Spanien steht vor Neuwahlen

Schwierige Freundschaften

In Spanien hat König Felipe VI. die Versuche einer Regierungsbildung nach vier Monaten für gescheitert erklärt. Am 26. Juni soll erneut gewählt werden.

Vier große Fraktionen gibt es seit den Wahlen im spanischen Kongress, keine erreicht eine absolute Mehrheit. Trotz monatelanger Verhandlungen ist keine regierungsfähigen Koalition zustandegekommen, so dass der spanische König Felipe VI. nun Neuwahlen angekündigt hat.
Das Ergebnis der Wahlen vom 20. Dezember galt als Zäsur im postfranquistischen Spanien. Zwar gab es stets mehr als zwei parlamentarische Fraktionen, aber jahrzehntelang hatten sich die rechtskonservative Volkspartei (PP) und die sozialdemokratische Sozialistische Partei (PSOE) an der Regierung abgewechselt. Seit den Wahlen vom Dezember ist dies anders: Der PP unter Ministerpräsident Mariano Rajoy, der von 2011 bis 2015 mit absoluter Mehrheit regiert hatte, kam nur noch auf 28,7 Prozent der Stimmen. Die Sozialdemokraten, die von 2004 bis 2011 regiert hatten, erzielten mit 22 Prozent der Stimmen gar ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Ende der Franco-Diktatur 1977.
Die anderen beiden großen Fraktionen stellen die rechtsliberale Partei Ciudadanos und die alternative Liste Podemos, die beide zum ersten Mal zu den spanischen Parlamentswahlen angetreten waren; sie erreichten 13,9 beziehungsweise 20,7 Prozent der Stimmen. Daneben sind Regionalparteien insbesondere aus dem Baskenland und Katalonien mit Abgeordneten vertreten sowie mit 3,7 Prozent der Stimmen die Vereinigte Linke (IU). Mandate werden in jeder Provinz separat vergeben, wodurch große und regional starke Parteien bevorzugt werden, während kleinere gesamtspanische Parteien im Nachteil sind. Diese seit 1977 geltende, für PP und PSOE günstige Art der Auszählung hat das Aufkommen anderer Parteien lange gebremst.
Seit Spanien 2008 infolge der Finanzkrise in eine tiefe Rezession rutschte, kam es zu sozialen Spannungen und Verelendung. Nach einer kurzen keynesianischen Phase schlug die PSOE-Regierung unter Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero einen Austeritätskurs ein, der im September 2011 in einer außergewöhnlichen Verfassungsänderung kulminierte: Es wurden verschiedene Grenzen für die Staatsverschuldung festgelegt. Der Wendepunkt war bereits im Mai 2010 die Verabschiedung einer Arbeitsmarktreform, die die Rechte von Lohnabhängigen beschnitt, etwa beim Kündigungsschutz. Der PSOE verlor bei der Wahl Ende 2011, die PP-Regierung unter Rajoy verschärfte die eingeschlagene Politik des Abbaus staatlicher Fürsorge, etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich, und lockerte den Kündigungsschutz weiter. Gleichzeitig kamen zahlreiche Fälle schwerer Korruption an die Öffentlichkeit, die vor allem kommunale Mandatsträger des PP und deren enge Verbindungen zur Bauwirtschaft betrafen, aber auch den PSOE und andere Parteien bis hin zur IU in Misskredit brachten.
Die Glaubwürdigkeitskrise von PP und PSOE rief nicht nur die Protestpartei Podemos von Pablo Iglesias, sondern auch die zuvor nur in Katalonien aktive Partei Ciudadanos auf den Plan. Deren Vorsitzender Albert Rivera kommt aus der Jugendorganisation des PP und verfügt über gute Verbindungen zur Wirtschaft, so dass er mit Großspenden bedacht innerhalb eines Jahres eine spanienweite Organisation aufbauen konnte. Seine Partei befürwortet eine strikte Austeritätspolitik und einen spanischen Nationalismus, der sich gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen insbesondere in Katalonien, aber auch im Baskenland richtet. Im Unterschied zum PP besteht aber keine enge Bindung an die katholische Kirche und Korruptionsbekämpfung ist ein wesentliches Wahlversprechen. So erklärte Rivera, seine Partei wäre zu einer Koalition mit dem PP bereit, wenn die Partei sich von allen unter Korruptionsverdacht stehenden Mandatsträgern trenne. Dies betrifft insbesondere Rajoy. Luis Bárcenas, langjähriger Schatzmeister des PP, sitzt seit Juni 2013 in Haft, weil mehrere Zeitungen seine Buchführung über schwarze Kassen publik gemacht hatten. Auch Rajoy gehört den Unterlagen zufolge zu den Schmiergeldempfängern.
Rajoy ist nicht zurückgetreten, Ciudadanos lehnt seine Wahl zum Ministerpräsidenten ab. Einen Kooperationsvertrag schloss die Partei dagegen im Februar mit dem PSOE und dessen Vorsitzendem Pedro Sánchez. In 200 Punkten wurde ein Regierungsprogramm vereinbart. Die Wahl von Sánchez zum Ministerpräsidenten scheiterte am 2. März gleichwohl: Die 90 Abgeordneten des PSOE und die 40 von Ciudadanos erhielten keine weitere Unterstützung und verfehlten die absolute Mehrheit von 176 Stimmen. Sánchez hatte Podemos aufgefordert, für ihn zu stimmen – nur so könne die kommisarisch amtierende Regierung des PP abgelöst werden. Pablo Iglesias verweigerte dies mit der Begründung, zur Wahl stehe »eine Fortführung der Austeritätspolitik, keine Politik des Wechsels«.
Im Februar hatte Iglesias noch eine linke Koalition von PSOE, Podemos und mehreren kleinen linken Parteien vorgeschlagen, die von einigen der Unabhängigkeitsparteien aus dem Baskenland und Katalonien gestützt würde. Als Zugeständnis hatte er Referenden über die Unabhängigkeit der beiden Regionen vereinbart. Sánchez lehnte diesen Vorschlag entrüstet ab und erklärte, er werde sich niemals von Separatisten wählen lassen, die die Einheit Spaniens gefährden. So steht die Haltung zum spanischen Einheitsstaat einer Koalition des PSOE mit Podemos im Weg.
Am 28. April, in der letzten Sitzung des Kongresses vor seiner Auflösung am 3. Mai, stellte Podemos den Antrag, die Arbeitsmarktreformen von 2010 und 2012 aufzuheben und den Kündigungsschutz wiedereinzuführen. PSOE, PP und Ciudadanos stimmten geschlossen dagegen.
Am 26. Juni wird nun erneut gewählt. Eine am 1. Mai von der Tageszeitung El País veröffentlichte Umfrage sagt etwas mehr Stimmen für PP und Ciudadanos, weniger für PSOE und Podemos sowie einen starken Zuwachs für IU voraus. Da Podemos und IU Anfang Mai ein Wahlbündnis vereinbart haben, werden ihre Stimmen zusammengezählt. Selbst wenn sie zwei Prozentpunkte verlören, lägen sie immer noch vor dem PSOE. Dies wird von Podemos und IU als eine Chance für eine linke Regierungsbildung angesehen, denn von der Auszählung und Mandatsverteilung pro Provinz würde in diesem Fall das linke Wahlbündnis profitieren.