Rufus Wainwright im Gespräch über sein neues Album »Take All My Loves. 9 Shakespeare Sonnets«

»Wir sind füreinander gemacht«

Der Singer-Songwriter Rufus Wainwright hat ein Album mit Gedichten William Shakespeares aufgenommen. Aufgelockert werden die klagend vorgetragenen Balladen durch Rezitationen von unter anderem William Shatner, Helena Bonham Carter und Inge Keller.

William Shakespeare starb am 23. April 1616. Was fasziniert Sie künstlerisch an ihm?
Ich bin wohl sicher nicht der erste, der fasziniert ist von diesem Dichter! Für mich persönlich macht die Modernität seiner Stücke und Gedichte diese Faszination aus. Es haut mich immer wieder um, wie zukunftsweisend sie sind. Anstatt zu altern werden seine Texte scheinbar immer moderner.
Was haben Shakespeares Sonette mit Ihrem Leben zu tun?
Lange Zeit kannte ich mich mit den Sonetten nicht besonders aus, aber meine Mutter mochte sie immer sehr. Während ich meine erste Oper »Prima Donna« schrieb, erkrankte sie an Krebs, aber ich lebte damals weit weg in Berlin. Es war eine schwierige Zeit. Doch dann wurde ich gefragt, ob ich für eine Theaterproduktion einige Sonette von Shakespeare vertonen wolle. Also fing ich damit an. Ich würde nicht behaupten, diese Gedichte hätten zwangsläufig mein Leben gerettet. Auf eine gewisse Weise aber spiegeln sie wider, was in meiner dunkelsten Phase passierte. Das ganze Blut, der Schweiß und die Tränen der vergangenen sieben ­Jahre sind in diese Platte mit eingeflossen.
Die Sonette gelten als eines der ersten literarischen Werke mit schwulen Inhalten. War das ausschlaggebend für Sie?
Ich glaube, andere waren noch früher dran. Was ist zum Beispiel mit den Griechen? Heutzutage beobachtet man ja immer weniger Homo- oder Hetero-, sondern immer mehr Transsexualität. Verblüffend, wie die Grenzen zwischen den Geschlechtern, zwischen Liebhaber und Freund, Herr und Diener immer mehr verschwinden.
Wie stellen Sie sich den Menschen William Shakespeare vor? War er homosexuell?
Ich weiß es nicht. Auf der einen Seite glaube ich es nicht, aber ich kenne viele Heteros, die sehr ungezwungen mit ihren homosexuellen Phantasien und Gedanken umgehen. Shakespeare erinnert mich an Johann Sebastian Bach hinsichtlich der Kraft seiner Kunst. Eigentlich ist es einem einzelnen Menschen unmöglich, so etwas Gigantisches und Tiefschürfendes zu erschaffen.
Vielleicht war Shakespeare aber auch nur ein ganz normaler Typ, der von einer Muse besessen war. Diese Vorstellung interessiert mich. Es existieren ja die unterschiedlichsten Auffassungen, was Shakespeare ­angeht. Manche meinen sogar, er hätte nie gelebt und Christopher Marlowe hätte all diese großartigen Werke erschaffen. Andere glauben, sie stammten von mehreren Personen.
Hat Shakespeare mit seinen Sonetten Tabus gebrochen?
Ich würde nicht behaupten, dass ich seine Werke oder die Zeit, in der er lebte, wissenschaftlich analysiert hätte. Ich habe aber schon den Eindruck, dass er viele Tabus gebrochen hat. Was man weiß, ist, dass er auch ein Meister des Überlebens war. Shakespeare hat vielen Mächtigen ans Bein gepinkelt, aber er wusste sich zu schützen, so dass er seine Karriere als Dichter ungehindert fortsetzen konnte. Im Elisabethanischen Zeitalter war man als kritischer Geist schnell wieder von der Bildfläche verschwunden, aber Shakespeare war sehr gerissen. Seine Stücke lesen sich sowohl als gesellschaftliche Kommentare als auch als Porträt der Welt, wie er sie sah.
Haben Sie den Eindruck, dass die Sonette gemacht wurden, um gesungen zu werden?
Ich gehe nicht davon aus, aber wer weiß das schon? Der Chor in den griechischen Tragödien war ja auch dazu gedacht, gesungen zu werden. Jedenfalls ist es mir sehr leicht gefallen, die Sonette mit ihren Reimschemata zu singen. Ich fühle mich definitiv von ihnen angezogen – oder sie sich von mir. Wir sind wohl füreinander gemacht! Die Arbeit im Studio mit diesem Material jedenfalls war eine einzige Freude.
Wie haben Sie die Musik geschrieben?
Allein. Zuerst habe ich die Sonette laut gelesen und anschließend Melodien dazu gesummt. Seltsamerweise war das ein eher unromantischer Vorgang, der sich größtenteils während langer Flugreisen abspielte. Die Sonette kamen mir vor wie deutsche Volkslieder, die man wahlweise mit oder ohne instrumentale Begleitung singen kann. Aber mit der Zeit begannen sie zu leuchten, als ich sie zu nächtlicher Stunde bei mir zu Hause am Piano sang – was natürlich viel romantischer ist.
Auf Ihrem Album wird auch deutsch gesungen. Was interessiert Sie am Klang des Deutschen?
Das ist eine Hommage an das Originalkonzept dieses Projekts, das am Berliner Ensemble unter der Regie von Robert Wilson seinen Anfang nahm. Ich fühlte mich einfach dazu verpflichtet, es nach Deutschland zurückzubringen. Ich liebe die Sonette auf Deutsch, weiß aber nicht, ob sie genauso funktionieren wie im Englischen, weil ich nicht über das entsprechende Sprachgefühl ver­füge. Deshalb kann ich nur schwer sagen, ob es den Deutschen gefällt. Die lassen sich ja sowieso nur schwer in die Karten gucken.
Wie war die Zusammenarbeit mit der 93jährigen deutschen Schauspielerin Inge Keller?
Erstaunlich! Sie könnte aus dem Telefonbuch vorlesen und es würde ­einen immer noch begeistern. Ich bin überglücklich, dass sie auf meiner Platte vertreten ist und ich mit ihr sogar noch auf einer Bühne ­stehen durfte. So etwas erlebt man nicht oft.
Wie werden Sie das Album live präsentieren?
Eine spezielle Tour wird es wohl nicht geben, aber ich werde eine Show in London und eine in Berlin spielen. Der Aufwand ist enorm. Aber mal schauen, wie das Ganze sich entwickelt.
Die Sonette wirken zunächst schwer verständlich. Wie haben Sie sich den Texten genähert?
Sie sind tatsächlich nicht leicht zu verstehen, aber gerade deshalb bieten sie so viel Spielraum für Interpretationen. Es ist ja alles erlaubt. Das Mysteriöse ist, dass jedes einzelne eine Vielzahl an Bedeutungen besitzt. Je tiefer man in die Texte eintaucht, desto vieldeutiger erscheinen sie einem. Selbst die äußerste Schicht einer Interpretation ist es noch wert, sich mit ihr zu beschäf­tigen.
Nicht nur in Deutschland, auch in den USA kochen die Emotionen der Menschen derzeit hoch. Was werden Sie tun, falls Donald Trump tatsächlich der nächste Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte?
Ach, ich glaube nicht, dass er das schaffen wird. Er sollte auch niemals Präsident werden, weil er gar nicht die entsprechenden Fähigkeiten besitzt. Sollte es dennoch soweit kommen, würde das ein starkes internationales Problem bedeuten. Das ist auch der republikanischen Partei bewusst.
Warum sind die Amerikaner in solch einer ängstlichen und wütenden Stimmung?
In den USA wurden einst schwarze Menschen versklavt. Nach dem Ende der Sklaverei kam die Rassentrennung, die teilweise fast noch schlimmer war. Mein Vater kann sich noch an diese Zeit erinnern. Und nun haben wir unseren ersten schwarzen Präsidenten. Ich glaube, darin liegt der Schlüssel zum Verständnis der derzeitigen Situation in den USA. Das Ganze hat etwas mit Rassismus zu tun.
Wen halten Sie für fortschrittlicher: Hillary Clinton oder Bernie Sanders?
Ich mag Bernie Sanders, seine Botschaften kommen bei mir an. Aber ich werde wohl trotzdem Hillary Clinton unterstützen, weil ich von ihren politischen Fähigkeiten überzeugt bin. Manche sehen das anders und attestieren ihr eine dunkle Seite. Sie stellen sie in eine Ecke mit den Konzernen und der Wall Street. Meiner Meinung nach muss jeder, der dieses Land regieren will, aber auch ein bisschen böse sein!
Was erwarten Sie vom nächsten Präsidenten?
Ich habe eine ganze Liste an Erwartungen. Ganz besonders wichtig ist mir als Vater einer kleinen Tochter die Aufrechterhaltung der Frauenrechte. Jede Schwangere soll selbst entscheiden können, ob sie ihr Kind bekommen möchte oder nicht. Als verantwortungsbewusster Vater fordere ich ein besseres Gesundheits- und Bildungssystem. Es ist nicht in Ordnung, dass junge Menschen sich hierzulande hoch verschulden müssen, wenn sie ein Studium ab­solvieren wollen.

Rufus Wainwright: Take All My Loves. 9 Shakespeare Sonnets (Deutsche Grammophon/Universal)