Das Buch »Hunger Makes Me a Modern Girl« von Carrie Brownstein

Der falsche Körper, die falsche Kleidung

Carrie Brownstein ist Gitarristin und Sängerin der Band Sleater-Kinney. Größere Bekanntheit erlangte sie in den vergangenen Jahren durch ihre Serie »Portlandia«. In ihrer Autobiographie schildert Brownstein die Suche nach künstlerischem Ausdruck.

Vor elf Jahren, am 24. Mai 2005, erschien mit »The Woods« das siebte Studioalbum der amerikanischen Indierock-Band Sleater-Kinney. Es sollte vorerst die letzte Veröffentlichung bleiben, denn das Trio löste sich noch während der Tour zum Album auf. Das dramatische Ende in einem Brüsseler Backstageraum bildet den Ausgangspunkt für das Buch »Hunger Makes Me A Modern Girl« von Carrie Brownstein, der Gitarristin und Sängerin der Band. Nach Reunion und Veröffentlichung des Comeback-Albums »No Cities To Love« im vergangenen Jahr fügt das Werk der zweiten Karriere von Sleater-Kinney eine Autobiographie hinzu, die zugleich Bandgeschichte ist.
Wie die Eröffnungsszene schlägt auch der Titel eine Brücke zurück in die Zeit der Bandauflösung. Er zitiert »Modern Girl«, einen ungewöhnlichen Song auf »The Woods«. Flankiert von den energetischen Singles »Jumpers« und »Entertain« geht das schunkelige Stück mit seiner repetitiven Gitarrenfigur und der Lagerfeuermundharmonika musikalisch unter. Zugleich liefert es mit Zeilen wie »hunger makes me a modern girl/anger makes me a modern girl« einprägsame Bilder für eine spezifisch weibliche Form der Selbstwahrnehmung. Der Text skizziert die oberflächliche Identität eines modern girl, deren Persönlichkeit von kaum mehr als der An- oder Abwesenheit eines Partners und der Kontrolle über den eigenen Körper geprägt wird. In Verbindung mit der bewusst schlichten musikalischen Struktur nimmt das Gesungene eine sarkastische, fast boshafte Perspek­tive ein.
Wenn sich Brownstein nun eine Dekade später selbst zitiert, ist von dieser wertenden Position nichts mehr zu spüren. Analysiert und kritisiert wird auf 240 Seiten vor allem sie selbst – und Letzteres nicht zu knapp. Die intime Verhandlung der eigenen Psyche irritiert in ihrem Detailreichtum streckenweise, liefert aber auch eine faszinierende Innenschau der Dynamik einer Band, deren Zustand zwangsläufig auch immer von den jeweiligen Lebensumständen der einzelnen Mitglieder geprägt ist. Ohne zynisch zu klingen, arbeitet sich Brownstein an den elementaren Aspekten jener Tätigkeiten ab, die ihre Persönlichkeit mehr bestimmen als alles andere: das Musikmachen im Allgemeinen, die Gruppe Sleater-Kinney im Besonderen.
Die heute 41jährige verfährt chronologisch. Den Kapiteln über ihre Kindheit und Jugend in Redmond, einer Vorstadt von Seattle, folgt die Geschichte ihrer Zeit mit Sleater-Kinney. Von der Gründung 1994 in Olympia bis zum Neuanfang 2015 reicht die nach Alben unterteilte Bandhistorie und nimmt dadurch mehr Raum ein, als Brownsteins private Erinnerungen. Wer sich für ihre anderen Projekte interessiert, erfährt wenig. »Portlandia« etwa, ihre in Zusammenarbeit mit dem Komiker und Musiker Fred Armisen (u. a. »Saturday Night Live«) produzierte Comedy-Serie, ist trotz anhaltenden Erfolgs nur eine Randbemerkung wert. Die seit 2010 ausgestrahlte Satiresendung, die das Leben von Hipstern und anderen Ökos parodiert, beschert der Autorin und ­Darstellerin heute größere Bekanntheit als ihre musikalische Karriere, die im von Punk und Grunge geprägten Olympia der ausgehenden neunziger Jahre begann. Brownstein selbst interessiert sich aber für die ­eigene neue Popularität herzlich wenig.
Als Initiationsmoment und Katalysator ihrer Leidenschaft für Musik nennt sie ihren frühen – und anhaltenden – Enthusiasmus für Pop. Das wirkungsvolle Identifikationsangebot des Stars an den Fan und das nicht zu unterschätzende Potential, jugendliche Begeisterung in künstlerischen Ausdruck umzuwandeln, wird von Brownstein immer wieder beschrieben: »Meine Geschichte ­beginnt mit mir als Fan. Fan zu sein, bedeutet das Wissen darum, dass zu lieben stärker ist, als geliebt zu werden. Bei all der Zuneigung, mit der ich Bands, Filme, Schauspieler und Musiker überhäufte, ging es eigentlich um mich und meine Freunde.«
Der Moment des Übergangs vom Fan zur Künstlerin, die Hinwendung zu einer bestimmten Ästhetik, hat eine Schlüsselfunktion in wohl jeder Pop-Biographie, wird aber selten so reflektiert und eloquent dargestellt wie von Brownstein. Gemeinsam mit Corin Tucker (Schlagzeugerin Janet Weiss stieß später dazu) gründete sie Sleater-Kinney in einer Szene, die sich aus der feministischen Riot-Grrrl-Bewegung, politischem Aktivismus und Punk-Idealismus speiste und dank des kurzen kommerziellen Erfolgs von Grunge und College-Rock sogar vorübergehend vom Mainstream aufgegriffen wurde.
Brownstein schildert den einflussreichen Mikrokosmos um Bands wie Bikini Kill und Team Dresch und Labels wie Kill Rockstars, Chainsaw oder K Records als Nährboden und Inspirationsquelle, ohne sich dabei in mystifizierender Nostalgie zu verlieren. Sicher: Wer sucht, findet auch hier Ansätze von Szene­tratsch, wirklich persönlich wird es aber nur, wenn die Autorin den Fokus wieder ausschließlich auf sich richtet. Dabei geht es immer wieder um ihren Körper: das Wohl- oder Fremdfühlen darin, den Wunsch, begehrt zu werden, Schmerzen, Euphorie, Krankheit und Heilung, Hypochondrie und die Fallstricke bei öffentlichen Auftritten.
Die akribische Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper gehört zu den besten Passagen des Buches. Carrie Brownstein kann sehr witzig sein und lässt gelegentlich ihre »Port­landia«-Autorenschaft durchscheinen. Die Beschreibung einer missglückten Bewerbung als Gitarristin bei der viel zu coolen Riot-Grrrl-Band 7 Year Bitch ist ein solches Highlight. Bei aller Selbstironie schwingt in der genüsslichen Schilderung der vor Verkrampftheit und adoleszenter Unbeholfenheit starrenden Szene aber auch eine Verletzlichkeit mit, die Brownstein nie zu vertuschen sucht.
Die Erkenntnis, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe nicht erzwungen werden kann, wird hier weder romantisiert noch abgetan. Der falsche Körper, die falsche Kleidung, das falsche Geschlecht – Brownstein nennt zahlreiche mögliche Kriterien dafür, wieso sie sich jahrelang ausgeschlossen vorkam. »Harte Arbeit, Mut und die betäubende Kraft des Rock ’n’ Roll« bilden, dem Klappentext zufolge, den Ausweg aus der Misere – dass es dann doch komplizierter ist, verschweigt das Buch zum Glück nicht.
Am interessantesten sind Brownsteins Memoiren immer dann, wenn sie Widersprüche beschreibt, die aus der vorgeblich so erstrebenswerten Selbstverwirklichung entstehen. Punk- und Do-It-Yourself-Kultur tun sich bekanntlich schwer damit, wenn eine Band auch über eingeschworene Kreise hinaus Erfolg hat – und Brownstein deutet mehr als einmal an, aus Solidarität den ­eigenen Ehrgeiz hintangestellt zu haben. Dramatisch wird es, sobald die einzelnen Bandmitglieder einander nicht mehr ertragen. Das anstrengende Tourleben und Prioritäten außerhalb der Band, die immer weniger zusammenpassen, erzeugen Krisen und schmerzhafte Veränderungen, die Brownstein wiederum als Kampf mit dem eigenen Körper schildert. Nicht zuletzt: Eine größere Öffentlichkeit und die Annäherung an den medialen Mainstream bedeutet für eine »Frauenband« wie Sleater-Kinney eben auch immer wieder, schauerliche Artikel über die eigene Arbeit zu lesen, in denen es am wenigsten um Musik geht. Eine Auswahl verletzender, teilweise grotesker Kommentare, auch aus etablierten Publikationen, ist im Buch enthalten.
Beeindruckend ist, wie wenig ­verbittert Brownstein angesichts der herablassenden Haltung einiger ­Rezensenten erscheint. Stattdessen beschreibt und kontextualisert sie selbst ihre musikalische Entwicklung als Gitarristin, Sängerin und Komponistin. Die unverwechselbare Ästhetik einer Band, die immer mehr ist als die Summe ihrer einzelnen Teile, ist ein schwer zu beschreibendes Phänomen .Brownstein findet auch dafür präzise Worte und räumt der Suche Sleater-Kinneys nach dem einen, dem eigenen Sound viel Platz im Buch ein. Die Suche nach einem individuellen Ausdruck mit Hilfe des Musikinstruments als Verlängerung des Körpers steht im Mittelpunkt dieser lesenswerten Autobiographie, die zugleich eine Liebeserklärung des Fans Carrie Brownstein an die eigene Band ist.
Carrie Brownstein: Hunger Makes Me A Modern Girl. A Memoir. Das Buch ist bei Riverhead (USA) und Virago Press (Großbritannien) erschienen, eine deutschsprachige Ausgabe ist in Vorbereitung.