Zu wenige Autorinnen und Autoren freuen sich über das BGH-Urteil zu den VG-Wort-Ausschüttungen

Der Mut zu klagen

Das BGH-Urteil zu den VG-Wort-Ausschüttungen ist aus Schriftstellerperspektive nur zu begrüßen.

In der Buchbranche herrscht große Aufregung: Das Urteil des Bundesgerichtshof über das Verteilmodell der Ausschüttungen der VG-Wort ist rechtskräftig. Befürworter und Gegner des Urteils führen seit dem 21. April diesen Jahres einen heftigen Streit. Worum geht es genau? Die Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) macht seit 1958 zentral Vergütungsansprüche aus Urheberrechten geltend und bittet zum Beispiel Copyshops und Bibliotheken zur Kasse. Das von Bibliotheken, Geräteherstellern und Sendern eingesammelte Geld wird nach einem festgelegten Verteilungsmodell an die Urheber der Texte ausgeschüttet. Bislang gab es keine gesetzlich verankerte Regelung zu den Ausschüttungsmodalitäten. De facto wurden sie so gehandhabt: 50 zu 50 wird bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen geteilt, bei belletristischen Publikationen erhalten die Autoren 70, die Verlage 30 Prozent der Ausschüttungen. Nun hat ein wissenschaftlicher Autor – Martin Vogel – gegen diese Regelung geklagt, mit dem Argument, dass die Einkünfte aus Urheberrechten den geistigen Urhebern allein zustehen sollten und nicht mehr den Buchproduzenten. Der Bundesgerichtshof hat ihm jetzt Recht gegeben. »Die gesetzlichen Vergütungsansprüche für die Nutzung verlegter Werke stehen kraft Gesetzes originär den Urhebern zu«, heißt in der Pressemitteilung zum Urteil. Man kann nur sagen: Richtig so.
Denn dass bisher ausgerechnet das schwächste Glied der Kette, die Autoren, auf Geld zugunsten der Verlage verzichten mussten, war nicht nachvollziehbar. Eine prominente Autorin – die Berliner Schriftstellerin Julia Franck – schrieb hierzu in der Zeit: »Verlage stehen unter wirtschaftlichem Druck – aber warum soll es ausgerechnet das Geld der Autoren sein, das diesen Druck lindert?« Man kann ihr nur zustimmen. Verlage können auf andere Weise subventioniert werden, nicht aber durch diejenigen, die ohnehin schon wenig im Buchgeschäft verdienen. Die Faktenlage: An seinem eigenen Buch verdient ein Autor bestenfalls zehn Prozent, die übrigen 90 Prozent der Einnahmen teilen sich Buchhandel und Verlage. Das Einkommen von Buchhändlern und von Verlagsmitarbeitern ist ungefähr doppelt so hoch wie das jährliche Durchschnittseinkommen eines Schriftstellers – laut Künstlersozialkasse beträgt es nur gut 13 000 Euro jährlich, vor Steuerabzug wohlgemerkt.
Die jüngst geäußerte Mahnung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, dass nach dem BHG-Urteil die Insolvenz kleiner oder mittelgroßer Verlage drohe, ist als Argument gegen die Gesetzesnovelle wenig überzeugend. Von den »mittelgroßen« und »kleinen« Schriftstellern, mithin all jenen, die nicht zu den 0,1 Prozent Bestseller-Autoren in Deutschland gehören, war vorher seltsamerweise nie die Rede. Dabei macht Deutschland nicht nur eine »einzigartige Verlagslandschaft« (Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels) aus, sondern auch eine einzigartige, aber mindestens so gefährdete Autorenlandschaft: Ohne Idee und Text kein Buch.
Natürlich: Verlagslektoren könnten auch einen kleinen Teil der geistigen Urheberschaft an einem Werk für sich beanspruchen. Auch wenn der Trend dahingeht, immer weniger zu lektorieren. Lektoren knien sich zum Teil monatelang in ein belletristisches Werk und geben ihm den letzten Schliff. Aber was ist mit den vielen externen Lektoren, die von Verlagen beauftragt werden? Ihre Zahl wächst jedes Jahr. Sie sind bisher nie an den Ausschüttungen beteiligt gewesen, was die Verlage in keiner Weise gestört hat. Das hätte sie ja Geld gekostet. Die Arbeit der freien Lektoren an einem Manuskript unterscheidet sich jedoch nicht von der der hauseigenen Lektoren.
Davon abgesehen: Wenn man, nach der bisherigen Logik des Verteilungsmodells alle diejenigen am Urheberrecht beteiligen möchte, die nicht die originäre geistige Urheberschaft besitzen, sondern eine Idee in ein Produkt transformieren, dann müsste man nicht nur die Verlage, sondern auch die Druckereien und Vertriebe mitberücksichtigen. Sie haben bislang aber keine Ausschüttungen erhalten. Solche Einwände machen deutlich, dass es nicht zuletzt aus Gründen juristischer Eindeutigkeit sinnvoll ist, das Urheberrecht als geistiges Urheberrecht und nicht als Urheberrecht am Endprodukt Buch zu definieren. Ein Grund mehr, um sich über das neue BGH-Urteil freuen zu können. Nicht nur als Schriftsteller.
Wenn der Leiter des Hanser-Verlags, Jo Lendle, jetzt in der Welt konstatiert, dass das System bislang zur allgemeinen Zufriedenheit funktioniert habe, möchte man zurückfragen: zu wessen Zufriedenheit? Der Lebensstandard von Schriftstellern war bisher, abgesehen von wenigen Ausnahmen, alles andere als zufriedenstellend. Mit dem alten Verteilungsmodell waren viele Autoren nicht einverstanden, sie verfügten aber über keine Lobby, die sie vertreten und die ihre Ansprüche geltend machen konnte. Nun hat ein Autor den Mut besessen zu klagen. Die Mehrzahl der Schriftsteller hat sich bislang überhaupt nicht in der Lage gesehen, an den Verteilungsmodalitäten etwas zu ändern. Anders als die Schriftsteller sind Verleger jedoch zumeist Geschäftsleute, die ihre Ansprüche schon immer sehr viel besser vertreten konnten. Deshalb ist es richtig, wenn die Interessen der Schwächeren, der Autoren, jetzt gesetzlich geschützt werden. Zumal diese nicht dazu neigen, ihre legitimen Rechte einzufordern. Ganz im Gegenteil: So gibt es wohl keinen anderen Berufsstand, der sich nach einem BGH-Urteil, das ihm mehr Geld zuspricht, gegen eben jenes Urteil wehrt. Doch vor allem Autoren kleinerer Verlage möchten auch in Zukunft lieber Taxi fahren, kellnern oder öde Werbetexte schreiben als das Geld erhalten, das ihnen zusteht. Sie können sich nicht vorstellen, dass es andere Möglichkeiten geben könnte, kleine Verlage, ob über Steuern oder über verträgliche Gewerbemieten, zu subventionieren als ausgerechnet mit ihrem eigenen knappen Geld. Es sind schließlich meist »kleine« Autoren, die bei »kleinen« Verlagen verlegt werden. Nein, sie sehen sich ursächlich für die Geschäftsbilanz ihres Verlags in Verantwortung. Kein Pilot, kein Lokführer, kein Lehrer ist bislang mit der eindringlichen Forderung nach weniger Geld und dem Wunsch danach, dass sein Arbeitsgeber doch bitte einen Teil seines Geldes behalten soll, öffentlich in Erscheinung getreten.
Einzig die Entscheidung, dass die Verlage nun die VG-Wort-Einnahmen der letzten zwei Jahre zurückzahlen müssen, kann man, auch als Schriftstellerin, kritisch sehen: Denn die Verlage haben damals ihre Programmkalkulationen unter Berücksichtigung dieser Einnahmen gemacht. Vor allem für kleine Verlage sind die Rückforderungen nicht leicht zu erfüllen. Hier wäre es fairer, die neue gesetzliche Regelung erst ab diesem Jahr geltend zu machen.