Mazedonien steht vor Neuwahlen

Umstrittene Amnestie

In Mazedonien fordern Demonstrierende seit Wochen den Rücktritt des Präsidenten, am 5. Juni sollen Neuwahlen stattfinden. Die EU hat die autoritär regierende konservative Regierung aus Gründen der »Stabilität« lange Zeit unterstützt, nun verliert auch sie die Geduld.

Im Springbrunnen unter der Reiterstatue Alexanders des Großen in Skopje scheint Blut zu fließen. Demonstrierende haben das Wasser rot gefärbt und wollen damit auf die Opfer des mazedonischen Regimes hinweisen. Konkret fordern sie den Rücktritt des Präsidenten Gjorge Ivanov, der alle 56 in einen umfangreichen Korruptions- und Abhörskandal verwickelten Politiker und deren Mitarbeiter amnestiert hatte. Ivanov gab als Begründung an, er habe damit die Lage vor den am 5. Juni anstehenden Neuwahlen beruhigen wollen.
Doch das Gegenteil trat ein: Mazedonien ist in Aufruhr. Der Präsidentenpalast wurde kürzlich angegriffen, seit zwei Wochen kommt es fast jeden Abend zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstrierenden. »Durch die Amnestie werden alle Mitglieder der korrupten politischen Elite einfach begnadigt. Das ist ein riesiger Skandal. Ich bin gespannt, wie sich die EU diesmal verhält«, sagt Kire Vasilev, der gegen die mazedonische Regierung demonstriert. Er hofft, dass die EU mehr Druck auf die mazedonischen Machthaber ausübt.
Nikola Gruevski war bis zum 14. Januar Ministerpräsident, er hatte die Amnestieregelung offenbar durchgesetzt. Obwohl er auf Druck der EU zurückgetreten ist, soll er noch immer die politischen Fäden in Mazedonien ziehen. Am 5. Juni will Gruevski sich wiederwählen lassen. Die größte Oppositionspartei, die Sozialdemokratische Liga Mazedoniens (SDSM), und andere Parteien wollen nicht bei den Wahlen antreten, weil die Regierungspartei, die nationalkonservative VMRO-DPMNE, sich nicht an ein von EU-Kommissar Johannes Hahn 2015 vermitteltes Demokratisierungs- und Befriedungsabkommen halte. Der Kompromiss sähe vor, dass eine unabhängige Übergangsregierung die Bedingungen für faire und freie Wahlen schafft.
Doch die Regierung kontrolliert die Medien, verwendet falsche Wahllisten und droht Staatsdienern, dass sie ihre Stellen verlieren, wenn die Opposition bei den Wahlen siegt. »Unter diesen Bedingungen können am 5. Juni keine fairen Wahlen stattfinden«, sagt der mazedonische Politologe Artan Sediku. Er fordert eine Verschiebung des Wahltermins und eine neue Verhandlungsrunde zwischen Opposition und Regierung. Doch Sediku glaubt nicht, dass dies passieren wird. Mazedonien befinde sich seit 2012 in einer Staatskrise, was vor allem an den autoritären Tendenzen der VMRO-DPMNE liege. Die Partei habe den Staat gefangengenommen und kontrolliere Medien und Wirtschaft, sagt der Politologe. Eine Mitschuld daran trage auch die EU. »Gruevski wurde von der EU lange als einziger Akteur angesehen, der Stabilität bringen könne, auch wenn diese Stabilität mit undemokratischen Methoden erreicht würde. Die EU räumte der Stabilität immer eine größere Priorität ein als der Demokratie«, so Sediku.
Dank der Amnestie des Präsidenten könnten fünf Strafverfahren eingestellt werden, die gegen Gruevski laufen. Auch gegen den Oppositionsführer Zoran Zaev laufen zwei Verfahren, die eingestellt werden sollen. Insbesondere die Amnestie beurteilt Sediku kritisch: »Damit wurde der endgültige Schritt in Richtung eines autoritären Regimes getan. Nun stehen sich auf der Straße zwei konträre Gruppen gegenüber.« Auf der einen Seite sei es eine Mischung aus diversen Organisationen, Bürgern und Oppositionsparteien, auf der anderen Seite die Regierungspartei »mit ihrer Maschinerie an korrumpierten Beamten im Staatsapparat, die zu Gegenprotesten gekarrt werden«, so Sediku.
Mariglen Demiri demonstriert gegen die Regierung. Er gehört der linken Partei Levica an, die sich grundsätzlich an Wahlen beteiligen will, aber nicht unter diesen Umständen. »Wir erwarten von der EU, dass sie sich auf die Seite des Rechts stellt und Druck auf die Regierungspartei ausübt«, sagt Demiri. An freie Wahlen glaube er nicht. »Sollte am 5. Juni wirklich gewählt werden, dürfte die EU die Wahl nicht anerkennen. Die Begnadigungen für Politiker müssen zurückgenommen werden. Von diesen Fragen hängt ab, ob Mazedonien zu einer Demokratie wird oder weiterhin von Kriminellen und Autokraten regiert wird«, so Demiri.
Manche Kritiker glauben, die EU habe wegen der »Flüchtlingskrise« beide Augen zugedrückt und nach Kompromissen mit Gruevski gesucht. Tatsächlich ermöglichte erst die mazedonische Grenzschließung die Blockade der Balkan-Route. Dafür gab es viel Lob von der EU, vor allem die Vertreter der Europäischen Volkspartei halten sich mit Kritik am System Gruevski vornehm zurück. Insbesondere die deutsche Konrad-Adenauer-Stiftung unterhält beste Kontakte zur VMRO-DPMNE. In den Stiftungsberichten kommt die mazedonische Regierung überraschend gut weg. Dabei wird auf positive Wirtschaftsdaten verwiesen, von denen die meisten Mazedonierinnen und Mazedonier wegen des korrupten Klientelsystems aber nicht profitieren. Die Konrad-Adenauer-Stiftung organisiert auch Veranstaltungen mit der VMRO-DPMNE und einige ihrer führenden Mitglieder waren Stipendiaten der Stiftung; die Kader wurden oft von der Stiftung ausgebildet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Konrad-Adenauer-Stiftung Gruevski als Ministerpräsidenten aufgebaut hat. Ein Stiftungsvertreter, der nicht namentlich genannt werden will, gesteht ein, dass die Stiftung sich der Probleme bewusst sei, rechtfertigt sich aber: »Mazedonien ist in einer schwierigen Situation und unter den Sozialdemokraten der SDSM würde das Land nicht besser regiert werden. Würde die Stiftung sich zurückziehen, dann wäre niemandem in Mazedonien geholfen.« Auf der Straße befinden sich derzeit Zehntausende Menschen, die das anders sehen.
Für Freitag vergangener Woche geplante Gespräche zwischen Vertretern von Opposition und Regierung unter Vermittlung der EU in Wien sind einen Tag vor Beginn abgesagt worden. Lange Zeit haben die EU-Vertreter auf Stabilität in Mazedonien gesetzt, doch mit dieser ist es endgültig vorbei, das scheinen sie nun verstanden zu haben. Die EU hat mit Sanktionen gegen Politiker in Mazedonien gedroht, um ein weiteres Abgleiten ins Chaos zu verhindern. Mit Strafmaßnahmen belegt werden könnten diejenigen, die die Beilegung der seit mehr als einem Jahr schwelenden Krise verhindern, sagte am Donnerstag vergangener Woche ein EU-Vertreter, der namentlich ebenfalls nicht genannt werden wollte. Es wäre das erste Mal in den vergangenen elf Jahren, dass die EU ernsthaften Druck auf den Autokraten Gruevski ausübt.