Berlin Beatet Bestes. Folge 335.

Bier aus Protest

Berlin Beatet Bestes. Folge 335. Das neue Label.

Der U-Bahnhof ist voll. Konzentriert suche ich in der Menge, die aus dem Waggon strömt. Als schon fast alle Leute an mir vorbeigezogen sind, erkenne ich sie plötzlich, mit dem Rücken zu mir stehend. Als sie losgeht, wird es offensichtlich, ich kenne diesen zarten Gang. Und dann läuft sie auf mich zu und wir fallen uns in die Arme. Drei Jahre hatte ich Dilek nicht gesehen und nun ist sie überraschend auf Kurzbesuch in Berlin. Wir haben uns 2005 in einem Plattenladen in Istanbul kennengelernt. Das war im Rahmen meiner ersten Auslandsreise mit der Jungle World. Damals war Dilek 22 Jahre alt und ich war 38.
Der Metal-Plattenladen Hammer Müzik war die einzige Anlaufstelle für Underground-Musik in Istanbul. Dilek stand vor einem Tisch und durchwühlte die CDs. »Weißt du, warum ich dich damals angesprochen habe?« fragt sie. »Weil du mich so nett angelächelt hast, als du reingekommen bist.« Sie hat sich kaum verändert, immer noch steht Dilek unter Strom. Sie hat gerade ein Label gegründet und ist in Deutschland, um ihre erste Platte beim Presswerk abzuholen. Da sie noch nicht erschienen ist, verrate ich hier noch nichts, aber ich freue mich darauf, die Platte zu besprechen, sobald sie offiziell erhältlich ist. Wir treffen meine Freundin und eine weitere Freundin in einem Café. Es ist zwar erst mittags, aber Dilek bestellt ein Bier – aus Protest, »weil die türkische Airlines kein Bier mehr ausschenken«. Wir plaudern über Istanbul und Erdoğan. »Es gibt immer noch Punks und Punk-Konzerte. Und wir haben jetzt einige Plattenläden, in denen Vinyl verkauft wird. Aber es hat sich so viel verändert. Auch der Blick auf Istanbul selbst. Vor drei Jahren verbanden die Leute im Ausland Istanbul mit den Gezi-Park-Protesten. Im November war ich in den Niederlanden auf einem Musik-Festival. Als ich vorgestellt wurde und sagte, dass ich aus Istanbul käme, sind die Leute weggerannt! Einfach weggerannt!« Von der Extra-3-Erdoğan-Satire habe sie gehört, aber Böhmermanns noch böseren Beitrag kenne sie nicht. »Derzeit ist die Türkei wirklich das finsterste Land. Die Leute denken, Erdoğan wäre der Puffer zwischen dem IS und der westlichen Welt, aber das stimmt nicht. Wir, die junge progressive Bewegung, sind der Puffer. Wenn wir nicht wären, gäbe es keinen Unterschied.«