Das neue Arbeitsgesetz in Frankreich ist verabschiedet

Valls’ Vabanquespiel

Der französische Premierminister hat das neue Arbeitsgesetz durchs Parlament gebracht, aber die Proteste gehen weiter.

Zumindest auf parlamentarischer Ebene braucht Frankreichs rechtssozialdemokratischer Premierminister Manuel Valls sich im Augenblick keine Sorgen zu machen. Obwohl ihm eine Mehrheit für die Verabschiedung des heftig umstrittenen Arbeitsgesetzes fehlt und auch relevante Teile der regierenden Sozialdemokratie wenig von dem Vorhaben halten, konnte er dessen Verabschiedung in erster Lesung durchsetzen. Wenn auch unter Ausschaltung wesentlicher Rechte des Parlaments in einer bürgerlichen Demokratie.
Am Dienstag voriger Woche hatte Valls erklärt, seine Regierung werde den Artikel 49-3 der französischen Verfassung einsetzen. Dieser Artikel der semi-autoritären französischen Präsidialverfassung erlaubt es einer Regierung, das Votum über einen Gesetzentwurf mit der Vertrauensfrage zu verknüpfen. Dem Parlament bleiben dann nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder bringt ein Teil seiner Mitglieder einen Misstrauensantrag ein, dieser wird angenommen und die Regierung stürzt. Oder aber die Gesetzesvorlage gilt als angenommen – ohne Aussprache in der Sache und ohne dass Änderungsanträge eingebracht werden können.
Am Donnerstag vergangener Woche passierte Letzteres. Dabei hätte es rein rechnerisch reichen können, um das Kabinett Valls zu kippen. 56 Abgeordnete der parlamentarischen Linken, darunter sozialdemokratische, grüne und zur französischen KP gehörende Parlamentarier, hatten einen »linken« Misstrauensantrag formuliert. Die konservative Opposition zählt 234 Abgeordnete und brachte, weil sie als Opposition nun einmal eine entsprechende Show bieten muss, ihrerseits einen entsprechenden Antrag mit anderer Begründung ein. Addiert hätte dies 290 Stimmen gegen Valls ergeben, zwei mehr als die erforderliche Mehrheit – jedenfalls wenn beide Lager zusammen abgestimmt hätten.
Dem »linken« Misstrauensantrag fehlten jedoch zwei Unterschriften, um im Plenarsaal abgestimmt zu werden – dazu wären 58 Abgeordnete erforderlich gewesen –, so dass die parlamentarische Linke nur noch dem Misstrauensvotum der bürgerlichen Rechten hätte zustimmen können. Sich mit dieser zu verbünden, wäre dafür nicht nötig gewesen, denn anders als in Deutschland ist kein konstruktives Misstrauensvotum erforderlich. Die Gegner einer amtierenden Regierung müssen sich nicht auf die Einsetzung eines neuen Kabinetts einigen. Seelenruhig also hätten linke Abgeordnete die Widersprüche im Feindeslager ausnutzen können. Die Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitspolitik von Valls und die der Konservativen unterscheiden sich ohnehin nur in Nuancen. Doch der sogenannte linke Flügel der Sozialdemokratie bekam kalte Füße und stimmte schließlich geschlossen für die Regierung und gegen den Antrag der Opposition. Keine einzige der Stimmen des linken Fraktionsflügels fehlte Valls, während die KP und eine Minderheit der Grünen ihm ihr Misstrauen aussprachen.
Die rechtssozialdemokratische Regierung setzt unterdessen in mehreren Städten zwecks Einschüchterung auf Repression, am härtesten in Rennes und Nantes. Innenminister Bernard Cazeneuve zufolge gab es bei den Demonstrationen der vergangenen zwei Monate gegen das Arbeitsgesetz bislang 1 300 Festnahmen, 819 Fälle von polizeilicher Ingewahrsamnahme zur Aufnahme von Strafverfolgungen und 51 Verurteilungen in Schnellverfahren. In Paris wie in Nantes belaufen sich die Höchststrafen für Demonstranten bislang auf sechs Monate ohne Bewährung.
Am Freitag voriger Woche wurde in Rennes die polizeiliche Eliteeinheit RAID – vergleichbar mit der deutschen GSG9 und eigentlich für den Einsatz bei Geiselnahmen und Terrorattacken bestimmt – eingesetzt, um einen seit zehn Tagen besetzten Konzertsaal zu räumen. Am Samstag wollte die Protestbewegung deswegen gegen Polizeigewalt demonstrieren. Cazeneuve verbot alle Demonstrationen und forderte die Bevölkerung auf, das Stadtzentrum zu meiden. Rund 700 Demonstranten kamen dennoch und wurden mit Gummigeschossen empfangen.
Die laufende Woche wird für die Protestbewegung entscheidend werden, denn ab Mittwoch und Donnerstag sind verschiedene Branchen zu unbefristeten Streiks aufgerufen: LKW-Fahrer, Beschäftigte in Raffinerien und Seeleute. Doch hinsichtlich der Frage, wie konsequent man den Sozialprotest zuspitzen soll, ist man sich beim stärksten Dachverband CGT uneinig. Dessen Branchenverband bei der französischen Bahngesellschaft SNCF tut jedenfalls alles, um konzentrierte Kampfaktionen zu verhindern. Die CGT-Föderation bei den Bahnbeschäftigten ruft deshalb dazu auf, allwöchentlich am Mittwoch und Donnerstag für bahninterne Forderungen zu streiken, aber jeden Freitag früh die Arbeit wieder aufzunehmen.