Die Erzählungen der anderen

»Eine Frau fliegt nach Athen und lässt sich zulabern.« So beschrieb eine Rezensentin die Handlung von »Outline«. Sie hat vollkommen Recht und sagt damit doch beinahe nichts über den klugen Roman von Rachel Cusk. In »Outline« erprobt die 1967 in Kanada geborene und in Großbritannien aufgewachsene Autorin ein romanuntypisches Schreibverfahren, das dem des Protokollierens nahekommt. Cusks Devise lautet: Weg von der altmodischen Gattung »Roman«, auf zu neuen Erzählweisen!
Erzählt wird aus der Perspektive einer Schriftstellerin, die in Athen ein Schreibseminar gibt. Über ihr Leben erfährt man nur sehr wenig. Erst nach und nach bekommt man eine Ahnung davon, dass sie alles hinter sich gelassen haben muss, Ehe, Mutterschaft, ihre Iden­tität als Autorin. Sie ist porös und leer, ausgelaugt von einem Krieg, der selbst nicht geschildert wird. Zuhören ist das, was sie gerade am besten kann. Und so hört sie vor allem den Alltagsgeschichten anderer zu.
Diese Geschichten – etwa die einer Schriftstellerkollegin über Erwartungsdruck und Möglichkeiten feministischen Erzählens – bewegen sich oft auf dem hohen Reflexionsniveau komplizierter und filigraner Künstlerpersönlichkeiten. Die sind gut getroffen, aber ihre egozentrisch um sich selbst kreisenden gedanklichen Pirouetten können schon auch ermüden.
Die spannendste Figur ist der Sitznachbar im Flugzeug, der von mehreren gescheiterten Ehen und anderen Niederlagen erzählt. Seine Schilderungen sind stark subjektiv verzerrt. Die Erzählerin erweist sich im Dialog als scharfsinniges Korrektiv. Hier gelingt ein hübsches Spiel mit der Glaubwürdigkeit von Erzählperspektiven. Und eines mit dem Leser, der sich ebenfalls fragt, wie er die riesigen blinden Flecken zunächst übersehen konnte.
Rachel Cusk: Outline. Suhrkamp, Berlin 2016, 235 Seiten, 19,95 Euro