Gustavo Castro Soto im Gespräch über Repression gegen soziale Bewegungen in Mittelamerika

»Sie kamen nicht, um zu verhandeln«

Gustavo Castro Soto ist ein mexikanischer Umweltschützer und Leiter der in Chiapas ansässigen Organisation Otros Mundos. Am 3. März befand er sich mit der Menschenrechtlerin Berta Cáceres in ihrem Haus in La Esperanza, Honduras, als diese von zwei Unbekannten ermordet wurde (»Jungle World« 12/2016). Cáceres stand der Menschenrechtsorganisation COPINH vor, die sich seit Jahren gegen das Staudammprojekt Agua Zarca zur Wehr setzt. Schon seit Jahren hatte die Indigene aus der Gruppe der Lenca Todesdrohungen erhalten. Castro wurde bei dem Attentat ebenfalls niedergeschossen, der Schütze hielt ihn für tot, doch er überlebte und ist einziger Zeuge. Wochenlang durfte Castro auf Anordnung der honduranischen Behörden das Land nicht verlassen. In Mexiko-Stadt sprach die »Jungle World« mit ihm über den Mord und die Repression gegen soziale Bewegungen in Mittelamerika.

Es sind nun knapp zwei Monate seit dem Mord an Berta Cáceres und dem versuchten Mord an Ihnen vergangen. Wie verarbeiten Sie das Erlebte und den Schmerz?
Mir hilft es sehr, mir dessen bewusst zu sein, dass es sich um ein generelles Problem handelt, ein globales Problem und nicht nur mein eigenes. So viele Menschenrechtler erleiden Kriminalisierung, Verfolgung, Gefängnis, Entführung und Folter. Es ist ein strukturelles Problem der Verteidigung von Land und Menschenrechten, die sich immer komplizierter und schwieriger gestaltet.
Als die Mörder ins Haus kamen, haben sie etwas gesagt?
Alles ging sehr schnell, ich habe nie ihre Stimme gehört. Ich glaube, dass zwischen dem Moment, in dem sie ins Haus eindrangen und dem, als sie es wieder verließen, nicht mehr als zwei Minuten vergangen sind. Sie kamen nicht, um zu reden oder zu verhandeln. Es ging darum, Berta zu ermorden und schnell abzuhauen. Daher hatten sie auch ihre Gesichter nicht verdeckt, zumindest die Person nicht, die ich sah. Während sie auf mich schossen, ermordeten sie Berta. Es geschah fast gleichzeitig. Ich glaube, dass es Profis waren. Sie wirkten nicht, als ob sie nicht wüssten, was zu tun wäre. Aber alles geschah so schnell, dass diese Person dachte, ich sei schon tot. Das hat mich gerettet.
Jetzt, wo Sie wieder in Mexiko sind – glauben Sie, dass Sie erneut zum Ziel eines Attentats werden könnten?
Ja, ich habe diese Befürchtung. Zum einen, da ich ein Zeuge bin. Zum anderen, da es für Migranten und andere Personen aus Honduras und Guatemala sehr einfach ist, sich Zutritt ins Land zu verschaffen. Killer sind Killer und daher zweifle ich nicht daran, dass sie ihre Arbeit beenden wollen. Wenn sie es tun wollen, dann gibt es Mittel und Wege. Und außerdem sind wir auch nicht wirklich weit weg.
Berta Cáceres war vor ihrem Tod medial sehr präsent und ihre Arbeit wurde auch international anerkannt, 2012 war sie etwa auf Rundreise in Deutschland und 2015 erhielt sie den Goldman-Umweltschutz-Preis. Man dachte stets, dass sie dadurch besser geschützt wäre. Hat sich für soziale Organisationen nun eine neue Situation ergeben?
Das meinte ich vorhin mit komplizierter und schwieriger. Im Falle von Honduras war das Thema nicht neu, es sind mehr als 100 Morde an Umweltschützern registriert, und da reden wir noch nicht einmal von allen Morden im Land. Etwa zehn Personen wurden, wie Berta, vor ihrem gewaltsamen Tod einstweilige Vorsichtsmaßnahmen von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) verordnet. Der Fakt, dass Berta diese Maßnahmen verordnet wurden, bedeutet in Honduras noch keine Garantie für Schutz. Das Problem in Honduras ist, dass es kein Gesetz zum Schutz der Opfer von Bedrohung gibt. Da es so etwas nicht gibt, gibt es dann auch keinen Mechanismus, der die Opfer beschützt. Die honduranische Regierung müsste zuerst Gesetze dafür erlassen und sie selbst müsste zunächst die Straffreiheit beenden. Genauso wenig gibt es ein Gesetz für Menschenrechtsverteidiger. Es gibt keine Regelung, die sie schützt, und auch kein Budget dafür. Gleiches gilt für Personen, die Zeugenschutz brauchen. Die einstweiligen Vorsichtsmaßnahmen konnten den Mord an Berta nicht verhindern. Nicht einmal der Umstand, dass sie einen Menschenrechtspreis gewonnen und die Goldman-Auszeichnung hat. Es gibt keine Garantien für Schutz.
Nach dem Mord haben verschiedene Investoren ihren Rückzug aus dem Staudammprojekt Agua Zarca angekündigt. Woran liegt das?
Es geht ums Geschäft. Es passiert aufgrund des Drucks der Regierungen oder der Zivilgesellschaft, wenn einem Investor gesagt wird, er gebe einem Unternehmen Geld, das Menschen ermordet. Auf den Hauptversammlungen der Aktionäre muss man ein Klima des Vertrauens schaffen, damit die Aktionäre ihr Geld nicht abziehen. Die Strategie einiger sozialer Bewegungen besteht genau darin, zu diesen Versammlungen zu gehen und zu informieren. Die Aktionäre ziehen sich zurück, das Unternehmen hat ein schlechtes Image und die Aktienwerte stürzen ab. Manchmal funktioniert es, manchmal ist es ihnen scheißegal.
Am Ende geht es um Gewinn und Verlust: Ich werde keinen Kredit von einer Bank oder gar der Weltbank bekommen, wenn ich in ein Geschäft verwickelt bin, bei dem das Unternehmen gerade Berta ermordet hat. Deswegen konzentrieren sich viele internationale Kampagnen auf die Quellen der Finanzierung, um ein Projekt zu blockieren. Das ist sehr kompliziert. In Kanada zum Beispiel hat die Hälfte der Bevölkerung ihre Rentenfonds und ihr Vermögen in Bergbauunternehmen angelegt. Manchmal sogar ohne zu wissen, dass sie damit Minenfirmen finanzieren. Kirchen, Universitäten und Gewerkschaften haben in ihren Pensions- oder Rentenportfolios Aktien dieser Unternehmen, da diese am höchsten quotiert werden. Das erklärt jetzt nicht alles, aber Tatsache ist, dass es Konsequenzen für ein Unternehmen gibt, dass es dann keine Kredite bekommt, wenn es im Ruf steht, Projekte zu unterstützen, die Menschenrechte verletzen. Am Ende müssen die Firmen ihr Gesicht wahren.
Vergangene Woche wurden vier Verdächtige in Honduras verhaftet. Glauben Sie, dass die honduranische Regierung den Fall aufklären wird?
Ich würde gerne daran glauben. Die Regierung muss der honduranischen Bevölkerung und auch der internationalen Gemeinschaft eine Antwort geben und zeigen, dass sie dazu fähig ist. Was der Regierung nicht dabei hilft, sind die vorherigen Fälle. Es gibt eine weit verbreitete Straffreiheit. Dadurch ist es schwierig, glaubhaft zu machen, dass die Regierung den nötigen politischen Willen hat, das zu schaffen. Schwierig wird es vor allem dann, wenn es sich nicht um gewöhnliche Kriminalität handelt, sondern wenn allem Anschein nach ein Unternehmen darin verstrickt ist, das Kredite von multinationalen Banken und internationalen privaten Fonds bekommt. Sehr viele Interessen stecken da mit drin.
Nicht nur in Honduras, sondern auch in Guatemala und in Südmexiko gibt es Gewalt gegen soziale Aktivisten. Zugleich ist es die Region, in der das infrastrukturelle Integrations- und Entwicklungsprojekt »Proyecto Mesoamérica« umgesetzt wird. Wie könnte das Verhältnis zwischen der Gewalt und diesem ökonomischen Großprojekt umschrieben werden?
Fast alle Länder Lateinamerikas haben Freihandelsabkommen mit den USA, Kanada, Europa und Asien unterschrieben. Diese Abkommen verpflichten die Länder der Region dazu, ihre Gesetzgebung zugunsten ausländischer Investitionen zu modifizieren. Eine Folge ist, dass die Regierungen dazu angehalten sind, den Unternehmen Sicherheit für ihre Investitionen juristisch zu garantieren. Das beinhaltet Änderungen im Energiegesetz, Wassergesetz, Bodengesetz etc. Überdies müssen sie die soziale und politische Sicherheit garantieren. Die Regierung muss für Befriedung sorgen und stabile politische Verhältnisse schaffen; und sie muss den Unternehmen die notwendige Infrastruktur bereitstellen, ansonsten gibt es keine Investitionen und keine Arbeitsplätze. Beim Errichten dieser Infrastruktur kommt es oft zu Konflikten mit der ansässigen Bevölkerung. Man braucht Energie, also wird ein Staudamm gebaut und Tausende müssen vertrieben werden; Gemeinden werden geteilt für Autobahnen und Straßen, die sogar durch Naturschutzgebiete führen. Oder man muss die Bevölkerung gewaltsam enteignen. Die Freihandelsabkommen sind nicht durchführbar, wenn keine Infrastruktur geschaffen wird.
Werden Sie nach Honduras zurückgehen?
Nein. Zumindest solange es keinen Prozess und kein klares Urteil gibt, bin ich in Gefahr. Und danach eigentlich auch. Es ist auch schon passiert, dass jemand angeklagt und verurteilt wurde und danach gab es Racheakte von den Familienangehörigen oder anderen Gruppen. Im Moment jedenfalls denke ich nicht einmal daran zurückzugehen.