Sozialleistungen für Nichtdeutsche werden gekürzt

Stütze nur für Deutsche

Das Grenzregime wird immer mehr an die Sozialbehörden ausgelagert, indem Nichtdeutschen die Leistungen gekürzt werden.

Der Umbau des Aufenthalts- und Sozialrechts für Ausländer schreitet mit hohem Tempo voran. Ziel fast aller Maßnahmen ist dabei die Perfektionierung der Selektion in »gute« und »schlechte« Einwanderer. Die soziale und physische Exklusion der einen geht mit der möglichst umfassenden Unterwerfung der anderen unter die ökonomische Verwertung einher. Entscheidendes Mittel hierzu wird immer mehr das Sozialrecht – die Verweigerung des Zugangs zum Existenzminimum ersetzt in Deutschland die Grenzkontrollen und wird zugleich zu einem zentralen Instrument der Verhaltenskontrolle.
Im Juli 2012 erließ das Bundesverfassungsgericht ein vielbeachtetes Urteil. Es erklärte die damals rund 40 Prozent unter Hartz-IV-Niveau liegenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für »evident unzureichend« und stellte fest: »Die Menschenwürde ist migrationspolitisch nicht zu relativieren.« Das Grundrecht auf Sicherung des physischen und soziokulturellen Existenzminimums stehe allen Menschen gleichermaßen zu.
Vier Jahre nach dem Urteil sind die Leistungen für Flüchtlinge gesetzlich angepasst worden und entsprechen nun normalerweise (annähernd) den Hartz-IV-Sätzen. In Zukunft wird indes kaum noch jemand die »normalen« Leistungen erhalten. Dafür sorgt ein wahres Potpourri unterschiedlicher Leistungskürzungen bei den verschiedensten Formen von »Fehlverhalten«.
Nur etwa 180 Euro monatlich (gegenüber 404 Euro Hartz IV) soll zum Beispiel erhalten, wer nicht an seiner eigenen Abschiebung mitwirkt, also Deutschland pflichtwidrig nicht verlässt. Auch wer einem anderen EU-Staat zugeteilt worden ist und sich dennoch in Deutschland aufhält, soll auf diese Weise zum Gehen bewegt werden. Das Gleiche gilt für Asylsuchende, die sich nicht auf schnellstem Weg in die ihnen zugewiesene Aufnahmeeinrichtung begeben oder sich in Deutschland am falschen Ort aufhalten.
Eine solche Leistungskürzung um 56 Prozent gegenüber Hartz IV deckt noch nicht einmal das vom Bundesverfassungsgericht definierte »physische Existenzminimum« – Leistungen für Kleidung, bestimmte Gesundheitsleistungen, Eingliederungshilfe für Geflüchtete mit Behinderungen sind gestrichen. Das »soziale Existenzminimum« zur – rudimentären – gesellschaftlichen Teilhabe (beispielsweise über Telekommunikation oder die Teilnahme am kulturellen Leben) entfällt vollständig. Dem Menschen wird sozialrechtlich seine Existenz als gesellschaftliches Wesen abgesprochen, wenn er sich nicht konform verhält.
Die Bundesregierung plant nun im Rahmen des sogenannten Integrationsgesetzes die Schaffung von 100 000 zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes – Ein-Euro-Jobs. Wer sich weigert, einen solchen anzunehmen, soll ebenfalls unter das physische Existenzminimum sanktioniert werden. Dasselbe soll künftig gelten, wenn Asylsuchende die Teilnahme an einem Sprachkurs ablehnen oder ihren Pass nicht vorlegen.
Für Menschen aus anderen EU-Staaten, die sich in Deutschland zur Arbeitsuche oder als »Nichterwerbstätige« aufhalten, sieht das geltende Gesetz gleich eine komplette Streichung jeglicher Leistungen der Existenzsicherung vor. Wer als EU-Bürger keine Arbeit findet oder seinen Job verliert, hat in vielen Fällen keinen Anspruch auf Hartz IV. Die Folgen dieser sofortigen »100-Prozent-Sanktion« sind in vielen Sozialberatungsstellen zu beobachten: Familien mit Kindern leben in elenden Verhältnissen, zum Teil auf der Straße, haben keine Krankenversicherung und sind ausbeuterischen Arbeitsbedingungen – etwa in den Subunternehmen der großen Fleischproduzenten oder als irreguläre Pflegekräfte in Privathaushalten – schutzlos ausgeliefert.
Das Bundessozialgericht hat zwar in mehreren Urteilen im Dezember entschieden, dass in derartigen Fällen zumindest Sozialhilfe (nach dem entsprechenden Sozialgesetzbuch) erbracht werden muss, weil ansonsten das Grundrecht auf Schutz der Menschenwürde offen verletzt würde. Doch abgesehen davon, dass die Betroffenen diesen Anspruch gerichtlich kaum durchsetzen können, wenden sich mehrere Landessozialgerichte offen gegen die Vorgaben der Bundesrichter.
So hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in mehreren Verfahren klargestellt, dass man sich an die höchstrichterliche Rechtsprechung nicht halten werde: »Wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften bestreiten können, steht es ihnen frei, nach Italien zurückzukehren. Das ist aber einzig und allein ihre Entscheidung«, urteilten die Landesrichter in einem Beschluss im März diesen Jahres gegen eine italienische Familie. Bereits im Februar hatte das Gericht den Antrag einer rumänischen Familie mit exakt derselben Formulierung abgelehnt, lediglich das Wort » Rumänien « war durch »Italien « ausgetauscht worden.
Kürzlich hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausgehebelt werden soll: EU-Bürger sollen künftig erst nach fünf Jahren Aufenthalt Anspruch auf Hartz IV erhalten. Zuvor sollen nach Verlust der Arbeit lediglich »Notleistungen« unterhalb des physischen Existenzminimums gezahlt werden – für maximal vier Wochen. Die Kosten für die Ausreise soll das Sozialamt zudem in Form eines Darlehens fördern können. Letztlich handelt es sich um ein sozialrechtlich normiertes Aushungern wirtschaftlich unproduktiver EU-Bürger.
Die Migrationssteuerung wird somit immer mehr von den Ausländerbehörden an die Sozialleistungsträger ausgelagert. Wer weder als »schutzbedürftig« noch als wirtschaftlich verwertbar einsortiert wird, erhält keinen Zugang zu den Sozialsystemen des Nationalstaats. Die Verweigerung sozialer Menschenrechte für unerwünschte Bevölkerungsgruppen fungiert als Simulation nationalstaatlicher Handlungsfähigkeit in Zeiten der Entgrenzung – und kann gleichzeitig als Blaupause dienen für die Weiterentwicklung des Sanktionsregimes des »normalen« Hartz-IV-Systems auch für Inländer.