Thilo Sarrazin stellt sein neues Buch vor

Immer noch nicht abgeschafft

Dieser Mann musste offenbar einiges erdulden. Über die Thesen des Betroffenen sei »nicht immer fair, nicht immer rational« diskutiert worden, bemängelt der Sprecher des Verlags DVA von der Bühne herab. Der einführende Redner Andreas Rödder, Professor für Neueste Geschichte in Mainz, bezeichnet den Mann als »verletzten Autor« und erinnert an dessen »Stigmatisierung«. Als die Person, um die es geht, dann selbst am Rednerpult steht, lässt sie die Zuhörer wissen, dass es ums Ganze gegangen sei. »Meine bürgerliche Existenz stand auf dem Spiel«, sagt Thilo Sarrazin. Das Opfer Sarrazin – musste es von der Hand in den Mund oder, schlimmer noch, vom »Hartz-IV-Menü« leben, das der Sozialdemokrat selbst einmal Arbeitslosen empfohlen hatte? Und das, während sein heftig kritisiertes, aber auch häufig gekauftes Buch »Deutschland schafft sich ab«, dieser kunterbunte Statistiksalat für Sozialdarwinisten, Eugeniker und Rassenkundler, die Bestsellerliste anführte? Der Autor geht nicht allzu sehr ins Detail. Schließlich ist er hier, um sein neues Buch vorzustellen. »Wunschdenken. Europa, Währung, Bildung, Einwanderung – warum Politik so häufig scheitert« heißt es. Kapitelüberschriften wie »Zur Entwicklung des Menschen«, »Zur Entwicklung der Zivilisation« und »Grenzen der Erkenntnis – offene Zukunft« deuten darauf hin, dass sich der Autor auf 500 Seiten an der großen Welterklärung versucht. Sarrazins Gedankenwelt scheint allerdings klein zu sein. Mit manischer Geschwindigkeit findet er im Vortrag zu seinen Lieblingsthemen: Einwanderer, Gene, »Gleichheitsideologen« und »Genderismus«. Man könne nicht »Probleme der Demographie durch kulturfremde und bildungsferne Einwanderer lösen«, poltert er. Solche Behauptungen untermauert er durch Ausflüge in seine eigene biologistische Auslegung der Genetik, in der Wortschöpfungen wie »genetische Fitness« eine Rolle spielen und ganzen Bevölkerungsgruppen Klugheit und Wissen per Vererbung zufallen. Deshalb sei auch das Ideal der Gleichheit in Bildungsfragen unsinnig. »Die Gleichheitsideologen möchten offenbar nicht, dass sich die Kinder der Gebildeten und Bessergestellten in ihren eigenen Kreisen bewegen«, findet Sarrazin, um zum Schluss in düsteren Farben ein Szenario dessen zu entwerfen, was »auf Deutschland zukommt« wegen all der Kulturfremden, Ungebildeten und sozial Schwachen. Einen »leidenschaftlichen Bürger« hat Vorredner Rödder Sarrazin genannt. In der Tat ist der Sozialdemokrat ein Exemplar des Bürgers, der allen Überschuss an Freiheit und Luxus eingebüßt hat und die Fratze des dauerbeleidigten, dem Wahn verfallenen Neidbeißers zeigt. Und wie bei allen seines Schlags sind auch beim Opfer Sarrazin stets die anderen schuld an der Misere.