Eklat um die Neubesetzung der Professorenstelle von Samuel Salzborn an der Universität Göttingen

Kritische Stimme unerwünscht

Die Universität Göttingen will die Professorenstelle des Sozialwissen­schaftlers Samuel Salzborn neu besetzen. Der Fachschaftsrat vermutet politische Gründe. Zudem sind die institutionellen Reformen, die das Land Niedersachsen als Lehre aus dem NSU-Komplex zog, durch diese Personalie gefährdet.

Die Aufklärung und Aufarbeitung der als NSU-Komplex bekannt gewordenen Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« läuft, gelinde gesagt, stockend. Mehrere Zeugen oder potentielle Zeugen kamen unter dubiosen Umständen ums Leben, Akten wurden vernichtet, Beweismittel verschwanden oder blieben jahrelang verschollen. Durch ein gesteigertes Interesse, ei­gene Ermittlungsfehler zu revidieren und die Verwicklungen staatlicher ­Institutionen aufzuklären, fielen die Behörden bisher nicht auf. Eine Ausnahme stellen angesichts dessen die Vereinbarungen dar, die 2013 im niedersächsischen Koalitionsvertrag der rot-grünen Landesregierung unter dem Schlagwort »Neustart des Verfassungsschutzes« getroffen wurden. In Anbetracht der undurchsichtigen Rolle der Sicherheitsorgane während der NSU-Ermittlungen sollen die Befugnisse der Behörde eingeschränkt werden, heißt es dort. Nicht zuletzt sei dem Verfassungsschutz das Aufgabenfeld »Politische Bildung« zu entziehen und stattdessen eine externe »wissenschaftlich arbeitende Dokumentationsstelle« einzurichten. »Damit sollen die Konsequenzen aus dem Versagen der Sicherheitsbehörden im Kontext des NSU gezogen« und »zukünftig Transparenz hergestellt werden«, erklärte etwa die SPD-Landtagsabgeordnete Gabriele Andretta. Für die Leitung dieser Einrichtung war der Sozial- und Politikwissenschaftler Samuel Salzborn von der Universität Göttingen vorgesehen, der international als Experte für Demokratie- und Antisemitismusforschung anerkannt und auch als Autor für die Jungle World tätig ist. Er erarbeitete ein Konzept, das insbesondere auf eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Themen Islamismus und Rechtsextremismus abzielte und dabei nicht ohne eine Kritik des Verfassungsschutzes auskam. Während er damit die politisch Verantwortlichen für sich einnehmen konnte, zeigte sich das Präsidium der Göttinger Universität nicht begeistert. Obwohl seitens des Landes die Gelder bereitliegen und eine unverzügliche Tätigkeitsaufnahme der Dokumentationsstelle erwünscht ist, lehnt das Universitätspräsidium den Vorschlag Salzborns ab und will einen grundlegend neuen Projektentwurf entwickeln. Zu befürchten steht, dass dabei die kritische Ausrichtung des Forschungszentrums auf der Strecke bleiben wird. Die Universität gehe »bei der Einrichtung von Infrastrukturen zunächst nach strukturellen Kriterien vor«, erklärte Universitätssprecher Romas Bielke der Jungle World. »Inhaltliche Projekte bauen anschließend auf diesen Infrastrukturen auf.« Der fachlichen Expertise Salzborns – vor einigen Wochen Mitbegründer des »Forschungsnetzwerks NSU« – soll folglich eine Angliederung an die Göttinger Universitätsbibliothek vorgezogen werden. Von den Lehren aus dem NSU-Komplex ist nicht mehr die Rede. Auf die Arbeit Salzborns will die Universität künftig ohnehin verzichten. So war Ende April bekannt geworden, dass seine Professur nicht verlängert werden soll. In einem offenen Brief empörte sich der Fachschaftsrat (FSR) Sozialwissenschaften über diese Entscheidung. Das studentische Gremium hält die faktische Absetzung des renommierten Rechtsextremismusforschers angesichts des gesellschaftlichen Klimas für ein »verheerendes politisches Signal«. Zugleich beklagt die Studierendenvertretung, dass das Präsidium sich über die Interessen der Studierenden und das Votum des zuständigen Fakultätsrates, der sich einstimmig für einen Verbleib Salzborns ausgesprochen hatte, hinweggesetzt habe. Das Schreiben des FSR wird mittlerweile von über 200 Einzelpersonen und Initiativen unterstützt, darunter die Amadeu-Antonio-Stiftung, Wissenschaftler aus dem In- und Ausland sowie der AStA der Göttinger Universität und weitere Hochschulgremien. Der Antisemitismusforscher Lars Rensmann, Professor für Europäische Politik und Gesellschaft an der Universität Groningen, nennt Salzborn im Gespräch mit der Jungle World eine »wichtige kritische Stimme« des Forschungsfeldes und verweist auf den »gesellschaftlichen Auftrag« der Hochschule. Auch von Seiten zahlreicher jüdischer Institutionen wird die Bedeutung einer wissenschaftlichen Antisemitismusforschung betont und die Verlängerung der Professur Salzborns gefordert. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte gegenüber dem NDR, man halte die Entscheidung »gerade im Hinblick auf den zu beobachtenden Rechtsruck in der Gesellschaft für falsch«. Die Universitätsleitung scheint allerdings an ihrer Position festhalten zu wollen. Ein Überdenken des Beschlusses lehne man ab, erklärte Bielke der Jungle World. Die »Entscheidung des Präsi­diums ist nach sorgfältiger Prüfung getroffen worden«, so der Sprecher. Eine Begründung dafür steht allerdings weiter aus. Zu Personalangelegenheiten nehme man grundsätzlich keine Stellung, hieß es lediglich. Über die Gründe der Absetzung Salzborns kann man somit nur spekulieren. Am fehlenden Geld kann es nicht liegen, hat die Universität ihrem Professor doch die finanziell ergiebige Einrichtung der Dokumentationsstelle zu verdanken – zumal Salzborns Stelle nicht gestrichen, sondern neu ausgeschrieben werden soll. Auch Zweifel an der fachlichen Kompetenz kann die Universität schwerlich geltend machen, denn sie zeichnete Salzborn noch vor wenigen Monaten mit einem Preis für seine Arbeit aus. Ein Mitglied des FSR bestätigte der Jungle World darüber hinaus dass Salzborn bei den Studierenden breite Anerkennung genieße. Der FSR vermutet hinter der Entscheidung politische Gründe. Salzborn forschte unter anderem zu Antisemitismus in der Linkspartei und bezog wiederholt Stellung gegen studentische Verbindungen. So kritisierte er erst vor einigen Monaten, dass auf der Website der Universität diese Organisationen öffentlich beworben wurden. Der FSR vermutet, dass man einen unliebsamen Professor loswerden will und mit der gegenwärtigen Aussetzung der Dokumentationsstelle die Etablierung eines dezidiert politischen Instituts verhindert werden soll.