Der Film »Overgames« von Lutz Dammbeck

Wir waren nur die Kandidaten

Lutz Dammbeck ist mit seinem fast dreistündigen Film »Overgames« auf Tour. Darin nutzt er die spekulative Form des dokumentarischen Essays für verschwörungstheoretische Andeutungen.

Der Film beginnt mit einer Szene aus »Anne Will«. In der Talkrunde berichtete der Entertainer Joachim Fuchsberger über seine Gameshow »Nur nicht nervös werden« und bemerkte, dass das ursprünglich US-amerikanische Fernsehformat von therapeutischen Spielen aus der Psychatrie inspiriert sei. Auf Rudi Carrells kalauernde Frage, wie viele Patienten zugesehen hätten, gibt Fuchsberger die verblüffende Antwort: »Eine verrückte Nation! Eine psychisch gestörte Nation!«
Der Filmemacher Lutz Dammbeck gibt in seinem Essayfilm »Overgames« vor, dass dieser schräge Dialog seine mehrjährige Recherche ausgelöst habe – als sei er beim Glotzen so aufmerksam gewesen, die kurze Szene als Hinweis auf viel Größeres zu erkennen. Drei Fragen will Dammbeck aufwerfen: Inwiefern haben Gameshows ihren Ursprung in der Psychiatrie? Lässt sich die Reeducation als Therapie an einer als krank betrachteten Nation verstehen? Und wie hängt dies mit den Idealen der Aufklärung zusammen?
Allerdings geht es hier nicht um die Suche nach Antworten, vielmehr liegt diesen Fragen bereits ein bestimmter Verdacht zugrunde. So häuft der Film vor allem Hinweise an, die die Spekulation weiter nähren. Dazu bemüht er Material, das er bei seinen sorgfältig inszenierten Besuchen in den Archiven gefunden haben will: Lutz Dammbeck beugt sich über Folianten oder stapelt Bücher und Bilder aufeinander. Kann man die bürgerliche Idee der Gleichheit nicht als Plan verstehen, in »permanenter Revolution« Menschen gleich zu machen? Sind die USA als melting pot nicht so ein Experiment gewesen? Folgten die Sozio-, Psycho- und Anthropologen, die von dort aus Nazi-Deutschland erforschten, nicht bloß der Logik von Diagnose und Therapie? War Westdeutschland dann nur ein willkommenes Großlabor, um mit der Reeducation Psychotechnik auszuprobieren? Und könnten Gameshows nicht irgendwie …
Dammbeck arbeitet seit Jahrzehnten am offenen Gesamtkunstwerk »Herakles-Konzept«, in das er verschiedene mediale Formen und seit den Neunzigern auch dokumentarische Filme einbezieht. Schon länger hat er sich dabei ins Thema Reeducation verbissen, was ihm, dem ausgereisten DDR-Bürger, auch den »fremden Stamm« der Westdeutschen verstehen helfen soll. Dammbeck setzt sich damit aber nicht, was zum Projekt passen würde, mit dem Mythos auseinander, sondern bedient antiamerikanische Klischees. Schnell ist klar, dass »Overgames« nahtlos an »Das Netz« von 2004 anschließt. Als Schnittstelle dienen genau die Umerziehungspläne, die Dammbeck damals als letztes Puzzleteil präsentierte, um die verwickelten Beziehungen von Internet, counter culture und allen möglichen US-Regierungsstellen erklären (und den Unabomber verstehen) zu können.
Deshalb reagiert er auch reflexhaft auf Fuchsbergers Bemerkung. Der Showmaster weist damit ja nicht nur sich die Rolle des Therapeuten, sondern auch der Quote seiner Show die eines Symptoms zu. Es ist bezeichnend für Dammbecks Verfahren, dass er diese Doppeldeutigkeit ausblendet und die lose Verbindung zu den USA überdehnt.
Der Film wird oft als dokumentarischer Essay beschrieben. Anders als die essayistische Subjektivität reflektiert sich Dammbeck aber nicht als Autor, indem er sich einem erspürten Motiv überlässt, bis es sich im Material verdichtet, sondern produziert sich als jemand, der hinter den Bildern liegende Verbindungen aufdeckt. Die sind deshalb meistens personaler Art: Jemand hat dieses oder jenes Buch gelesen, diese oder jene Konferenz besucht, bei dieser oder jener Stelle Geld beantragt usw. Besonders klammert er sich an Wissenschaftler wie Margaret Mead, Gregory Bateson und Richard Brickner oder an den Fernsehproduzenten Mark Goodson. Die Personalisierung wird explizit, wenn der Markt als Instrument von Zirkeln bezeichnet wird, die früher im Wohlfahrtsausschuss und heute im Weißen Haus säßen. Dabei tauchen nicht nur amerikanische Behörden wie das Amt für Strategische Dienste auf, sondern auch jüdische Verbände und Freimaurer.
Die Verwendung von Archivbildern erinnert an tastend-assoziative Montage, folgt hier aber dem Prinzip drängelnder Suggestion. Nie wird dem Publikum gewährt, den eigenen Bildervorrat einzubringen, weil der ständig schon abgerufen wird: Tierversuche, medizinische oder anthropologische Studien, Nazi-Aufmärsche, Gameshows, Konzentrationslager. Doch keins der Bilder wird geöffnet oder stillgestellt, sondern ihre Wucht wird nur dem Text geliehen. Wenn vom deutschem Jahrgang 1943 die Rede ist, der der Reeducation ausgeliefert gewesen sei, werden Aufnahmen anonym aufgereihter, fast gestapelter Säuglinge gezeigt. Ob es angemessen ist, die den gnädig Spätgeborenen zugewiesene Rolle hilfloser Opfer visuell noch durch solche Menschenhaufen zu unterstreichen, ist fraglich.
Zwar wird Reflexion signalisiert, wenn Wiederholungen von Bildschirmen abgefilmt werden. Wie sorglos Dammbeck aber mit Bildern umgeht, zeigt sich, wenn er auf seinem Laptop nebeneinander Aufnahmen aus einem befreiten Konzentrationslager und Abu Ghraib zeigt. Man kann nicht nachzuvollziehen, mit welch ähnlicher Gewalt diese Bilder treffen, sondern sie werden ausgeschlachtet, um die Ähnlichkeit der Gewalt, die sie abbilden, zu behaupten.
Nähme sich der Film mehr Zeit für Bilder oder Texte, würden sich die Einzelheiten schnell sperren. Dammbeck kann das verborgene Beziehungsnetz aber nur zeigen, wenn er sein Material auf Knotenpunkte reduziert. So gibt seine Darstellung von Batesons Analyse von »Hitlerjunge Quex«, der immerhin ein ganzes Kapitel gewidmet ist, kaum eines der Ergebnisse wieder. Übergangen wird etwa der zentrale Punkt, dass der Propagandafilm die Kleinfamilie in der HJ auflöst. Dammbeck muss das ausblenden, weil sonst seine spätere Behauptung nicht greifen würde, die Zerstörung der traditionellen Familie sei erst das Ziel amerikanischer Reeducation gewesen. Warum solche Fragen diskutiert wurden, interessiert nicht: Der Film handelt zwar ständig vom Blick auf die Deutschen, der Nationalsozialismus bleibt aber eine Leerstelle.
Manches ist im Ansatz interessant: So wenn der Kult des höchsten Wesens – also der Religionsersatz der Französischen Revolution – als Gameshow gelesen werden soll. Doch als das nicht aufgeht, sind es wieder die Hintermänner: Die Jakobiner hatten für ihre Show einfach keine gute »bible«. So bezeichnen nämlich die Macher von Gameshows deren Konzepte. Wenn dann »The price is right« als Gottesdienst der Ware dargestellt wird, ist das nur noch Klischee. Im Zirkelschluss werden beide Szenen von dem Verdacht getragen, den sie stützen sollen: Erst in den Vierzigern sei die Manipulationstechnik entwickelt worden, die den Shows zugrunde liegt.
Zu den besten Momenten gehören die Interviews mit verschiedenen Fernsehproduzenten: Es ist ja keine Neuigkeit, wenn die Befragten erklären, dass es bei den Shows ums Geld geht. Unfreiwillig desavouiert der Pragmatismus dieser Leute das Anliegen des Films. Großartig sind die begeisterten Gameshow-Fans, die Dammbeck in selbstbewusst schlechtem Englisch interviewt und vorzuführen meint: Sie wollen ein Auto, einen Kühlschrank oder eine Matratze, nur irgendwas mit nach Hause nehmen. Das mögen naive Träume sein, aber diese Leute werden sich auch nie durch deutsche Kulturförderung finanzieren können. Ihr schnöder Materialismus bildet den einzigen Moment des Films, in dem aufscheint, dass durch den US-Kulturimperialismus nicht Psychotechnik, sondern so etwas wie die Idee individuellen Glücks in die Bundesrepublik gebracht wurde. Mit etwas gutem Willen kann man auch Joachim Fuchsberger einen Beitrag dazu zugestehen.
Wenn der Film trotz all dem eine Form wahrt, die vor allen zuständigen Stellen als sogar unterhaltsame Kunst durchgeht, gelingt das nur, weil er in Andeutungen verharrrt, also stets Interpretation verlangt. Weil er nie die Mehrdeutigkeit des Materials aufschließt, ist dieser Verzicht auf Eindeutigkeit aber kein Gewinn, sondern ein Mangel. Dammbeck beruft sich nur auf Tatsachen, so wie Verschwörungsphantasien mit unzähligen Fakten gefüttert werden. Aber er sammelt Indizien, keine Beweise. Auch wenn er nur findet, was seinen Verdacht nährt, bleibt deshalb ein Unterschied zum geschlossenen Wahnbild. Dammbeck lässt den Text von einer dahinplätschernden Stimme sprechen, die von klimperndem Fahrstuhlsound begleitet wird. Es gibt weder die vokale Emphase noch den martialischen Sound der einschlägigen Internet-Videos.
Genau das ist aber das Problem: Denn so erlaubt die Konstruktion jedem landläufigen Ressentiment, dauernd einzurasten, und zugleich sich gegen diesen Vorwurf zu verteidigen. Dammbeck nimmt immer wieder aufs Neue zur Kenntnis, dass manche das »Gefühl« haben, sein Film sei verschwörungstheoretisch. Er hat recht, dass das eine Frage der Interpretation sei. Es bleiben aber nur zwei übrig: Eine, bei der die Ressentiments launig zuschnappen, und eine, die von solchen Angeboten genervt ist.
Overgames (D 2015). Regie, Buch: Lutz Dammbeck