Die FDP inszeniert sich als »Partei der Mutigen«

Lindners One-Man-Show

Am Wochenende wurde auf dem Bundesparteitag der FDP in Berlin vor allem ihr Vorsitzender Christian Lindner gefeiert. Wie der politische Kurs der Partei in Zukunft aussehen wird, ist noch nicht endgültig klar.

Die FDP ist zurück. So simpel ist die Hauptaussage des Bundesparteitages der Freien Demokraten, der am Wochenende in Berlin stattfand. In der Tat geht es bergauf mit der Partei, die 2013 erstmals auf Bundesebene an der Fünfprozenthürde scheiterte und somit aus dem Bundestag flog. Die Wahlforschungsinstitute sehen sie derzeit zwischen sieben und acht Prozent. Nach und nach konnte die FDP in mehrere Landtage zurückkehren. Seit den für sie erfolgreichen Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist sie wieder in der Hälfte der Landesparlamente vertreten. In Rheinland-Pfalz verhandelt die FDP derzeit über eine Regierungsbeteiligung mit Sozialdemokraten und Grünen. Somit könnte sie bald ihre Rückkehr in den Bundesrat feiern, in dem sie seit November 2014 nicht mehr vertreten ist – auch dies zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik.
FDP mit SPD und Grünen – derartige Koalitionen könnten fortan häufiger vorkommen. Das enge Bündnis mit der CDU soll nach diesem Parteitag der Vergangenheit angehören. Stattdessen wollen die Freien Demokraten fortan für sich selbst kämpfen – Leihstimmen von der CDU brauche man nicht. Man habe eine »eigene politische Identität« und sei eine »Überzeugungspartei«, die sich nicht mehr zu einer »reinen Funktionspartei« machen lasse, sagte der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner. Und weiter: »Sicher, unverändert steht uns die Union am nächsten – im Vergleich zu all den anderen sozialdemokratischen Parteien. Aber in der Zusammenarbeit 2009 bis 2013 haben wir unsere spezifischen Erfahrungen auch mit der CDU von Angela Merkel gemacht. Eine schwarz-gelbe Mehrheit bedeutet nicht mehr automatisch, dass es zu einer schwarz-gelben Regierung kommt.« Ohnehin seien CDU, SPD und Grüne kaum zu unterscheiden – den Unterschied müssten die Freien Demokraten machen. Ob Schwarz-Gelb, Rot-Gelb, »Ampel« (SPD, FDP, Grüne), »Jamaika« (CDU, FDP, Grüne) oder Opposition – für die FDP sei alles denkbar, solange »ihre Handschrift« erkennbar bleibe. Die Handschrift der FDP ist dabei dieselbe wie eh und je – es geht um unternehmerische Freiheit, »Mittelstand«, Innovation – also den guten, alten Kapitalismus.
Wer sind sie eigentlich, diese Freien Demokraten? Christian Lindner, klar. Der Vorsitzende der FDP ist bekannt und beliebt, seine Reden aus dem nordrhein-westfälischen Landtag werden von Zeit zu Zeit sogar Klickhits bei Youtube. Der Landes- und Fraktionsvorsitzende im bevölkerungsreichsten Bundesland übernahm Ende 2013 den Vorsitz der Bundespartei – als sie am Boden lag. Der Parteitag in Berlin glich einer One-Man-Show. Noch vor der offiziellen Eröffnung ist es Lindner, der an die kürzlich verstorbenen Parteiikonen Guido Westerwelle und Hans-Dietrich Genscher erinnert. Später folgt eine knapp anderthalbstündige politische Rede. Lindner kann emotional, angriffslustig, polemisch, sachlich, witzig, demütig und nachdenklich wirken. Widerspruch aus den eigenen Reihen bekommt er nicht. Vielmehr sind die Delegierten zwei Tage damit beschäftigt, Lindner für alles Mögliche zu danken – für seine Rede, seine Arbeit, die Wahlergebnisse, die Neuaufstellung der Partei.
Da bleibt nicht viel Platz für andere. Wolfgang Kubicki ist da noch, doch der kernige Typ mit den flapsigen Sprüchen macht keine Anstalten, Schleswig-Holstein zu verlassen, und spielt beim Parteitag eher den Anheizer. Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist auf dem Parteitag nicht mehr als ein Symbol für Bürgerrechte. Und das war es dann auch schon. »Die Freien Demokraten« – das ist vor allem Christian Lindner. Mit dieser starken Personalisierung passt die Partei hervorragend in die Merkel-Republik. In Baden-Württemberg wurden nicht die Grünen, sondern Winfried Kretschmann gewählt, in Rheinland-Pfalz nicht die SPD, sondern Malu Dreyer. Wenn die CDU stark ist, ist sie es, weil Merkel stark ist. Und wenn die FDP die Rückkehr in den Bundestag schafft, dann wegen Christian Lindner. Die Partei ist auf ihn zugeschnitten. Was er sagt, ist die Linie. Das erinnert an die Ära Guido Westerwelles, der die Partei zehn Jahre lang führte.
Nennenswerten Streit über politische Fragen gab es auf dem Parteitag nicht. Das kann sich die Partei auch gar nicht leisten. Bis die FDP wieder stabil ist, hat man sich kollektives Füße-Stillhalten verordnet. Erstmal will man zurück in den Bundestag. Die gesamte Partei hat sich hinter diesem einen Ziel versammelt – Markt- und Linksliberale, die Jungen Liberalen und die eher konservativen Landesverbände. So ergibt auch die Tatsache Sinn, dass sich die FDP mit dem Motto »Betarepublik Deutschland« beim Parteitag vor allem mit dem Thema Digitalisierung befasste. Das ist zweifelsohne eine wichtige Zukunftsfrage, aber eben keine, bei der sich die gerade erst zusammengerauften Liberalen in die Haare kriegen könnten.
Lindner nutzte das Thema vor allem für einen Rundumschlag gegen die Regierungsparteien. Er verwies darauf, dass in Israel ein einziges Ministerium für Fragen der Digitalisierung zuständig sei, und feixte über die unübersichtlichen Zuständigkeiten in der Bundesregierung: »Bei uns sind mehrere Minister unterschiedlicher Parteien für das Thema Digitalisierung zuständig: Sigmar Gabriel – der kämpft aber vor allem mit seiner Partei; Thomas de Maizière – der kämpft mit dem Verfassungsgericht; Johanna Wanka – das ist die Bildungsministerin, die kämpft mit ihrem Bekanntheitsgrad. Alexander Dobrindt – der kämpft mit der PKW-Maut. Heiko Maas – ist auch abgelenkt.« Mit solchen Spitzen erntete er viel Applaus unter den Delegierten. So konnte sich die Partei als geschlossen präsentieren.
Dabei gäbe es einiges zu streiten. Nach der Bundestagswahl 2013 plädierten einige dafür, die FDP müsse sich, etwa wenn es um den Euro geht, dem Rechtspopulismus hingeben, um so neue Wählerschichten zu erschließen und die Rückkehr auf die große Bühne der Politik zu schaffen. Auf dem Parteitag verkündeten einige Redner immer wieder stolz, dass man dies nicht getan habe. So war einer der ersten Sätze, die Lindner den Delegierten zurief: »Vor allem haben wir jeden Zweifel ausgeräumt, dass die FDP auch in ihrer bittersten Stunde niemals ihre Liberalität opfern und den Rechtspopulisten nacheilen wird. Und wir haben es nicht getan – nicht in der Euro-Krise, nicht in der Flüchtlingsfrage.«
Doch das stimmt nicht ganz. Einige konservative FDP-Landesverbände dringen seit Monaten immer wieder auf einen härteren Kurs, wenn es um Flüchtlinge geht. Gerade weil man der AfD das Wasser abgraben will. Vor den Erfolgen bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt positionierte sich die FDP klar rechts von der CDU. Von einem »chaotischen Massenzustrom« sprach Lindner, bei »Kriegsflüchtlingen sollte der Schutz nur vorübergehend sein«. Immer wieder forderten FDP-Wahlkämpfer, dass schneller abgeschoben werden müsse. Die FDP Baden-Württemberg warb sogar für die Einrichtung von Transitzonen für Flüchtlinge.
Das passt nicht so recht dazu, dass beim Parteitag neben den Worten Freiheit und Liberalität der Begriff der Weltoffenheit wohl am häufigsten bemüht wurde. Doch das Thema Flüchtlingspolitik wurde von allen Funktionären gemieden. Verbal grenzte man sich scharf von der AfD ab. Statt auf »German Angst« setze man auf »German Mut«. Doch spätestens, wenn es der FDP nicht mehr nur darum geht, in die große Politik zurückzukehren, muss sie klären, wie sie sich zu Asyl- und Einwanderungspolitik verhalten will. Es bleibt fraglich, ob sich jene durchsetzen werden, die für Offenheit werben – sei es, weil sie sich als Linksliberale verstehen, sei es, weil sie dem Wunsch der Arbeitgeberverbände nach Fachkräften folgen –, oder jene, die mit Blick auf konservativ-bürgerliche Wähler auf Abschottung setzen.