Lale Akgün im Gespräch über »Islamic Fashion«

»Anbiederung an das orthodoxe Milieu«

Lale Akgün teilt die Kritik am Trend zur »Islamic Fashion«. Sie fordert die Schulen auf, nicht wegzusehen, wenn immer jüngere Mädchen das Kopftuch tragen.

Frankreich diskutiert über die islamischen Kollektionen von Modedesignern, die wie Dolce & Gabbana eigene Hijab- und Abaya-Linien lancieren. Was ist gegen »Islamic Fashion« einzuwenden?
Die Modehäuser wollen zunächst einmal Geld verdienen. Dolce & Gabbana sprechen aber nicht die Massen der muslimischen Frauen an, ihre Zielgruppe sind vor allem die reichen Frauen aus den Golfstaaten. Das ist reine Schleimerei. Diese wohlhabenden Frauen haben schon immer bei Dior und Chanel eingekauft und tragen unter der schwarzen Hülle nicht selten unheimlich schicke und vor allem teure Kleidung. Was Dolce & Gabbana jetzt machen, ist eine völlig unnötige Anbiederung an das Milieu der konservativen und orthodoxen Muslime.
Sollen sich Frauen, die Kopftuch tragen, ihre Kleidung auf dem Wochenmarkt beschaffen oder in der Türkei bestellen? Warum sollen sie nichts Schickes bei Tommy Hilfiger und Dolce & Gabbana finden?
Ich bewerte erstmal nur die Haltung dieser Modemacher und finde sie unappetitlich. Damit sage ich gar nichts aus über die Frauen, die sich diese oder andere Sachen kaufen. Wer wo was einkauft, ist mir erstmal egal.
H & M will mit dem Hijab tragenden Model der letztjährigen Kampagne die Masse der muslimischen Frauen in Westeuropa gewinnen – auch Anbiederei?
Diese jungen Frauen und Mädchen kaufen doch ohnehin schon bei H & M ein. Die Kampagne war wohl mehr ein Gag mit lauter »Exoten«, einem Transsexuellen und einer älteren Frau. Aber die Message passt zur Marktstrategie des Konzerns nach dem Motto: »Bei uns finden alle was.«
Sind die Kritiker des Kopftuchs in Europa in der Defensive?
Keineswegs, warum sollten wir den Kampf um Gleichstellung denn verloren geben? Das Kopftuch zu verteidigen, ist und bleibt falsch verstandene Emanzipation.
Die französische Grünen-Politikerin Esther Benbassa bezeichnete Elisabeth Badinters Aufruf zum Boykott von islamkonformen Designern als »überholten Großmutter-Feminismus«. Ist die Schleierdebatte auch Ausdruck eines Generationenkonflikts zwischen jüngeren und älteren Feministinnen?
Wer den Kampf gegen das Kopftuch als Omas Emanzipationspolitik diffamiert, hat nicht verstanden, dass Frauen nie aufhören dürfen, für die Gleichberechtigung zu streiten. Sie können das Kopftuch links herum binden oder rechts herum, Blümchen draufsetzen oder eine Feder, es bleibt dabei, dass Männer die Haare von Frauen nicht sehen sollen. Frauen bedecken sich mit Kopftüchern oder tragen bodenlange Mäntel und die Männer daneben laufen in kurzen Hosen oder Anzügen von Boss herum und kratzen sich im Schritt. Wer darin nicht die Ungleichbehandlung erkennt, tut mir leid. Und wer darin dann auch noch ein Zeichen von Emanzipation sieht, tut mir noch mehr leid. Muslimische Männer nehmen sich ihre Freiheiten heraus, während ihre Frauen in absurder Verkleidung herumlaufen müssen.
Warum absurd?
Was wir sehen, ist der oft verzweifelte Versuch, die Bedeckung der Frau auch noch modisch herzurichten. Wenn Feministinnen argumentieren, es müsse möglich sein, als Muslimin sichtbar zu sein und zugleich Karriere zu machen, verleugnen sie, dass es das Wesen dieser Verkleidung ist, sich als Frau verstecken zu müssen. Es geht im Kern immer um die Ungleichheit von Mann und Frau.
Es geht auch um Religion.
Es geht dabei viel um »Ehrbarkeit«. Im Koran steht, bedeckt euch, dass man euch als ehrbare Frauen erkennen kann. Das hat mit gläubig erstmal nicht viel zu tun. Ich erlebe manchmal eine gewisse Arroganz von Kopftuchträgerinnen, die auf andere Frauen herabschauen, weil nur sie sich als ehrbar empfinden. Dabei muss man die entsprechende Sure genau wie jene Suren, die Gewalt predigen, als zeitgebundene Aussagen lesen und sie für die Gegenwart neu interpretieren.
Seit 2004 dürfen französische Schülerinnen laut Gesetz kein Kopftuch im Unterricht tragen. Wünschen Sie sich ein solche Regelung für Deutschland?
Deutschland hat eine andere Tradition und Kultur. Wenn ich das befürworten würde, stünde ich auf verlorenem Posten. Allerdings bin ich sehr dafür, dass die Schulen reagieren, wenn immer jüngere Mädchen Kopftuch tragen. Dass man wohlwollend darüber hinwegsieht, wenn Siebenjährige mit Kopftuch zum Unterricht erscheinen, halte ich für falsch. Das ist nicht mehr mit einem aufgeklärten Verständnis von Kindsein zu vereinbaren. Kopftücher bei Teenagern werden wir meiner Meinung nach weiter zulassen müssen, allerdings beginnend mit dem Alter der Religionsmündigkeit und das liegt in Deutschland bei 14 Jahren.
Wie kommt es, dass immer mehr Mädchen im Grundschulalter Kopftuch tragen?
Die meisten der Orthodoxen sind der Meinung, dass ein Mädchen, sobald es sich körperlich entwickelt, ein Kopftuch tragen müsse, manche geben neun Jahre als Alter an, manche sogar sieben. Es geht auch um das Einüben: Die Mädchen sollen es gar nicht erst anders kennenlernen, denn spätestens mit dem Einsetzen der Monatsblutung, also der Geschlechtsreife, muss ein Mädchen ein Kopftuch tragen. Wenn man die Ausführungen dieser orthodoxen Muslime liest, wird sehr schnell deutlich, wie sehr kleine Mädchen auf ihre Sexualität reduziert werden.
Wie wichtig ist die Vorbildfunktion der Mutter?
Selbstverständlich ist die Mutter ein Vorbild, aber auch sie steht unter enormem Druck.
Was muss geschehen, um Kinder vor diesem Druck zu schützen?
Erst einmal wäre eine Aufklärungskampagne wichtig. Was wissen schon die Befürworter und vor allem Befürworterinnen von Kopftüchern vom Leid dieser Mädchen? Wissen sie, was hinter dem Verschleierungsgebot steht? Dass es um Sexualität geht, um nichts anderes? In der Türkei ist jede dritte Braut eine »Kindsbraut«, das heißt unter 16 Jahren. Die Zahl hat unter der Regierung Erdoğan stark zugenommen. Wenn diese und viele weitere Tatsachen bekannter würden, wäre es auch nicht schwer, über rechtliche Regelungen zu sprechen.

Lale Akgün wurde 1953 in Istanbul geboren. Sie studierte Medizin und Psychologie in Marburg und promovierte in Köln. Sie engagiert sich für die Integration von Zuwanderern und für einen liberalen Islam. Akgün arbeitete als Psychotherapeutin in Köln und saß von 2002 bis 2009 für die SPD im Bundestag. Sie veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter »Aufstand der Kopftuchmädchen. Deutsche Musliminnen wehren sich gegen den Islamismus«.