Rodrigo Duterte ist neuer ­Präsident der Philippinen

Der Präsident der Todesschwadronen

Mit markigen Sprüchen hat Rodrigo Duterte die Präsidentschaftswahlen auf den Philippinen gewonnen.

Lange Zeit ließ sich Rodrigo Duterte öffentlich bitten zu kandidieren. Schnell hatten sich viele gefunden, die eine erfolgreiche Unterstützungskampagne sowohl auf den Straßen als auch in den sozialen Medien aufzogen. Am 9. Mai wurde der 71jährige von gut 16 Millionen Wählerinnen und Wählern, das heißt mit 38,6 Prozent der Stimmen und deutlichem Vorsprung zum Zweitplazierten zum Präsidenten der Philippinen gewählt. Viele sehen in ihm den Kandidaten gegen das Establishment. In markigen Worten verspricht er, Korruption, Kriminalität und Drogenmissbrauch innerhalb weniger Monate zu beenden. »Wenn ich Präsident bin, werde ich der Polizei sagen, findet sie und tötet sie«, sagte er im Wahlkampf im Hinblick auf Kleinkriminelle und Drogendealer, von denen er über 100 000 tot in die Manila Bay werfen lassen will, um dort die Fische zu füttern.
Dass er seinen Worten Taten folgen lässt, davon sind nicht nur seine Anhängerinnen und Anhänger überzeugt. Menschenrechtsorganisationen bringen den ehemaligen Bürgermeister von Davao seit Jahren mit lokalen Todesschwadronen in Verbindung, den Davao Death Squads (DDS). Diese seien für Hunderte Ermordungen von Straßenkindern und Kleinkriminellen verantwortlich. Duterte gilt als ihr Drahtzieher; er hatte als Bürgermeister immer wieder angekündigt, in der Stadt aufzuräumen. Im Wahlkampf hat er mehrfach seine Zusammenarbeit mit den DDS eingestanden. Im Dezember 2015 sagte er gegenüber Medien, es seien mit 1 700 sogar noch mehr Opfer als bisher angegeben.
Als seine ersten Amtshandlungen sollen Alkohol im öffentlichen Raum verboten und eine Sperrstunde für Minderjährige im ganzen Land verhängt werden. Dies hatte Duterte schon als Bürgermeister von Davao durchgesetzt. Die Kinderrechtsaktivistin Pilgrim Bliss Bauzon Gayo arbeitete zu jener Zeit in Davao für das Straßenkinderprojekt Tambayan. Sie sagte der Jungle World: »Die Ankündigung weckt schreckliche Erinnerungen an die Zeit, als mein erster Gedanke nach dem Aufwachen war: Wer wurde letzte Nacht vergewaltigt?« Tambayan arbeitet mit jungen Mädchen, die wegen familiärer Probleme von zu Hause weggelaufen sind und auf der Straße leben. Viele von ihnen wurden wegen Verstößen gegen die Sperrstunde aufgegriffen, in Gefängnisse gebracht und dort von Insassen und Polizisten vergewaltigt. »Ich bezweifele«, so Gayo, »dass auch in den Touristenkneipen die Sperrstunde kontrolliert wird oder dass Kinder aus der Oberschicht nachts angehalten werden.«
Dass Duterte am 30. Juni das Amt von Präsident Benigno Aquino übernehmen wird, liegt an seiner Fähigkeit, die Massen zu mobilisieren. Im gesamten Land sind die rot-blauen Aufkleber mit dem Symbol seiner eisernen Faust und dem Slogan »Duterte, my president« zu finden. Er ist der erste Präsident aus dem südlichen Teil des Landes. In der Stadt Davao, in der seine Familie seit knapp 30 Jahren ohne größere Unterbrechungen den Bürgermeister stellt, erhielt er 96,6 Prozent der Stimmen. Da Politik in den Philippinen nicht über Parteien und Parteiprogramme, sondern über Persönlichkeiten und ad hoc-Bündnisse funktioniert, erhoffen sich viele Wählerinnen und Wähler, aber auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen auf Mindanao einen besseren Zugang zum Präsidenten und Gehör für ihre Anliegen.
Dabei unterscheiden sich auch die Einschätzungen, was von Dutertes sechsjähriger Amtszeit zu erwarten ist. Einige erhoffen wegen seiner guten Kontakte zu den islamistischen Rebellen der Moro Islamic Liberation Front (MILF) und der kommunistischen Guerilla der New Peoples Army (NPA) Fortschritte bei den Friedensverhandlungen. Gleichzeitig hat er durch seine provokante Wortwahl im Wahlkampf viel Porzellan zerschlagen. So beleidigte er den Papst als Hurensohn, der die Philippinen nicht mehr besuchen solle, da der Besuch von Papst Franziskus im Januar 2015 zu erheblichen Verkehrsbehinderungen geführt habe. Die USA und Australien, traditionell zwei wichtige politische Partner in der Sicherheits-, Innen- und Entwicklungspolitik, forderte er auf, sich aus dem philippinischen Wahlkampf herauszuhalten. Die Botschaften der beiden Länder hatten Duterte zuvor wegen eines verbalen Ausfalls kritisiert. 1989, in seiner ersten Amtszeit als Bürgermeister, wurde eine australische Missionarin Opfer einer Massenvergewaltigung in Davao und anschließend ermordet. Duterte, darauf angesprochen, kommentierte: »Ich war wütend, weil sie vergewaltigt wurde. Das ist die eine Sache. Die andere ist, sie war schön, der Bürgermeister hätte der erste sein sollen. Was für eine Verschwendung.«
Seinen Gegenkandidaten von der Liberal Party, Manuel Roxas II, beleidigte er homophob; dieser werde nicht durchgreifen können. Gleichzeitig äußerte Duterte mehrfach seine Unterstützung für die gleichgeschlechtliche Ehe und Anliegen der LGTBI-Bewegung. So erhielt er unter anderem die Unterstützung im Wahlkampf durch die »Association of Transgender Philippines (ATP)«.
Rodrigo Duterte erhielt im Wahlkampf die meiste Aufmerksamkeit, da er immer wieder populistische Thesen von sich gab und in einfachen, aber markigen Worten Themen setzte. Familien und Freunde zerstritten sich wegen ihm. Einige unterstützten seine Forderung nach radikalem Wandel, obwohl der noch amtierende Präsident Aquino hohe Zustimmungswerte hat. Duterte gelang es, die trotz eines konstant hohen Wirtschaftswachstums bestehende Unzufriedenheit im Wahlkampf zu nutzen. In den vergangenen sechs Jahren profitierte die große Mehrheit nicht vom Wirtschaftswachstum; Kriminalität und Korruption nahmen zu, die Ballungsgebiete ersticken im Verkehr. Es war eines von Aquinos zentralen Versprechen gewesen, das Massaker von Maguindanao juristisch aufzuarbeiten, doch das löste er nicht ein. Am 23. November 2009 waren 58 Journalistinnen und Journalisten sowie Angehörige eines Familienclans bei dem Versuch, eine Kandidatur zur Gouverneurswahl einzureichen, ermordet worden. Die Hauptverantwortlichen sind bis heute nicht verurteilt.
Die wirtschaftspolitischen Leitlinien des neuen Präsidenten sind noch weitgehend unklar. Viele hoffen, dass der Bergbausektor nicht ausgebaut wird, in dem permanent Menschenrechtsverletzungen stattfinden und der für Umweltzerstörung verantwortlich ist. Der Vorsitzende des zivilgesellschaftlichen Netzwerks Alyansa Tigil Mina (Allianz gegen Bergbau), Jaybee Garganera, äußert im Gespräch mit der Jungle World die Hoffnung, »dass die Duterte-Administration politische Reformen im Bergbausektor unterstützt, inklusive eines neuen Bergbaugesetzes, höherer Besteuerung und der Lösung von Landkonflikten«.
Die Menschenrechtsorganisation Karapatan hofft, dass das Justizsystem reformiert wird. Gleichzeitig herrscht in Manila bei Menschenrechtsorganisationen die Befürchtung, dass Dutertes Kampagne eine soziale Bewegung erzeugt, die womöglich Selbstjustiz übt. Bereits jetzt sind Gerüchte im Umlauf, dass sich auf Barangay-Ebene – der untersten Verwaltungsebene der Philippinen – Bürgerwehren organisieren. Ähnlich wie die DDS könnten sie mit schwarzen Listen operieren, die dann abgearbeitet werden. In Davao hat es in der Vergangenheit ausgereicht, beim Verlassen eines Polizeireviers gesehen zu werden, oder gerüchteweise mit Drogen zu handeln, um ermordet zu werden. Auf der Erfahrung mit der Marcos-Diktatur (1972–1986) gründet die Angst, dass auch Linke auf diesen Listen landen könnten.
Während Duterte mit seiner Hardliner-Politik viele progressive Linke ängstigt, sind es drei gewählte Frauen, die für die kommenden Jahre Hoffnung geben. Zur Vizepräsidentin gewählt  – das Amt wird unabhängig von dem des Präsidenten besetzt  – wurde offenbar Leni Robredo. Sie setzt sich für mehr Transparenz und stärkere Partizipation der Bevölkerung ein. Die Bürger dürften die Politik nicht als Gegner sehen, betonte sie im Wahlkampf. Mit Leila de Lima, ehemalige Justizministerin und Vorsitzende der Menschenrechtskommission, wurde eine erklärte Gegnerin von Duterte in den Senat gewählt, die sich seit Jahren für die Aufarbeitung der Morde der DDS einsetzt. Ebenfalls als Senatorin wurde Riza Hontiveros von der linken Parteiliste Akbayan gewählt. Sie hat als Kongressabgeordnete bereits bewiesen, dass sie sich für Frauen- und Menschenrechtsthemen engagiert. Gegenüber der Jungle World betonte sie, ihre Wahlkampfversprechen erfüllen zu wollen und sich für eine umfassende Gesundheitsversorgung und eine Landreform einzusetzen. Auf den zukünftigen Präsidenten angesprochen, sagte sie: »Wir haben vor allem abweichende Meinungen bei den Themen Menschenrechte und Würde von Frauen.«