Die juristische Aufklärung der Angriffe in der Kölner Silvesternacht

Vergewaltigung stornieren

Die massenhaften Angriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht werden allmählich polizeilich, juristisch und in einem Untersuchungs­ausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags aufgearbeitet. Auf Bundesebene haben die Ereignisse bereits jetzt erhebliche Konsequenzen.

Schon drei Wochen nach der Silvesternacht in Köln beschloss der nordrhein-westfälische Landtag, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einzusetzen, der sich mit den sexuellen Angriffen und dem Verhalten der Polizei in dieser Nacht befassen soll. Vorsitzender des Ausschusses wurde der CDU-Abgeordnete Peter Biesenbach, der sich zuvor im Ausschuss zum Natio­nalsozialistischen Untergrund (NSU) als unbequemer Fragesteller erwiesen hatte. Die von SPD und Grünen gebildete Landesregierung versprach die vollständige Aufklärung der Ereignisse – um das Vertrauen in den Rechtsstaat wiederherzustellen, wie es hieß. Neunmal ist der Ausschuss seither zusammengekommen. Aus den Ergebnissen der bisherigen Sitzungen ergaben sich etliche unangenehme Fragen, auch an die Landesregierung.
Innenminister Ralf Jäger (SPD) sieht sich als obersten Aufklärer. Dabei ist die Rolle des Innenministeriums selber fragwürdig. Gegen Jägers Behörde, insbesondere das ihm unterstellte Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste (LZPD), werden schwere Vorwürfe erhoben. Wie der Kölner Express Anfang April meldete, gab es Versuche aus dem LZPD, die mit »wichtiges Ereignis« betitelte Polizeimeldung über Vergewaltigungen in der Silvesternacht zu »stornieren« oder wenigstens den Begriff Vergewaltigung zu streichen. Dem Express zufolge geschah dies auf »Wunsch aus dem Ministerium«. Die Kölner Polizei weigerte sich allerdings, die Meldung zu streichen.
In einer Pressemitteilung wies das Innenministerium die Darstellung der Zeitung zurück. Es habe lediglich »Abstimmungsgespräche« zwischen dem LZPD, dem Landeskriminalamt und der Polizei Köln gegeben. Gegenstand der Gespräche seien unter anderem »die Sachverhaltsdarstellung, die deliktische Einordnung der Straftatbestände, der Kräfteansatz der K-Wache und die polizeilichen Maßnahmen« gewesen. Ein völlig normaler Vorgang also, wie das Innenministerium behauptet.
Mit dem LZPD hatte die Kölner Polizei aber bereits früher Meinungsverschiedenheiten. In einem Bericht hatte die Polizei die Silvesternacht des Vorjahres im Bereich des Hauptbahnhofs als unruhig geschildert und den Einsatz einer Hundertschaft dort als notwendig bezeichnet. Das LZPD genehmigte aber keine Hundertschaft. Von den angeforderten 114 Polizeibeamten wurden 76 abgestellt, zwei Züge der Hundertschaft fehlten. Im Untersuchungsausschuss sagte ein Kölner Polizeibeamter zu diesem Vorgehen des LZPD: »Ich dachte, die sind bekloppt.« Die Kölner Polizei musste ihre Pläne ändern, die Beamten wurden aufgeteilt auf die City-Ringe, die Altstadt sowie das Gebiet um Dom und Hauptbahnhof.
Aus Dokumenten des LZPD, die dem Kölner Stadt-Anzeiger vorliegen, geht hervor, dass die Behörde die Aufregung nicht nachvollziehen kann. Das in Duisburg ansässige Amt wirft im Gegenzug der Kölner Polizei Planungsfehler vor. »Wie immer« seien in Köln zu wenig Gefangenentransporter verfügbar und nicht genügend Beamte der Führungsgruppe im Dienst gewesen.
Zudem gab es in der Nacht tatsächlich seltsam anmutende Einsätze der Polizei. So befanden sich kurz vor Mitternacht sieben Streifenwagen auf der Zoobrücke. Für vier davon gab es keinen Einsatzbefehl in diesem Bereich. Warum die Streifenwagen an dieser Stelle waren, konnte ein Polizeibeamter im Untersuchungsausschuss nicht erklären. Der Verdacht liegt nahe, dass die Polizisten das Silvesterfeuerwerk ansehen wollten.
Aber auch auf höherer Ebene gibt es Unstimmigkeiten. Die CDU wirft der Landesregierung vor, dem Untersuchungsausschuss zahlreiche Dokumente vorzuenthalten. Darunter sollen sich E-Mails von Innenminister Jäger und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) sowie Aktenvermerke und Besprechungsprotokolle befinden. Die Staatskanzlei hält dieses Vorgehen für vertretbar, um »die Funktionsfähigkeit der Regierung« aufrechtzuerhalten. Im Januar hatte Kraft in einer Sondersitzung des Landtags noch eine »lückenlose Aufklärung« versprochen. Das Versprechen erweist sich mittlerweile als zu vollmundig.
Die juristische Aufarbeitung der Ereignisse steht noch am Anfang. Immerhin gibt es allmählich verlässliche Zahlen. Der »Ermittlungsgruppe Neujahr« zufolge kam es zu 1 527 Straftaten. Gezählt wurden 1 218 Opfer von Straftaten, in 529 Fällen handelt es sich um Sexualdelikte. Fast 200 Opfer von Sexualdelikten zeigten zugleich Diebstähle an. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich fast ausschließlich um Personen, die keinen deutschen Pass besitzen. Die Polizei ermittelt gegen 153 Menschen, nur vier von ihnen sind Deutsche. 14 Verdächtige sitzen derzeit in Untersuchungshaft. Die überwiegende Mehrheit der Tatverdächtigen soll aus Marokko und Algerien stammen und sich entweder im Asylverfahren befinden oder einen ungeklärten Aufenthaltsstatus haben.
Prozesse gab es in Köln bislang nur wegen minderschwerer Taten. Vier Personen wurden wegen Diebstählen zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt. Weitere Gerichtstermine wegen ähnlicher Vergehen sind noch im April angesetzt. Anklagen wegen Sexualdelikten stehen in Köln noch aus.
Die Nachbarstadt Düsseldorf war in dieser Sache schneller. Der 33jährige Marokkaner Taoufik M. steht dort seit dem 11. April vor Gericht. In der Silvesternacht soll er mit einer Gruppe von bis zu 20 Männern eine junge Frau in der Düsseldorfer Altstadt bedrängt und begrapscht haben. Das Opfer identifizierte den Mann, nachdem dieser vom Düsseldorfer Express und von Spiegel-TV als »König der Diebe« interviewt worden war.
Im Gericht erkannte die junge Frau aus Mönchengladbach den Marokkaner allerdings »nicht hundertprozentig« wieder. Dafür schilderte sie, was sie in der Nacht erlebt hatte: Zahlreiche Männer hätten sie an Brust, Po und im Schritt angefasst. »Gut drei Minuten lang ging das so. Es war wie ein Weiterreichen von Mann zu Mann. Das Schlimmste war, nicht zu wissen, was noch passieren würde«, so die Frau. Entlastung für Taoufik M. kam von seiner 16jährigen, im fünften Monat schwangeren Freundin. Sie sagte aus, sie habe die Nacht zusammen mit ihrem Freund in einer Disco verbracht. Sie sei lediglich nicht unmittelbar an seiner Seite gewesen, wenn Taoufik M. zum Rauchen gegangen sei. Dann hätten ihn jedoch immer Freundinnen von ihr begleitet. Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage wird allerdings von Prozessbeobachtern angezweifelt. Die Verhandlung wird fortgesetzt.
Auch wenn die Silvesternacht und die Angriffe in Köln und anderen Städten bisher juristisch kaum aufgearbeitet wurden, gibt es auf Bundesebene schon direkte und indirekte Konsequenzen der Ereignisse. Nachdem die mutmaßlichen Täter rasch als Asylsuchende aus Marokko und Algerien identifiziert worden waren, beschloss die Bundesregierung, diese Länder zu »sicheren Herkunftsländern« zu erklären. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) räumte zwar »Defizite im Hinblick auf die Menschenrechte« ein. Trotzdem hielt er diese Einstufung für sinnvoll. Die Anerkennungsquote von Menschen aus diesen Ländern sei nur gering, ihnen gehe es lediglich um ein besseres Leben in Deutschland, das sich einige auch durch kriminelle Taten ermöglichen wollten.
Die Grünen, die Linkspartei und Flüchtlingsinitiativen kritisieren, die Regierung ignoriere aus innenpolitischen Motiven die Menschenrechtssituation in den neuen »sicheren Herkunftsstaaten«. Das Asylpaket II, das am 17. März in Kraft getreten ist, erleichtert die Abschiebung von straffällig gewordenen Ausländern. Auch das ist eine Folge der Kölner Silvesternacht.
Seit 2012 betreibt die Kölner Polizei das »Analyseprojekt nordafrikanische Intensivtäter«, kurz »AP Nafri«. Überwiegend junge Männer aus Marokko und Algerien werden in der Datenbank wegen Delikten wie Drogenhandel, Raub und Körperverletzung registriert. Diese treten meist äußerst aggressiv auf und schrecken auch vor dem Gebrauch von Waffen nicht zurück. Im Jahr 2015 ermittelte die Kölner Polizei 1947 nordafrikanische Tatverdächtige.