Esteban Morales im Gespräch über den politischen Wandel in Kuba

»Kuba muss sich für externe Einflüsse öffnen«

Esteban Morales ist Professor am Zentrum für US-amerikanische Studien an der Universität Havanna, 73 Jahre alt und Mitglied der Kommunistischen Partei Kubas. Er gilt als kritischer Geist der Partei, aber auch als Verteidiger der kubanischen Revolution.

Kuba sorgt derzeit für viele Schlagzeilen. Erst kam US-Präsident Barack Obama nach Kuba, dann spielten die Rolling Stones in Havanna und auch Fidel Castro hat sich zurückgemeldet. Vom 16. bis zum 19. April fand nun der Kongress der Kommunistischen Partei statt. Wie beurteilen Sie die Lage?
In Kuba ist es ruhig. Es herrscht zwar Euphorie, weil sich das Verhältnis zu den USA langsam zu entspannen scheint, aber die Menschen warten ab. Die kleinen oppositionellen Gruppen, die es gibt, haben kaum Einfluss. Selbst die US-Botschaft scheint das so zu sehen, wie eine von Wikileaks veröffentlichte Depesche nahelegt, in der der ehemalige Leiter der US-Interessenvertretung recht respektlos über die po­litische Opposition schrieb. Er hat dargelegt, dass diese Gruppen kaum Einfluss haben.
Mit dieser Opposition hat sich doch Obama gerade getroffen.
Ja, aber diese Opposition ist allein kaum lebensfähig. Sie hängt am Tropf der USA, wird von ihnen finanziell unterstützt, ist in Kuba aber kaum bekannt. Zudem ist das Gros der Führungsfiguren in die USA ausgereist, so dass die US-Botschaft nach einer neuen Generation von Oppositionellen suchen muss. Mit Obama hat die US-Politik ein neues Gesicht bekommen. Die Entwicklung hat 2009 begonnen, als Obama sich dialogbereit zeigte, aber auch bekräftigte, dass er das Handelsembargo nicht aufheben werde. Er hat den politischen Wandel eingeleitet, unter anderem weil er genau wusste, dass die Solidarität mit Kuba in ganz Lateinamerika groß ist. Es gab Regierungschefs wie Rafael Correa aus Ecuador, die angekündigt hatten, dass sie nicht zum Amerika-Gipfel reisen würden, wenn Kuba nicht dabeisein würde.
Kuba war dabei und heute ist Obama in Havanna ein gefeierter Mann. An vielen Ecken, auf Fahrzeugen und auf T-Shirts ist die US-Flagge derzeit zu sehen.
Richtig, aber er hat im Laufe der Annäherung auch Fehler gemacht, zum Beispiel als er Venezuela als Gefahr für die US-amerikanische Sicherheit bezeichnet hat. Das war für viele Nachbarländer nicht nachvollziehbar, denn er eröffnete damit eine neue Front gegen ein Land. Zudem wollte Obama, dass die US-Botschaft in Havanna und die kubanische in Washington bereits zum Gipfel in Panama im April 2015 eröffnet sein sollten. Daraus wurde aber nichts, weil die kubanische Seite darauf bestand, dass Kuba zuvor von der Liste der Terrorstaaten verschwinden müsse. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Geschichte der US-Interessenvertretung in Havanna eine sehr negative ist, denn sie wurde für politische und subversive Zwecke genutzt.
Seit Juli vergangenen Jahres gibt es die Botschaften nun, sind die Beziehungen normaler geworden?
So weit sind wir nicht. Eine Normalisierung ohne eine Beendigung des Handelsembargos ist für mich nicht denkbar. Zudem gibt es nach wie vor den Militärstützpunkt von Guantánamo und auch die Propagandasender Radio und TV Martí sind weiter auf Sendung. Und die USA sind nicht bereit, die Schäden von mehr als 50 Jahren Embargo zu kompensieren Das sind vier Hürden für die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn.
Warum gibt es in einigen dieser für Kuba wichtigen Punkte keine Bewegung?
Obama verfolgt eine andere Leitlinie, er hat die Effekte der Blockade, die die Menschen direkt betrifft, abgemildert. Das betrifft unter anderem die Dollar-Transfers und den Postverkehr. Zudem gibt es das Angebot, beim Ausbau des Internets zu helfen und die direkten Kontakte zu fördern. Alle Maßnahmen, die die Regierung betreffen, hat er hingegen bestehen lassen. In seiner Amtszeit wurden die härtesten Strafen für Banken verhängt, die mit Kuba Geschäfte abwickeln. Obama folgt also einer Doppelstrategie: Auf der einen Seite gibt es Erleichterungen für die Bevölkerung, auf der anderen Seite Härte gegenüber der Regierung. Und Kuba ist weit davon entfernt, dass es irgendetwas in die USA exportieren kann.
Aber widersprechen die Verträge zur Produktion eines Traktors durch ein US-Unternehmen in Kuba und die zwischen kubanischen Hotels und US-Unternehmen nicht dieser Logik?
Ja, aber es sind Ausnahmen, die auch als solche deklariert wurden. Ob es in diese Richtung weitergeht, weiß niemand und wir sollten abwarten. Bis jetzt wird das Embargo weiterhin als Druckmittel genutzt. Was Barack Obama fördert, sind das Kleinunternehmertum, die Kultur und der Kontakt mit US-Amerikanern. Die Strategie Barack Obamas ist es, eine Mittelschicht aufzubauen, die politische Rechte einfordert. Das geht nicht von heute auf morgen, aber die Idee, dadurch Einfluss in Kuba zu gewinnen, ist nie aufgegeben worden.
Kuba verändert sich in kleinen Schritten seit Mitte der neunziger Jahre. Wie denken Sie über den Wandel?
Ich sehe ihn sehr positiv, denn es ist gelungen, eine geschlossene Gesellschaft zu öffnen. Kuba muss sich verändern, muss sich für externe Einflüsse öffnen. Aber wir müssen selbst definieren, in welche Richtung es geht.
Der Kapitalismus hat doch längst Einzug in Kuba gehalten.
Ja, der Kapitalismus funktioniert in Kuba, aber eben nicht in Reinkultur, sondern es ist ein regulierter Kapita­lismus. In Kuba war der Staat letztlich bis zu Beginn der neunziger Jahre Alleinbesitzer, das hat sich spürbar geändert, denn wir haben eingesehen, dass wir mit der staatlichen Wirtschaft allein nicht vorankommen. Wir brauchen den Staat, um das Gesundheits-, Bildungs- und Sozialsystem aufrechtzuerhalten und um die große Produktion zu koordinieren, den Nickel- und Zuckersektor beispielsweise, aber wir brauchen ihn nicht, um Kleinbetriebe zu steuern – das schafft er nicht, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Der Staat soll regulieren, kontrollieren, Rahmenbedingungen definieren.
Das macht er sehr zögerlich. So hat das Kleingewerbe zwar mehr Freiraum erhalten, doch es ist nach wie vor auf eine Liste von rund 200 Be­rufen begrenzt. Warum?
Es ist eine aus der Not geborene Maßnahme und bis jetzt hat der Sektor noch nicht allzu viel Dynamik und Kraft gewonnen. Aber man kann Cafés, kleine Pensionen und Restaurants aufbauen und davon gibt es jetzt eine ganze Menge. Die Regulation erfolgt über die Steuern.
Sind die Selbständigen denn heute gewollt als Element einer sozialistischen Wirtschaft im 21. Jahrhundert?
Ja, denn den Widerstand, den es Mitte der neunziger Jahre gegen ähnliche Maßnahmen gab, gibt es heute nicht mehr. Damals war man schlicht überfordert, man kannte das ja alles nicht mehr, denn private Dienstleister und Kleinhändler sind in Kuba Ende der sechziger Jahre verboten worden. Heute ist vieles anders und wir brauchen die Kleinunternehmer, um das Angebot zu erweitern – alles im Rahmen bestimmter Regeln.
Mit diesen Maßnahmen differenziert sich die kubanische Gesellschaft allerdings auch stärker aus – in Gewinner und Verlierer der Reformen.
Es gibt in Kuba mehr Ungleichheit, denn in vielen Fällen sind es diejenigen, die über remesas (Dollartransfers von Familienangehörigen im Ausland, Anm. d. Red.) verfügen, die besser leben und sich etwas aufbauen können – etwa ein Restaurant. Das ist eine soziale Herausforderung für die Gesellschaft. Wir müssen es hinbekommen, erfolgreiche Unternehmen aufzubauen, die attraktive Löhne zahlen können, und die soziale Schere nicht weiter auseinanderklaffen zu lassen. Es ist eine Tatsache, dass die Löhne keine Relation zu den Lebenshaltungskosten in Kuba haben – das muss sich ändern.
Ich persönlich glaube, dass Kuba spätestens 2017 eine einzige Währung haben wird. Heute überwiegen die negativen Effekte der doppelten Währung die positiven.
Vor dem Parteikongress ist kaum an der Basis diskutiert worden. Niemand weiß so richtig, in welche Richtung es geht. Warum?
Ich habe das bereits im Dezember in einem Brief an das Politbüro kritisiert, denn es gibt zu viele wichtige Fragen, die an der Basis diskutiert werden müssen. Wir brauchen mehr Grundsatzdiskussionen an der Basis, um den Weg festzulegen. Übergeordnetes Ziel ist es, die Wirtschaft effektiver zu machen und dazu gehört, mehr Freiräume für die Privatinitiative zu schaffen und die staatlichen Kontrollen zu perfektionieren. Auch die staatlichen Unternehmen brauchen mehr Bewegungsfreiheit, sollten eigenständig importieren und exportieren können. All das sollte dann dazu beitragen, dass die Löhne endlich steigen.
Sie haben 2010 in einem Artikel die Korruption in Kuba kritisiert. Hatte der eine Wirkung?
Der Artikel hat viel Staub aufgewirbelt und eine Diskussion ausgelöst. Ich wurde erst mit dem Parteiausschluss belohnt, denn im Politbüro kam der Artikel gar nicht gut an. Es wurde dann diskutiert, analysiert und schließlich wurde ich von Raúl Castro wieder in die Partei aufgenommen. Was aber geblieben ist: Heute wird stärker auf Korruption geachtet. Es wurde eingesehen, dass Korruption ein großes Risiko ist und je mehr ausländisches Kapital in Kuba zirkuliert, je weiter wir uns öffnen, desto mehr Korruptionsmöglichkeiten gibt es. Das ist eine Tatsache, aber heute gibt es mehr Kontrolle und mehr Korrupte, die im Gefängnis sitzen. Die Korruption ist der Staatsfeind Nummer eins.
Welches Niveau hat die Korruption?
Wir haben ein ganz anderes Niveau von Korruption als in der Region. Das ist nicht vergleichbar mit Kolumbien, Mittelamerika oder Mexiko. Dort sind Präsidenten und hohe Politiker immer wieder involviert – hier sitzen Leute wegen Korruption für 15 Jahre ein. Das schreckt sicherlich ab.