Gedanken zum »Brexit«

Erst der Brexit, dann die Hochzeit

Die EU brachte die Menschenrechte und krumme Bananen auf die Insel. Aber Großbritannien ist undankbar und will seine Verlobung mit Europa lösen. Für deutsche Jungs hätte das ungeahnte Konsequenzen.

»Jacinta, was ist deine Meinung zum Brexit?« fragen mich deutsche Leute in der letzten Zeit andauernd. Fast kein Tag vergeht ohne solche Fragen: »Jacinta, werden die Engländer weggehen? Werden die Schotten dann von Großbritannien weg- und zur EU zurückgehen? Was sagt die Queen dazu? Warum seid ihr Briten so komisch? Warum trinkt ihr immer ­euren Tee mit Milch drin?« Ab und zu sagt einer: »Ich wusste gar nicht, dass England überhaupt in der EU ist, und jetzt wollt ihr weggehen?« Und manchmal: »Jacinta, was ist los mit euch? Die Schweiz und Dänemark sind auch nicht in der EU, aber zumindest fahren sie auf der rechten Seite der Straße.«
Also hier ist meine offizielle Meinung zum Brexit: Ich habe, ehrlich gesagt, die Schnauze voll von der Ablehnung der EU durch Großbritannien. Mein ganzes Leben lang waren die Engländer nur am Lästern, jetzt sollen sie endlich weggehen. Ich glaube, ich war elf Jahre alt, als Kinder sich auf dem Schulhof das erste Mal darüber beschwert haben, dass die EU Bananen verboten hat, weil sie angeblich nicht krumm genug waren. Wir waren sonst sehr unpolitisch. Wir wussten nicht wirklich, warum die IRA uns mit Bomben in der tube belästigt hatte – aber über Bananen wussten wir Bescheid. 25 Jahre lang habe ich den Briten beim Lästern zuhören müssen: »Chemists« müssen jetzt »pharmacists« genannt werden, wegen der EU, Schinken muss grammweise verkauft werden, wegen der EU, Milch nach Litern gemessen; man darf Terroristen und Soldaten nicht mehr foltern, Kinder nicht mehr schlagen, Mitarbeiter nicht mehr feuern. 25 Jahre lang haben sie gelästert, jetzt haben sie die Chance, wegzugehen, und sie sollen das machen, meiner Meinung nach.
Großbritannien ist wie ein Junge: ein hübsches, arrogantes Arschloch, das mit einer etwas zu dicken Frau vögelt, die ein klein bisschen weniger attraktiv ist als er. (Diese Frau ist die EU). Sie ist nicht total dick und unattraktiv, nur ein bisschen, aber er denkt, er sei voll der hübscheste, interessanteste Mensch im Raum. »Ich bin der interessanteste Mensch im Raum«, sagt er sich beim Abendessen und in Clubs und so. Sein Interessantsein überschätzt er leicht.
Er vögelt sie nicht superoft, dafür aber kontinuierlich, das geht über Jahre. Seit Jahren vögeln sie miteinander. Manchmal einmal pro Monat, manchmal zweimal pro Monat, manchmal sogar einmal pro Woche. Immer auf dem Heimweg vom Club ruft er sie noch an und überredet sie, mit ihm zu schlafen. Aber nach jedem Mal, wenn sie Sex hatten, guckt der arrogante Junge der etwas dickeren Frau in die Augen, lehnt seinen Kopf zurück auf dem Kissen und seufzt traurig. »Ich mache mir Sorgen, dass du mehr willst«, sagt er vorwurfsvoll. Die Frau sagt: »Was meinst du? Ich verstehe deine Aussage nicht. Ich will nur unverbindlichen Sex.« Der Junge sagt: »Wenn du mehr willst, dann müssen wir sofort aufhören.« Die Frau sagt: »Ich will gar nichts von dir, außer un­verbindlicher Sex.« Der Junge sagt: »Manchmal habe ich das Gefühl, dass du versuchst, mich zu ändern.« Die Frau sagt: »Ich brauche übrigens ein bisschen Geld für die Pille nachher!« Der Junge sagt: »Du wirst meine Familie nie kennenlernen, ist dir klar, oder?« Die Frau sagt: »Ich bin einfach so dankbar, dich kennengelernt zu haben.« Dann meldet sich Großbritannien für einen Monat nicht und die EU weint zuhause, total panisch, dass jetzt Schluss ist.
Alle Frauen, die das kennen, wissen Bescheid. Genau wie im echten Leben soll es bei der europäischen Finanzpolitik gehen: Die EU sollte sagen, dass Großbritannien sich ins Knie ficken kann. All die schönen Sachen, die die EU für Großritannien gemacht hat – Menschenrechte und so –, das ist so, wie wenn eine Frau das Badezimmer ihres Noch-nicht-Freundes putzt oder Blumen in eine Vase stellt mit Zweigen und rosafarbenen Glaskugeln. Statt sich zu freuen, hat Großbritannien Beziehungspanik. Das Einzige, was man in so einer Situation tun kann: Es beenden, dann sich selber beim Flohmarkt einen Verlobungsring kaufen, um mit sich selbst zufrieden zu sein, denn eigentlich braucht man keinen Mann.
Apropos Verlobung: Ich gehe davon aus, dass all die arroganten, deutschen bindungsscheuen Jungs, die die armen Engländerinnen hier in Berlin nicht heiraten wollen, diese Jungs, die sich immer Sorgen machen, dass die Frauen, mit denen sie schlafen, »mehr« wollen könnten als nur gevögelt zu werden – sich überwinden würden, wenn Großbritannien rausgeschmissen wird, um unseren Aufenthaltstitel zu sichern. Ich habe zumindest schon ein Hochzeitskleid für mich und Tiara ausgesucht. Also für uns in Berlin lebende Engländerinnen gibt es ein Happy End, für die undankbaren Arschlöcher in England wird es kommen, wie es kommen sollte. Das heißt, jeden Tag ähnelt England mehr dem England aus »Children of Men«, allerdings mit Schinken, der in Ounces verkauft wird, statt nach Gramm. Und das, meine Damen und Herren, ist meine offizielle Meinung zum Brexit.