizen Lissoubas und Sassou-Nguessos kämpfte sich der ehemalige Oberst 1997 wieder an die Macht. Der 72jährige steht an der Spitze eines klientelistischen Systems, das die Einkünfte aus der Förderung von Erdöl und dem Export von Tropenholz einer kleinen Führungsschicht zukommen lässt und darüber hinaus seine Unterstützer finanziert, die vor allem in Norden des Landes zu finden sind.

Die Europäische Union hatte trotz des sich abzeichnenden Wahlbetrugs und der Verfassungsänderung keine Beobachter ins Land geschickt. In einer Stellungnahme nach der Wahl wurde das »vorhersehbare Fehlen von Unabhängigkeit und Transparenz« beklagt; das US-Außenministerium machte »Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit« der Abstimmung geltend.

Doch starken zivilen Widerstand gegen den offensichtlichen Wahlbetrug gab es in den Tagen nach der Wahl nicht. Zwar riefen fünf der Gegenkandidaten zu einem Generalstreik am Dienstag vergangener Woche auf – unter ihnen Guy Brice Parfait Kolélas und Jean-Marie Michel Mokoko, die 15 beziehungsweise 14 Prozent der Stimmen erhielten. Doch nur in den Hochburgen der Opposition, dem Süden sowohl des Landes als auch der Hauptstadt Brazzaville, blieben die Menschen zu Hause. Viele Kongolesinnen und Kongolesen scheinen desillusioniert und glauben nicht, auf politischem Weg etwas verändern zu können.

»Politik interessiert mich nicht«, zitierte die Nachrichtenagentur AFP eine Zwiebelverkäuferin in Brazzaville. »Politiker sind doch immer gleich. Wenn wir nicht zur Arbeit kommen, was wird dann aus unserem Leben?« Ein junger Träger sagte dem AFP-Korrespondenten: »Wir leiden, doch wir haben keine Wahl. Es gibt schon Jobs, aber die sind reserviert für die Mbochi, Sassous ethnische Gruppe, und die Bewohner aus dem Norden.«

Mit Mokoko hat sich ein Kandidat der Opposition zur Wahl gestellt, der lange in das Machtkartell der Regierenden an höchsten Stellen eingebunden war. Der Armeeoffizier diente zwischen 1987 und 1993 als Stabschef der Armee, beriet den Präsidenten ab 2005 in Sicherheitsangelegenheiten und arbeitete als Repräsentant der Kommission der Afrikanischen Union in der Zentralafrikanischen Republik. Kolélas war von 2007 bis 2015 Minister unter Sassou-Nguesso. Sein Vater Bernard Kolélas, der 2009 starb, war Chef der Ninja-Miliz.

Die Ninja waren eine von drei bewaffneten Gruppen, die im Laufe der neunziger Jahre in den zwei Phasen des Bürgerkrieges in der Republik Kongo um die Macht kämpften. Kolélas senior verlor die Wahlen im Jahr 1992 gegen Pascal Lissouba und ging mit dem ebenfalls unterlegenen Sassou-Nguesso eine Allianz gegen den Wahlsieger ein. Die Ninja unterstanden Kolélas, Sassou-Nguesso bildete die Cobra-Miliz und Wahlsieger Lissouba die Coyote. Die jugendlichen Kämpfer wurden aus den jeweiligen Ethnien ihrer Befehlshaber rekrutiert. Mit einer Bilanz von mehreren Tausend Toten endete die erste Runde des kongolesischen Bürgerkrieges im Dezember 1994.

Dessen zweite Phase begann vor den geplanten Wahlen im Jahre 1997. Präsident Lissouba ordnete die Entwaffnung der Cobra und die Verhaftung von Sassou-Nguesso an. Das führte zur Konfrontation zwischen den drei Milizen, die verschiedene Stadtteile von Brazzaville kontrollierten. Der Krieg in der Republik Kongo ist darüber hinaus eng mit den regionalen Konflikten im südlichen und zentralen Afrika verbunden: An der Seite Lissoubas kämpften ukrainische Söldner sowie Regierungstruppen aus dem Nachbarland Demokratische Republik Kongo. Angola wiederum griff zugunsten Sassou-Nguessos ein, um die Unterstützung der Unita-Rebellen durch Lissouba zu beenden. Dieser Unterstützung hatte Sassou-Nguesso seinen Sieg im Bürgerkrieg zu verdanken. Auch einige Hundert Hutu-Söldner aus Ruanda kämpften sowohl an der Seite von Sassou-Nguesso als auch von Lissouba; aus Frankreich erhielten Sassou-Nguessos Milizen ebenso Unterstützung.

Bei den jüngsten Wahlen ging es wieder einmal nicht um entwicklungspolitische Entwürfe und Ideen, sondern vor allem um die Verteilung der Pfründe. Diese ist stark ethnisiert, weil die Kandidaten vor allem in ihren Großfamilien, Clans und Ethnien ihre Anhänger rekrutieren. Noch scheint es den Herrschenden trotz des niedrigen Ölpreises zu gelingen, genügend Ressourcen in die Pflege ihrer klientelistischen Netzwerke zu investieren. Das könnte sich ändern, wenn die zur Verfügung stehenden Finanzmittel schwinden. Eine Rückkehr zur gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen den Oligarchen, wie sie das Land Mitte der neunziger Jahre erfuhr, ist für diesen Fall keineswegs ausgeschlossen. Noch scheint der Klientelapparat unter Sassou-Nguesso einigermaßen stabil, doch diese Stabilität hängt davon ab, ob er seine Unterstützer finanziell bei Laune halten kann. Die Opposition verfügt über nur wenige Ressourcen, da das Ölgeschäft und der Holzexport fest in der Hand der Regierung sind.

Ein ziviler Widerstand gegen ein System, das einer kleinen Führungsschicht großen Reichtum beschert und die Bevölkerungsmehrheit gerade so über die Runden kommen lässt, ist nicht in Sicht. Zwar wollte man auch in der Republik Kongo den Vorbildern Senegal und Burkina Faso folgen, wo von populärer Musik inspirierte Jugendbewegungen die Machtstrukturen erheblich erschüttern konnten. Angesichts einer Jugendarbeitslosigkeit von über 60 Prozent ist das Potential für Protestbewegungen wie Y’en a Marre (Es reicht) im Senegal oder Balai Citoyen (Besen der Bürger) in Burkina Faso auch in der Republik Kongo gegeben. Doch die Versuche, eine Bewegung gegen die Oligarchie zu organisieren, scheiterten bisher.

Die Euphorie angesichts der demokratischen Öffnung des Landes Anfang der neunziger Jahre ist längst verflogen. Sassou-Nguesso und seine Anhänger haben im Bürgerkrieg, der den Demokratiebestrebungen jener Zeit ein jähes Ende setzte, bewiesen, dass sie bereit sind, über Leichen zu gehen. Der Kongo ist heute fester denn je in der Hand des ehemaligen Marxisten-Leninisten und seiner Gefolgsleute. Die Angriffe von Anfang dieser Woche geben ihm einmal mehr Gelegenheit, sich als alleinigen Stabilitätsfaktor zu inszenieren.