Die Debatte um den Hijab als Modetrend

Hijab and the City

Pierre Bergé, Modezar und LGBT-Aktivist der ersten Stunde, kritisiert den Trend der großen Mode-Labels zu islamgerechten Kollektionen.

Lange Zeit galt es als Street-Style-Phänomen mit dem Nimbus des Subversiven: Seit rund zehn Jahren sieht man Kombinationen aus aktuellen Modetrends und islamischer Bekleidung auf den Straßen europäischer Großstädte. Wie andere Kleidertrends auch prägte die Modemetropole London den Look der »Hijabistas«, die Kopftücher aus bunten Stoffen mit luxuriösen Brillen und auffälligem Schmuck kombinieren. Junge Designerinnen, zumeist Frauen der dritten Einwanderergeneration, adaptierten das Konzept und nannten es Islamic Fashion. Bloggerinnen wie Indah Nada Puspita aus Hannover wurden mit ihren selbstkreierten Looks zu Stilikonen der muslimischen Community in den Einwandererländern.
Anders die führenden Modelabels: Sie zitierten orientalische Elemente wie Pluderhosen, Kajalaugen und Tuniken, ließen aber tunlichst die Finger von religiös inspirierter Kleidung. Das änderte sich 2014, als das New Yorker Modelabel DKNY seine erste islamische Sonderkollektion päsentierte. Die »Ramadan-Linie«, passgenau entworfen für den Verkauf im Nahen Osten während des traditionell umsatzstarken Fastenmonats, war nicht nur ein Exportschlager für das Modehaus, sondern brachte auch die Konkurrenz auf Ideen. Zum Beispiel die schwedische Modekette H & M, die im Jahr darauf ihre neue Kollektion für den westeuropäischen Markt mit einem Hijab tragenden Model vorstellte, um damit laut eigner Auskunft das Thema Vielfalt in Szene zu setzen. Neben der Kopftuch tragenden Muslimin waren eine Seniorin im Mini, ein Mann im Rock und ein Mädchen mit unrasierten Achseln die Protagonisten der Kampagne. Für die schwedische Kleiderkette ging es um den lukrativen Markt, für das aus London stammende Laienmodel Mariah Idrissi hatte es etwas mit ihrer Religion zu tun. Sie berief sich in Interviews auf den Koran, der die Bedeckung des weiblichen Körpers fordere. Ihre Hoffnung sei es, dass das Kopftuchtragen irgendwann »normal« werde.
Die High-Fashion-Variante des islamischen Looks lancierte im vergangenen Jahr das italienische Luxus-Label Dolce & Gabbana. Mit dem moderaten Stil der »Mipster« (für muslimische Hipster) hat die strenge Abaya-Kollektion des sizilianischen Modehauses nicht mehr viel gemein. Die Skinnyjeans der hippen Muslima verschwinden hier unter bodenlangen Mänteln, dazu werden schwarze Schleier mit lediglich dezenten Prints getragen. Ein Outfit, das selbst in Teheran als halal gelten dürfte. Wer dem ungewöhnlichen Dolce & Gabbana-Look skeptisch gegenübersteht, wurde von sich aufgeschlossen wähnenden Modebloggern darüber belehrt, dass die Abaya-Linie nicht zuletzt die Details katholischer Bekleidungstraditionen zitierte.
Kritik an der islamischen Revolution in der Mode gibt es nur vereinzelt. Zwar generierte bisher jede Vorstellung islamischer Kollektionen eine Menge Traffic in den sozialen Medien, wo Userinnen das Für und Wider religiöser Designerklamotten diskutieren. Eine ernstzunehmende interne Kritik an der Verschleierung der Kundin, wie sie die Kuratorin und Designerin Agnès Troublé formuliert hat, blieb in der Branche aber die Ausnahme. In der vergangenen Woche hat nun Pierre Bergé, 85, schwul, Kunstsammler, Modezar und langjähriger Lebensgefährte und Geschäftspartner von Yves Saint Laurent, seine Designerkollegen an die gesellschaftspolitische Macht der Mode erinnert und die Anpassung der Kollektionen an religiöse Bekleidungsvorschriften kritisiert. In einem Interview mit dem Radiosender Europe 1 wurde Bergé grundsätzlich. »Kreative«, meinte er, »sollten sich nicht auf islamische Mode einlassen.« Die Aufgabe der Designer sei es, »Frauen schöner« zu machen und »ihnen Freiheit zu vermitteln«, anstatt »mit einer Diktatur zu kollaborieren, die ihnen die Greuel auferlegt, sich zu verbergen und ein unsichtbares Leben zu führen«.
Bergé, der seit Jahren im marokkanischen Rabat lebt, betonte, dass man Frauen selbstverständlich nicht das individuelle Recht absprechen könne, ein Kopftuch zu tragen. Zugleich unterstellte er Dolce & Gabbana, Tommy Hilfiger, Oscar de la Renta und Marks & Spencer, dass sie die Werte der Emanzipation zugunsten von Marktanteilen in den islamischen wie den europäischen Ländern verrieten. »Verschmäht das Geld«, riet er den Modeschöpfern, »und habt ein paar Prinzipien.«
Zu den unverhandelbaren Grundsätzen Bergés und seines langjährigen Partners Yves Saint Laurent gehörte das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Mode war für die beiden nur dann relevant, wenn sie dem Gedanken von Egalität Ausdruck verleihen konnte. Der Hosenanzug für die Frau, die Glamourisierung schwarzer Models und die Wertschätzung des Androgynen sind mit dem Namen Yves Saint Laurent untrennbar verbunden. Coco Chanel habe den Frauen die Freiheit, Yves Saint Laurent habe ihnen die Macht gegeben, hat der Modeunternehmer einmal gesagt.
Bergé war stets der Mann im Hintergrund, er inszenierte die Modeschauen seines Lebensgefährten, ging aber nie selbst auf die Bühne. Umso stärkere Beachtung fand seine Kritik an der Islamic Fashion in der französischen Presse. Ihr vorausgegangen war eine rassistische Äußerung der sozialistischen Familienministerin Laurence Rossignol. »Es gab auch amerikanische Neger, die für die Sklaverei waren«, hatte sie in einem Interview auf die Frage geanwortet, ob nicht viele muslimische Frauen das Kopftuch selbst gewählt hätten. Bergés Worte lenkten die Debatte wieder zurück auf die eigentliche Frage, ob sich Modedesigner an den Maßgaben religiöser Kleidungsvorschriften orientieren sollten. Schließlich produzieren die Unternehmen auch für Länder, in denen es Frauen keinesfalls freigestellt ist, wie sie sich kleiden.