Das bedingungslose Grundeinkommen ist nicht unbedingt links

Die Freiheit des Staatsbürgers

Das bedingungslose Grundeinkommen ist eng mit dem Konzept der Staatsbürgerschaft verbunden. Von dem liberalen Vorhaben und der individuellen Freiheit profitieren also nicht alle.

Warum ist es eigentlich gerade die Schweiz mit ihrem soliden Franken und ihrer Vollbeschäftigung, in der eine so entschlossene und erfolgreiche Initiative für das bedingungslose Grundeinkommen existiert, dass im Juni tatsächlich über dessen Einführung abgestimmt wird? Geht es den Schweizern nicht ohnehin gut, könnte man naiv fragen? Etwa wie der Chefredakteur der Neuen Züricher Zeitung, dem sich der Sinn des Unterfangens nicht erschließt. Dem Esel wäre es eben allzu wohl, klagt er, und nun ginge er aufs Eis.
Initiativen für ein bedingungsloses Grundeinkommen gedeihen in den Ländern mit den höchsten Lebensstandards in Europa. Denn das Grundeinkommen ist, wie manche Linke kritisieren, eigentlich gar nicht so links. Es ist kein revolutionäres Projekt zur Umverteilung, sondern ein Projekt zur individuellen Freiheit und Unabhängigkeit im Rahmen einer liberalen Marktwirtschaft.
Tatsächlich ist die Idee, dass die Freiheit des Menschen auch eine Freiheit von Existenzsorgen sein sollte, um etwa Vertragsfreiheit zu garantieren und nicht den Verkauf der Arbeitskraft zu erzwingen, ein liberales Motiv. Es geht nicht um die Emanzipation der arbeitenden Klasse, sondern vor allem um die des Individuums, zugleich aber auch um seine Entradikalisierung.
Der Ursprung des Liberalismus liegt in der Verteidigung von individuellen Rechten und Eigentum gegen staatliche Willkür, historisch gesehen gegen den Absolutismus, für Marktwirtschaft und Freihandel. All dem, möchte man meinen, stünden Ideen zum Grundeinkommen entgegen, da es sich ja um eine Art staatliche Rente handelt: ein bedingungslos ausgezahlter Geldbetrag, auf den jede und jeder Anspruch hätte, ohne Arbeit, Handel oder Eigentum. Liberale, die das Eigentum nach John Locke auf Aneignung durch Arbeit zurückführen, müssten hier eigentlich staatliche Abhängigkeit und Klientelwirtschaft fürchten, wie in der Rentenökonomie eines arabischen Öl­staates.
Doch mit John Maynard Keynes kam in den zwanziger Jahren die Strömung eines sozialen Liberalismus auf, der zwar weiterhin die individuelle Freiheit als höchstes Gut ansah, doch vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise gegen antikapitalistische Bewegungen immunisieren wollte. Keynes befürwortete deshalb Wohlfahrtsstaat und Vollbeschäftigung, also das, was später in der Bundesrepublik soziale Marktwirtschaft hieß. Lässt sich keine Vollbeschäftigung gewährleisten, zum Beispiel, weil es nicht mehr nur um die Männer geht, kann ein Grundeinkommen diese immunisierende Funktion übernehmen.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine gewisse Bandbreite von liberalen Grundeinkommenskonzepten, wobei am einen Ende der Skala die individuelle Freiheit am stärksten betont wird, am anderen Ende der Schutz vor radikalen Umsturzplänen.
Die Position am letzteren Ende ist etwa die Milton Friedmans, der in »Kapitalismus und Freiheit« (1962) das Grundeinkommen als »negative Einkommensteuer« konzipierte. Sozialleistungen sollten ersetzt, staatliches Eingreifen minimiert, Lohnneben­kosten gesenkt, der Arbeitsmarkt dereguliert werden. Solche Typen des Grundeinkommens werden auch als »neoliberale Variante« bezeichnet. Dazu zählen das Bürgergeld der FDP, das Solidarische Bürgergeld von Dieter Althaus (CDU), und wahrscheinlich auch die finnischen und kanadischen Versuche, die für 2017 vorbereitet werden. Doch sind in allen Fällen keine Zahlungen in einer Höhe vorgesehen, die Existenzkosten sichern würde. Es handelt sich immer um Transferleistungen für Bedürftige, die etwa im Althaus-Modell bei zusätzlicher Erwerbsarbeit dann auch wieder abgesenkt werden.
Geht man auf der liberalen Skala in Richtung individueller Freiheit weiter, so kommt man an einer Reihe sozialstaatserhaltender Modelle vorbei, in denen es vor allem ­darum geht, das Grundeinkommen mit sogenannten flankierenden Maßnahmen zu versehen: zusätzlichem Mindestlohn, Bürgerversicherungen, Sozialleistungen – und Sanktionen, wie bei den Hartzreformen.
Von Bedingungslosigkeit kann hier natürlich keine Rede sein, und von Freiheit erst recht nicht. Doch am Beispiel Hartz lässt sich sehen, wovon die Unterschiede der liberalen Grundeinkommenskonzepte bestimmt werden: vom Menschenbild und der Bedeutung der Arbeit.
Klar ist, dass die Individualisierung der Einzelnen so weit fortgeschritten ist, dass gesellschaftliche Teilhabe über familiäre Strukturen nicht mehr funktioniert. Das System Hartz strebt also keynesianisch nach Vollbeschäftigung. Es soll die Lohnarbeit sein, die das Subjekt zur Anerkennung in der Gesellschaft kommen lässt. Andere Begriffe von Arbeit, wie etwa Sorgearbeit, Pflegearbeit oder Bildungsarbeit, kommen insofern nicht vor, als sie nicht entlohnt werden. Das Menschenbild ist weit von liberalen Ideen eines mündigen Bürgers entfernt. Es ist ein paternalistisches Bild vom Menschen, der zwischen Manipulation und Sanktion zu seinem Glück gezwungen, zur Leistung motiviert und zur Bildung erzogen werden muss.
Ein emanzipatorisches Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens hingegen würde in der Praxis ähnliche Leistungen verteilen, nur ohne Sank­tionen und Bürokratie. Die Grundsicherung würde dabei, wie Daniel Häni von der Schweizer »Initiative Grundeinkommen« es formuliert, hoch genug sein, um eine »Selbstermächtigung« zu leisten. Ein »Kulturimpuls« solle es sein, wie es auch im Titel des Films zur Initiative von 2008 heißt. Bedingungslosigkeit und kulturelle Teilhabe sind also die Schlüsselbegriffe dieser Konzepte, die auch als liberal-humanistisch bezeichnet werden.
Ihr Menschenbild ist ein anderes: weder »Hängemattenmentalität« wird befürchtet, noch das Verkommen des weniger gebildeten Packs in Schnaps und Faulheit. Tatsächlich würden liberale Humanisten vermutlich sagen, falls das eine oder andere Individuum sich entschiede, in Schnaps und Faulheit zu verkommen, sei das für die Gesellschaft kein Problem. Sie haben eben keinen Bildungsauftrag. Interessant für sie ist einzig das kulturelle Kapital, das frei wird, wenn Menschen Zeit und Muße haben, wie die griechischen Philosophen auf den Schultern von Sklaven. Ihnen schweben in erster Linie gut ausgebildete, frisch prekarisierte, urbane Mittdreißiger vor, deren Arbeitsleistungen vor allem darin bestehen, digitale Daten zu produzieren, zu verwalten und zu verkaufen.
Digitale Werte, so meint Wirtschaftsjournalist Paul Mason in seinem Buch »Postkapitalismus«, ließen sich nicht in eine Ökonomie des Eigentums einbauen und würden auch ohne Lohn entwickelt, was Projekte wie Wikipedia und Linux zeigten. »Der Sozialstaat war die Antwort auf die Industrialisierung, das Grundeinkommen ist die Antwort auf die Digitalisierung«, formuliert die Schweizer Initiative. Die Klientel der liberalen Humanisten braucht keine Manipulation und keinen Arbeitszwang. Arbeit und Existenz würden endgültig entkoppelt; kulturelles Kapital träte an die Stelle der Lohnarbeit zur Sicherung von gesellschaftlicher Teilhabe und Status: nicht auf den Schultern von Sklaven, sondern von Maschinen.
Woran aber wird die Existenz gekoppelt, wenn nicht an die Lohnarbeit? Die liberale Antwort müsste lauten: an die Staatsbürgerschaft.
Die wahre Utopie wäre nämlich die eines globalen Grundeinkommens. In der Realität wird ein bedingungsloses Grundeinkommen für die Bürger eines Staates zunächst zu einer Verschärfung der Zweiklassengesellschaft führen, die es ohnehin schon gibt: Bürger und Nichtbürger, schlimmstenfalls mit einem freien Strom von Menschen und Waren, der dazu führen könnte, dass unterprivilegierte Nichtbürger für noch weniger Geld als bisher die Arbeiten machen, zu denen privilegierte Bürger dann erst recht keine Lust mehr haben.
Das Individuum würde nicht länger über Eigentumsrechte definiert, sondern über Bürgerrechte. Über die eigene Lebenszeit zu verfügen, wäre in der Tat eine wunderbare Selbstermächtigung. Doch die Bedingungslosigkeit wäre ihrerseits bedingt.