»Dorf ist Dorf«

Endlich mal was Neues in Brandenburg/Havel: Am Wochenende soll dort eine Gay Pride Parade stattfinden. Sie gehört zum Programm der »LGBTI Refugee Conference«, die ebenfalls in der Stadt veranstaltet wird und auf die Lage von Flüchtlingen aufmerksam machen soll, die in ihren Herkunftsländern wegen ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden. Paul Fischer-Schröter, einer der Organisatoren der Konferenz, hat mit der Jungle World gesprochen.

Aus welchen Ländern kommen LGBTI-Refugees hauptsächlich?
Diejenigen, mit denen wir Kontakt haben, kommen fast alle aus der Russischen Föderation und aus ehemaligen Sowjetrepubliken. Es gibt aber auch genug Leute, die aus arabischen und afrikanischen Ländern flüchten.
Die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung ist noch nicht lange als Fluchtgrund anerkannt. Wie verhalten sich die deutschen Behörden in solchen Fällen?
Es macht den Eindruck, als sei diese Neuerung immer noch nicht richtig angekommen. Die Verfahren gerade von Personen aus der Russischen Föderation dauern sehr lange. Teilweise warten die Leute nach ihrem Interview noch ein halbes oder ganzes Jahr, bis sie einen Bescheid erhalten. Soweit wir wissen, gibt es bislang erst acht Menschen aus Russland, die wegen Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung Asyl erhalten haben. Es gibt aber weit über 100 laufende Verfahren. Es gibt auch jemanden aus Eritrea, der im Kreis Ostprignitz-Ruppin lebt. Er hat sein Interview absolviert und wartet nun seit einem dreiviertel Jahr auf einen Bescheid.
Die Wartezeit müssen die Leute in den Unterkünften verbringen. Wie ist die Lage dort für LGBTI?
In den Heimen ist es schwierig. Viele Geflüchtete kommen aus Syrien oder anderen arabischen Ländern. In den Gesellschaften, aus denen diese Menschen kommen, wird Homosexualität strikt abgelehnt. Das schlägt sich auch in den Heimen nieder und hat zur Folge, dass die meisten LGBTI-Refugees den ganzen Tag in ihren Räumen sitzen und sich nicht hinaustrauen. Alisa, eine der Hauptpersonen unseres Projektes, wurde hier im Heim in Brandenburg/Havel angegriffen. Sie hat sich ein Zimmer mit einer Tschetschenin geteilt. Russen und Tschetschenen sind ohnehin eine schwierige Kombination, dazu Katholikin und Muslima und am Ende noch lesbisch und heterosexuell. Die Tschetschenin hat Alisa zwar nicht selbst angegriffen. Aber es gibt Tschetschenen in der Stadt, die regelmäßig in der Unterkunft zu Besuch waren. Von denen ging die Gewalt aus. Alisa wurde dann privat untergebracht. So geht es etlichen Leuten.
Wie verhalten sich die Betreiber der Unterkünfte angesichts solcher Probleme?
Hier in der Region waren die Probleme den Betreibern völlig unbekannt, bis es zum ersten Angriff kam. Danach ging der Betreiber hier in der Stadt aber sehr sensibel mit den fünf LGBTI um, verschaffte ihnen gesonderte Räume und hatte ein Auge auf die Lage. Eine Schwierigkeit ist auch, dass sich die Leute erst einmal vor den Sozialarbeitern outen müssen, damit diese sich auf die Situation einstellen können. Eines unserer Ziele ist es deshalb, Öffentlichkeit für die Probleme von LGBTI-Refugees zu schaffen, damit auch bei Heimleitungen ein größeres Bewusstsein entsteht. Was gut ist: In Nürnberg und Berlin gibt es mittlerweile Unterkünfte eigens für LGBTI-Geflüchtete.
In Großstädten gibt es generell Rückzugsräume. Welche Möglichkeiten haben geflüchtete LGBTI auf dem Land?
Sie sind auf sich allein gestellt. Auch in politischer Hinsicht, die meisten Leute waren in ihren Herkunftsländern auch politisch engagiert. Die LGBTI aus Russland sind allerdings sehr gut über das Internet vernetzt. Aber Dorf ist Dorf und bleibt ein Problem.
Die Konferenz findet auch im ländlichen Raum statt. Warum ist Brandenburg/Havel der Veranstaltungsort?
Zum einen gibt es hier ohnehin die fünf russischen LGBTI-Geflüchteten. Zum anderen wollen wir ja darauf aufmerksam machen, dass es problematisch ist, diese Leute aufs Land zu schicken. Hier gibt es keinen Treffpunkt für LGBTI oder etwas Ähnliches. Hier gibt es nichts für diese Leute.