Sportarten im Selbstversuch, Teil 20: Bodybuilding

Do you even lift, bro?

Ausprobiert, eine Serie über Sportarten, die unsere Autorinnen und Autoren als Kinder geliebt oder gehasst haben – oder die sie schon lange im Fernsehen faszinieren. Teil 20: Bodybuilding. Als Journalist in Zeiten des »Lügenpresse«-Gegröhles Muskeln aufzubauen, könnte eine gute Idee sein.

Vor einem Jahr fragte ich mich, wie es es wäre, wäre ich stark und muskulös. So dass die Menge in den Clubs automatisch Platz macht und die Türsteher einem anerkennend zunicken. Mein Körper der eines jungen griechischen Gottes, der selbstvergessen dem Parthenon entgegenschreitet. Mein Anblick würde Jurastuden­tinnen und alternde Kommerzienrätinnen gleichermaßen verzücken, Geifer tröffe ihnen vom Kinn. Äußerliche Zeichen einer elementaren Kraft, die in Zeiten von »Lügenpresse – auf die Fresse!«-Rufen erahnen lassen, dass ein Reporter notfalls nicht nur publizistisch zurückschlagen kann. Fort mit Zahnstocherarmen und Atemnot beim Schleppen von Umzugskartons. Hinein in den Männer wie Tim Wiese und Wladimir Putin umfassenden Kreis derer, die sich ihrer kruppstahlharten Muskulatur nicht genieren. Hinein ins gezielte Krafttraining.
Unzählige Internetforen und Blogs der Bodybuilding-Szene befassen sich mit Trainingsplänen und Ernährungshinweisen, verloren und überfordert fühlt man sich ob der dort präsentierten widersprüchlichen Ratschläge. Wie und wo anfangen?
Da Alkoholismus gewöhnlich das Budget und die Regeneration von Journalisten bereits genug strapaziert, kam nur »natürliches« Bodybuilding in Frage, was den in Pumper-Kreisen weitgehend akzeptierten Einsatz genitalverkleinernder Anabolika ausschließt. Die Youtube-Kanäle Elliott Hulses und der »Buff Dudes« zogen in diesem Segment eine Schneise durch das Gewüst der Informationen. Sie garnieren ihre Trainingshinweise mit Appellen an die ursprünglichste aller Ehren, die männliche. »So, you wanna be a buff dude?« hieß es in einem der Videos. »Verdammt, ja!« dachte ich und haute mit der Faust auf den Schreibtisch, während ich glutenfreies Biomüsli löffelte. Der Tenor: Keine gewöhnlichen Bizepscurls mit Kurzhanteln, kein Pussy-Bullshit mit Gewichtmaschinen. Lieber den Fokus auf Übungen setzen, die mehrere Muskelgruppen gleichzeitig herausfordern: Kniebeugen mit Gewicht, Kreuzheben, Bankdrücken, Klimmzüge und Dips. Dann noch eine eiweißreiche Ernährung. Überdies: regelmäßig trainieren und nicht alles zu ernst nehmen, damit der Spaß an der Sache nicht flöten geht. Kraft durch Freude.
Ich unterschrieb einen Mitgliedsvertrag bei einer der großen deutschen Fitnessketten und erkor ein Studio im Norden Berlins zu dem Tempel, in dem die hellenische Sagengestalt heranreifen sollte. Zweifel kamen vor der ersten Übungseinheit auf: Werde ich die eigene Lethargie überwinden können und dreimal die Woche trainieren gehen, wie es mir die »Buff Dudes« und andere Blogs empfohlen haben? Will ich mich in der total verwalteten Welt auch noch in der Freizeit dem Druck zur Selbstoptimierung beugen und meine Entsagung zum athletischen Lifestyle verklären? Adorno wandte in »Erziehung nach Auschwitz« berechtigterweise ein: »Wer hart gegen sich ist, der erkauft sich das Recht, hart auch gegen andere zu sein, und rächt sich für den Schmerz, dessen Regungen er nicht zeigen durfte.« Der drohenden innerlichen Erkaltung entkam ich jedoch bereits am zweiten Trainingstag, als mir ein Fünf-Kilogramm-Gewicht auf den Vorderfuß fiel und ich mir gestattete, dem Schmerz mit lautem Wiehern Ausdruck zu ver­leihen.
Letztlich sind Leibesübungen mit dem Ziel des Muskelaufbaus so banal wie die Leute, die sie ausführen. Die Trainingsroutine schaffte ich mir nach jahrelangem Nichtstun geschwind drauf. Beim Bankdrücken etwa liegt man schlicht da wie ein Brett, hebt die Langhantel von der Brust nach oben und senkt sie wieder herab, fünf Wiederholungen bei fünf Sätzen. Bei jeder Trainingseinheit sollte das Gewicht um ein oder zwei Kilogramm erhöht werden. Bis es nicht mehr weitergeht. Dasselbe bei Kniebeugen und beim Kreuz­heben, wobei man die Hantel vom Boden aufliest und bis Kniehöhe stemmt. Währenddessen bleibt einem nichts anderes übrig, als sein Testosteron durch die Kopfhörer mit Macker-Hardcore von Madball und Agnostic Front hochzuputschen. Die Satzpausen und die Warterei, bis endlich die Multibox wieder frei wird, lassen die Gedanken um alles Mögliche und Unmögliche kreisen. Der Abstieg in die Kalauerhölle: unvermeidlich. Wird es für wirtschaftsaffine Gewichtheber nach jahrelangen Verhandlungsrunden eine neue Freihantelzone im Fitnessstudio geben? Kann sich die Bodybuilder-Lobby in ihrem Kampf gegen Regulierungen im Streckbankensektor durchsetzen?
Meine Sportkameraden bilden die bundesdeutsche Gesellschaft weitgehend repräsentativ ab. Abiturienten, Söhne Arabiens und Vietnams, Tagelöhner, Anhänger von Hertha BSC und den »Grauen Wölfen«, Soziologiestudenten, Dachdecker und Geschichtslehrer. Den seltenen politischen Meinungsäußerungen in der Umkleidekabine nach zu urteilen, sind zuweilen AfD-Sympathisanten unter ihnen, die beim allabendlichen Training genug Energie auftanken, um zu Hause mit herzhaften Hieben gegen Frau und Kind die Auferstehung des Patriarchats triumphal verkünden zu können.
Lässt sich hier beim freiwilligen Malträtieren von Männerkörpern (Frauen lassen sich in diesem Teil des Studios kaum blicken) die Konstitution einer Volksgemeinschaft beo­bachten? Dafür mangelt es den meisten Besuchern offenbar an grundlegenden kommunikativen Fähigkeiten. Der Freihantelbereich ist ein Schweigekartell, jeder schwitzt für sich allein. Doch manchmal gibt es sie, Momente der Zärtlichkeit, in denen gesichtstattootragende Lebendpanzer sich in Brüder verwandeln. Da loben sie offen die Fortschritte bei der Brustmuskulatur des Trainingspartners. Da reichen sie freilich eine helfende Hand, wenn dieser beim Bankdrück-Rekordversuch die dicke lange Stange nach oben presst und die Muskeln vor der letzten eruptiven Anstrengung zu zittern beginnen. Sie geben sich Tipps zur richtigen Grifftechnik. Und wenn nach der Übung auf der Langhantel weiße Flecken – Gemische aus Talkum und Schweiß – übrig bleiben, folgen freundliche, aber bestimmte Ermahnungen, die Sauerei doch bitte mit einem Papierhandtuch wegzuwischen.
Vor einer Woche fragte ich mich, wie es wäre, wenn ich jetzt, nach einem Jahr Krafttraining, einem Widersacher physisch trotzen müsste. Besser fühlt sich dieses mit Haut und Haar besetzte Skelett an, nur dramatische Veränderungen lassen auf sich warten. Soweit bescheide ich mich mit dem Körper eines Halbgotts. Was auffällt, ist der Umfang der Oberschenkel, der sich durch die vielen Kniebeugen mit mittlerweile über 100 Kilogramm überproportional zum restlichen Körper ausgedehnt hat. Mögen Nationalsozialisten und Jihadisten beim Anblick meines Torsos und meines Bizeps nicht gerade ehrfürchtig erstarren, so sollen sie sich gewahr werden, dass ich jetzt zumindest sehr fest zutreten kann, wenn sie am Boden liegen.