Brasiliens Präsidentin droht die Amtsenthebung

Ende einer Ära

In Brasilien hat die Abgeordnetenkammer die Eröffnung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen die Präsidentin Dilma Rousseff beschlossen. Berechtigte Kritik an der Regierung der Arbeiterpartei geht in rechter Putschstimmung unter.

Ja. Nein. Ja. Nein. Monatelang wurde in Brasilien darüber gestritten, ob die Präsidentin Dilma Rousseff sich tatsächlich einem Amtsenthebungsverfahren würde stellen müssen. Bei Straßenumfragen kann bis heute kaum jemand klar den Grund dafür benennen. Die Opposition und einige abtrünnige Koalitionsparteien bauschen den Vorwurf gegen Rousseff, die »Manipulation öffentlicher Bilanzen durch Dritte« zugelassen zu haben, zu einem wissentlichen »Verbrechen präsidialer Verantwortung« auf, doch das war und ist wenig überzeugend. Konfrontiert mit immer neuen Korruptionsvorwürfen in der nationalen Presse geriet die regierende Arbeiterpartei (PT) in den vergangenen Wochen jedoch immer mehr in die Defensive. Die schwächelnde Wirtschaft tat den Rest.
Am Sonntag war es schließlich soweit: 367 der anwesenden 511 Abgeordneten leiteten mit deutlich mehr Stimmen als der notwendigen Zweidrittelmehrheit den Beginn ein Amtsenthebungsverfahren ein. Zwar muss in den kommenden Tagen der Senat die Entscheidung bestätigen, aber da dort eine einfache Mehrheit genügt und der PT es seit Monaten nicht schafft, eine Mehrheit der Senatoren auf seine Seite zu bringen, rechnet niemand damit, dass Rousseff im letzten Moment eine »Wiederauferstehung« gelingt.
Das Vorgehen gegen Rousseff entspricht einmal mehr dem Schema eines medial vorbereiteten »kalten« (Taz) oder »sanften« (FAZ) Putsches, soll heißen, der fragwürdigen Anwendung rechtsstaatlicher Mittel, um eine gewählte Regierung vorzeitig loszuwerden. Erfolg hatte ein solches Vorgehen zuletzt im Jahr 2013 in Paraguay, als der dortige Präsident Fernando Lugo einem parlamentarischen Coup der konservativen Opposition zum Opfer fiel. Für die antiimperialistische Linke Brasiliens ist das Anlass, um von einer »kolonialen Strategie kontinentalen Ausmaßes« zu reden, die einen »neuen Aderlass« Lateinamerikas einläute. Im Fall Brasiliens würde »neu«, nüchtern betrachtet, jedoch vor allem heißen, dass der Ausbau der Agroindustrie, der Rohstoffexporte und die Umsetzung energetischer Megaprojekte künftig ohne ein »soziales Antlitz« auskommen muss.
Die Arbeiterpartei hatte zu Beginn ihrer inzwischen zwölfjährigen Regierungszeit ein umstrittenes Reformprojekt vor Augen: Alle Brasilianer und Brasilianerinnen sollten über die Teilhabe als Konsumenten nach und nach ihre vollständigen Bürgerrechte erhalten. Und tatsächlich, eine positive Weltmarktkonjunktur machte es lange Zeit möglich, Sozialprogramme auszubauen, ohne die Privilegien der herrschenden Klasse anzutasten. Um dafür auch Mehrheiten im Kongress zu bekommen, war der PT von Beginn an gezwungen, Bündnisse einzugehen und – wie sich nach dem Mensalão-Skandal im Jahr 2005 herausstellte – auch zusammenzukaufen. Die Partei war endgültig in der Realpolitik angekommen, ein Umstand, den derzeit nur wenige so selbstkritisch beschreiben wie der (noch) amtierende Kulturminister Juca Ferreira: »Die brasilianische Linke hat die Methodik der Rechten übernommen, die die Korruption immer schon dafür benutzt haben, sich zu bereichern oder sich politisch zu reproduzieren.«
Das drohende Ende der PT-Regierung ist deshalb verhängnisvoll im doppelten Sinne: Zum einen wird Brasilien in den kommenden beiden Jahren wohl nicht von einem gewählten Staatsoberhaupt, sondern von Rousseffs bisherigem Stellvertreter Michel Temer regiert werden, der aktiv deren politischen Sturz vorangetrieben und in einer vorab geleakten Entwurf seiner Antrittsrede bereits harte soziale Einschnitte angekündigt hat. Zum anderen ist zu befürchten, dass sich der PT in einer Märtyrerrolle einrichten wird. Mit dem immer noch populären Amtsvorgänger Rousseffs, Luiz Inácio Lula da Silva, könnte sie bei den Wahlen im Jahr 2018 antreten und mit den bewährten Methoden eine pluralistische linke Erneuerung von unten verhindern.