Islamistische Jugendgewalt in Deutschland

Islamistischer Jugendterror

Zwei 16jährige warfen vor knapp zwei Wochen eine Bombe in den Essener Sikh-Tempel. Eine 15jährige stach im Februar im Hannoveraner Hauptbahnhof auf einen Bundespolizisten ein. Die beiden Fälle zeigen: Islamistische Gewalt in Deutschland wird jünger und unberechenbarer.

Am 16. April fand im Tempel der Essener Sikh-Gemeinde eine Hochzeits­feier statt. Am Abend hatten sich die Feiernden in einen Saal begeben, der an der Rückseite des Gebäudes liegt. Das war ihr großes Glück. Gegen 19 Uhr warfen der Gelsenkirchener Yusuf T. und der Essener Mohammed B. einen selbstgebauten Sprengsatz in den Eingangsbereich des Tempels. Die Bombe explodierte und zerstörte eine Glastür. Durch herumfliegende Glassplitter wurden drei Menschen verletzt. Einer der Verletzten, der 60jährige Granthi, eine Art Priester der Gemeinde, wurde schwer verletzt und musste tagelang auf der Intensivstation behandelt werden.
Die Essener Polizei veröffentlichte schnell Bilder von Überwachungskameras aus der Umgebung des Tempels, auf denen die beiden Verdächtigen zu sehen waren. Am Donnerstag vergangener Woche, fünf Tage nach dem ­Anschlag, meldete die Polizei Vollzug. Yusuf T. hatte sich selbst der Polizei gestellt, Mohammed B. wurde am frühen Donnerstag festgenommen. Bei einer Pressekonferenz sprach Essens Polizeipräsident Frank Richter von »religiös eingefärbtem Terror der islamistischen Szene« und einer »hoch­brisanten Angelegenheit«.
Bei Yusuf T. konnten die Sicherheitsbehörden klare Bezüge zum Islamismus herstellen. Demnach habe der 16jährige eine Facebook-Seite betrieben, auf der er Videos des »Islamischen Staats« verbreitete. Außerdem soll er Koran-Verteilstände der sala­fistischen »Lies«-Kampagne organisiert haben. Nach Dinslaken am Rande des Ruhrgebiets, von wo mehrere Islamisten nach Syrien gingen, soll T. gute Kontakte haben. Mohammed B. ist den Behörden noch nicht so lange bekannt wie sein mutmaßlicher Mittäter. Sein Vater sagte dem WDR, dass sein Sohn seit zwei Monaten in einer Duisburger Moschee beten gehe. B. soll die Bauteile der Bombe im Internet bestellt haben.
Essen und Duisburg treten derzeit immer wieder im Zusammenhang mit gewaltbereitem Islamismus in Erscheinung. Erst vor wenigen Wochen sollte ein belgischer Salafist, der Kontakte zu den Attentätern von Paris hatte, in beiden Städten auftreten. Öffentlicher Druck sorgte dafür, dass die Auftritte abgesagt wurden.
Unklarheit herrscht noch über die Motive für den Anschlag auf den Essener Tempel. Die Sikhs sind eine reli­giöse Minderheit aus dem indischen Punjab, ihre Religion geht auf das 15. Jahrhundert zurück und enthält Elemente aus Islam und Hinduismus. Bis in die achtziger Jahre gab es von Sikhs Bestrebungen nach nationaler Unabhängigkeit im Norden Indiens, die auch mit Terroranschlägen einhergingen. Diese Strömungen spielen heute allerdings eine untergeordnete Rolle. In Deutschland leben etwa 13 000 Sikhs, in der Gemeinde wird eher die Gleichheit der Menschen betont.
Eindeutiger als der Anschlag von Essen ist die Tat der 15jährigen Safia S. Am 26. Februar begab sich die junge Frau mit einem Gemüse- und einem Steakmesser in den Hauptbahnhof von Hannover. Bei einer Personenkontrolle stach sie einem Bundespolizisten in den Hals. Dieser wurde lebensbedrohlich verletzt. Auch Safia S. bewegte sich in der salafistischen Szene. Als Siebenjährige trat sie in einem Video von Pierre Vogel auf und sang Verse aus dem Koran. Vogel lobte sie und ihre Eltern für die strenge Ausübung der Religion. Als S. im Januar versuchte, nach Syrien auszureisen, ging das ihrer Mutter aber offenbar zu weit. In Istanbul hatte die 15jährige schon Kontakt zu Unterstützern des »Islamischen Staats« (IS) aufgenommen. Ihre Mutter reiste ihr hinterher und holte S. zurück nach Hannover. Nach Erkenntnissen des Generalbundesanwalts wollte S. daraufhin eine »Märtyreroperation« in Deutschland ausführen. Nun sitzt die 15jährige in Haft. Die Bundesanwaltschaft bereitet die Erhebung ­einer Anklage vor.
Taten wie die von Essen und Hannover zeigen, dass der jihadistische Terrorismus in Deutschland jünger und individueller wird. Vergangenen Sommer hatte sich der IS-Mann Mohammed Mahmoud an die »Brüder und Schwestern« in Deutschland gewandt. »Nimm ein großes Messer und schlachte jeden Kafir (Ungläubigen, Anm. d. Red.), der dir auf der Straße entgegenkommt«, sagte Mahmoud in seiner Videobotschaft. Besonders bei Teenagern scheinen seine Wort auf offene Ohren gestoßen zu sein – der islamistische Tugendterror wird immer mehr zum ­islamistischen Jugendterror.