Berlin Beatet Bestes. Folge 337.

Plötzlich erwachsen

Berlin Beatet Bestes. Folge 337. Jugendweihe 2016.

Der Berliner Friedrichstadtpalast war einmal die wichtigste Konzerthalle der DDR. Berühmte Künstler wie Sippie Wallace, Jack Teagarden und Billy Sanders traten hier in den 60 Jahren seines Bestehens auf. Heute stehe ich mit Hunderten andrer Leute auf den Treppen des Eingangs im Regen, um zum ersten Mal diesen geschichtsträchtigen Ort zu besuchen. Wir sind zur Jugendfeier eingeladen, früher hieß die unchristliche DDR-Konfirmation »Jugendweihe«. Im Foyer tummeln sich aufgeregte Teenager und mehr oder minder festlich angezogene Angehörige. Eine letzte Gelegenheit, die Krawatten zu richten und die Röcke zu glätten, und schon geht es in den großen Saal. Eine technisch versierte Breakdance-Truppe zeigt gleich, dass es sich im Folgenden um eine Veranstaltung für Jugendliche handeln wird. Anschließend richtet die Ausrichterin sich mit einige aufmunternden Sätzen an die Eltern: »Glückwunsch, dass Sie es bis hierher geschafft haben.« Dann tritt ein Moderatorenpaar auf die Bühne, das uns durch den Vormittag führen wird. In einer Spielszene, zusammen mit einem jugendlichen Schauspieler, stellen die beiden auch einen modernen Familienkonflikt nach: Eltern getrennt, Vater schwul, Kind hin- und hergerissen.
Endlich beginnt der Hauptteil der Feier. In Gruppen betreten die Jugendlichen von links oder rechts die Bühne, werden namentlich aufgerufen, treten vor, schütteln die Hand der Moderatorin oder des Moderators, bekommen eine Rose überreicht und kehren zu ihrer Gruppe zurück. Hunderte von zwölfjährigen Mädchen und Jungen werden an diesen Vormittag durchgewinkt. Es ist sehr anrührend, die Kinder in dem Moment zu ­sehen, wo sie ihr Erwachsenenwerden öffentlich bekunden. Und sehr lustig. Bei den Jungs überwiegt der Oliver-Geißen-Fernsehmoderatoren-Style: Anzug mit und ohne Krawatte sowie Turnschuhe. Nur die Jungs, die noch von den Eltern eingekleidet werden, tragen dazu auch Lederschuhe. Dann gibt es noch die modisch gesehen entwicklungsverzögerten Kinder, die tragen lange Hemden und Jeans. Bei den Mädchen dominiert der schicke Abendkleid-Look, inklusive Schuhen mit sehr hohen Absätzen. Ein paar CosPlay-Nerds sind auch dabei. Alle haben lange Haare, nur ein einziges Mädchen hat kein Kleid, sondern trägt einen Anzug. Mit zwölf sind sie vielleicht noch zu jung, um mit Konventionen zu brechen.
Ich erinnere mich an meine eigene Konfirmation 1980 und meinen Konfirmationsanzug, eigentlich nur ein Sakko mit schmalem Strickschlips. Von dem gesammelten Geldgeschenken der Verwandtschaft kaufte ich jedenfalls meine erste Stereoanlage. Sie legte den Grundstein für meine bis heute anhaltende Plattensammelleidenschaft. Auch heute Nachmittag wird es Geldgeschenke für die Jugendlichen geben. Wofür werden sie ihr Geld wohl ausgeben? Ich wünsche ihnen, dass sie etwas finden, das sie ein Leben lang begleiten kann.