Die Verfolgung von Freidenkern durch Islamisten in Bangladesh

Freidenker vs. Mörder

Seit 2005 organisieren sich die kritischen Freidenker in Bangladesh. Doch sie werden von jihadistischen Killergruppen verfolgt, die unter dem Einfluss eines al-Qaida-Ideologen stehen.

Er griff in seinen Rucksack und sagte mit einem Lächeln: »Ich habe etwas für dich.« Ich streckte meine Hand aus und nahm das Geschenk – eine bengalische Übersetzung von »Die großen Fragen. Evolution« von Francisco J. Ayala, einem spanisch-amerikanischen Evolutionsbiologen und Philosophen. Ich schaute auf die Illustration auf dem Umschlag: ein trauriger Affe, der sich zu einem Menschen entwickelt.
Einer der Übersetzer des Buchs, Ananta Bijoy Das, wurde im Mai 2015 von Macheten schwingenden Mördern zu Tode gehackt, vor seinem Haus in Sylhet im Nordwesten Bangladeshs. Der andere Übersetzer, Siddharta Dhar, stand vor mir, irgendwo in Stockholm. Einige Monate nach dem Mord an seinem Freund und Mentor hatte Siddharta Bangladesh verlassen, er lebt nun in Schweden im Exil. Ein Buch über die Evolution zu übersetzen, ist manchmal ein gefährliches Geschäft.
Ananta Bijoy Das (1982–2015) war ein Vorreiter des Freidenkertums, der im Jahr 2005 zunächst eine kleine Gruppe von Freidenkern in Sylhet, meiner Herkunftsstadt, organisierte. Die meisten von ihnen waren Studenten der Shahjalal University of Science and Technology, die nach einem Sufi-Heiligen benannt ist, der im 14. Jahrhundert den Islam in der Region verbreitete.
Ananta und seine Mitstreiter hatten ein anderes Ziel: in einer der in religiösen Angelegenheiten konservativsten Ecke des Landes wissenschaftliche Kenntnisse zu verbreiten und Rationalismus zu propagieren. Sie organisierten Studienkreise, übersetzten einflussreiche und kritische Texte über Wissenschaft, Pseudowissenschaft, Religion, Sexualität, Politik und Weltgeschichte; sie schrieben Essays, die das System der gesellschaftlichen, politischen oder religiösen Unterdrückung herausforderten, und veröffentlichten eine Zeitschrift namens Jukti (Rationalität, Logik). Sie beteiligten sich auch an Muktomona (Freidenker), einem größeren Netzwerk von Freidenkern in Bangladesh, das der bangladeschisch-amerikanische Autor Avijit Roy gegründet hatte.
Natürlich verärgerten diese Aktivitäten eine Menge Leute. Praktizierende Homöopathen drohten, die Herausgeber und Autoren von Jukti wegen Artikeln zu verklagen, die die Pseudowissenschaft hinter ihrem Geschäft entlarvten. Viele Leute waren wegen Essays beleidigt, die den Hinduismus kritisierten. Viele andere fühlten sich unwohl bei den tabubrechenden Diskussionen über Sexualität. Als Ananta ein Buch über Pseudowisssenschaft in der Sowjetunion schrieb, brachte das die autoritäre Linke auf die Palme.
Die lautstärksten Gegner indes waren die islamistischen Studenten an der Universität für Wissenschaft und Technologie. Sie hatten ihre eigene Mission: den neoorthodoxen Islam zu propagieren. Viele von ihnen waren Mitglieder von Hizb ut-Tahrir, der panislamischen politischen Partei. Während die Freidenker Werke von Autoren wie Francisco J. Ayala übersetzten, verbreiteten die Islamisten eifrig die absoluten Wahrheiten von salafistischen Predigern wie Zakir Naik und Bilal Philips.
Der Kampf der Ideen zwischen den Freidenkern und den Islamisten erfasste ganz Bangladesh – ein Kampf, der meist im Internet ausgetragen wurde, in Blogs und Diskussionsforen. In diesem Kampf hielten Leute wie Ananta Bijoy Das und Avijit Roy die Stellung des Freidenkertums. Unter ihrer Führung forderten die Freidenker die Kräfte der Ignoranz und des Obskurantismus heraus. Und in diesem Krieg der Worte waren sie die Gewinner.
Etwa im Jahr 2011 begann eine andere Gruppe bengalischer Übersetzer, sich in einigen diskreteren Ecken des Internet zu organisieren. Schaut man genau hin, finden sich noch heute an verschiedenen Stellen Spuren dieser frühen Tage – in verlassenen Weblogs, Facebook-Gruppen, Websites im Cache, die über das Internet-Archiv zugänglich sind. Es waren Islamisten in Bangladesh, die vom Standard-Salafismus zur nächsten Stufe übergegangen waren. Sie wollten heilige Krieger des Islam werden, indem sie als Fußsoldaten in den globalen Jihad eintraten. Als Vorbereitung auf diesen Jihad übersetzten sie Hunderte jihadistischer Texte in bengalische Predigten, Fatwas, Kommuniques und Märtyrergeschichten. Dann, Anfang 2012, gaben sie sich einen Namen: Ansarullah Bangla Team. Auf diese Weise entstand eine neue jihadistische Gruppe im Internet.
In der wirklichen Welt war der Gründer des Ansarullah Bangla Team Jashimuddin Rahmani, ein Mufti, der die khutbah-e-Junmuah, das Freitagsgebet, in einer Moschee in Dhaka, der Hauptstadt Bangladeshs, abhielt. Er war einer der einflussreichsten salafistischen Prediger im Land, dessen neoorthodoxe Interpretation des Islam Hunderte junger Männer in die Moschee lockte.
Rahmanis Schüler waren zumeist Studenten diverser Universitäten der Stadt. Viele von ihnen waren ehemalige Mitglieder von Hizb ut-Tahrir, die von der Regierung im Jahr 2009 als terroristische Organisation verboten worden war. Unter der Anleitung und Führung von Rahmani versuchten sie nun, sich mit einer anderen terroristischen Organisation zusammenzuschließen: al-Qaida. Wichtige Texte von al-Qaida zu übersetzen, war der erste Schritt.
Im Mai 2012 veröffentlichte das Ansarullah Bangla Team eine bengalische Übersetzung von »The Dust Will Never Settle Down«, einem Vortrag des jemenitisch-amerikanischen Imams und al-Qaida-Ideologen Anwar al-Awlaki, der 2011 im Jemen von einer US-amerikanischen Drohne getötet worden war. Dieser Vortrag ist und bleibt eine der einflussreichsten Predigten des Imams, in der die theologische Grundlage für brutale und gnadenlose Morde an Gotteslästerern und Apostaten skizziert wird – mit anderen Worten an jedem, der beschuldigt wird, Mohammed zu beleidigen oder von den Diktaten des Islam abzuweichen.
Al-Awlakis Einfall bestand darin, eine neue Form des Jihad zu entwerfen, in dem rein intellektuelle Unternehmungen wie eine französische Satirezeitung (Charlie Hebdo) oder ein bengalischer Blog (Muktomona) zu legitimen militärischen Zielen werden. Es ist recht beachtlich, dass er über seinen Tod irgendwo im Jemen hinaus der spirituelle Führer einer Gruppe hochmotivierter Killer in einem weit entfernten Land wie Bangladesh wurde.
Und in Bangladesh ermorden al-Awlakis Gefolgsleute nun Freidenker wie Ananta Bijoy Das und Avijit Roy, deren einziges Verbrechen darin bestand, sich an kritischen Diskussionen über Religion beteiligt und die Systeme religiöser Unterdrückung entlarvt zu haben. Seit Februar 2013 wurden im ganzen Land mindestens zehn Intellektuelle und Aktivisten ermordet. Sie alle wurden von Macheten schwingenden jungen Männern zu Tode gehackt, überwiegend Mitgliedern von Ansarullah Bangla Team/Ansar al-Islam, dem Ableger von al-Qaida auf dem indischen Subkontinent in Bangladesh. Zwei der letzten Opfer waren Xulhaz Mannan und Tanay Mojumdar, die am 25. April in Xulhaz’ Wohnung in Dhaka abgeschlachtet wurden – zwei mutige LGBT-Aktivisten, die sich in einer der homophobsten Gesellschaften der Welt für die Schwulenrechte einsetzten, zwei Opfer im Kampf für Freiheit und Menschenrechte (siehe Seite 13).
Wird dieser Kampf weitergehen, selbst wenn die Liste der Opfer immer länger wird? Ich fragte Siddharta, während wir durch die Straßen Stockholms gingen. »Es wird ihnen niemals gelingen, uns so zu ängstigen, dass wir schweigen. Als wir uns unserer Sache verpflichteten, wussten wir, dass wir Todesdrohungen zu erwarten haben. Wir akzeptierten das als Tatsache«, sagte er. Die Tatsache ist freilich, dass freies Denken nie ermordet werden kann.
Tasneem Khalil ist ein bangladeschisch-schwedischer Journalist und Autor des gerade von Pluto Press veröffentlichten Buchs »Jallad: Death Squads and State Terror in South Asia«.
bersetzung: Bernd Beier